Samsara

Samsara
(F/I 2001)

Darsteller: Shawn Ku, Christy Chung, Neelesha BaVora, Lhakpa Tsering, Tenzin Tashi
Drehbuch: Tim Baker, Nalin Pan
Kamera: Rali Raltschev
Musik: Cyril Morin
Regie: Nalin Pan

Der historische Buddha – Prinz Siddharta Gautama – verließ seine Frau und seinen jungen Sohn, um herauszufinden, was wichtig für ihn ist. In Samsara ist es der junge Mönch Tashi, der genau den umgekehrten Weg wählt.

Seit seiner Kindheit lebt er in einem Kloster im Himalaya, in der höchsten Provinz Indiens. Dem Himmel so nah, muss er sich trotzdem irgendwann zwischen ihm und der Erde entscheiden. Auch nach Jahren der Meditation erliegt er irdischen Sehnsüchten und Wünschen, im Film reduziert auf eins der stärksten Verlangen: der körperlichen Liebe. Tashi entschließt sich, das Kloster zu verlassen und seinem inneren Drängen zu folgen. Er heiratet in eine Bauernfamilie ein, wird Vater, übernimmt langsam, aber stetig die Aufgaben eines Familienoberhaupts. Jahre vergehen, sein Sohn wächst heran, jahrein, jahraus die gleichen Rituale, die gleichen Ereignisse. Tashi ist nicht unglücklich. Aber plötzlich fragt er sich trotzdem ein zweites Mal in seinem Leben: Ist das jetzt alles? Oder muss ich meinen Weg ändern?

Er verlässt seine Familie, kleidet sich wieder wie ein Mönch und will zu seinem Kloster zurückkehren. Doch kurz vor dem Ziel erfährt er eine Vision: Seine Frau erzählt ihm die Geschichte von Siddharta und wie sehr dessen Frau und Sohn wohl darunter gelitten haben, dass ihm andere Menschen und sein eigener Weg wichtiger waren als sie, die ihn liebten. Tashi beginnt zu weinen und weiß nun gar nicht mehr, wohin er gehen soll. Der Film zeigt uns Tashis Entscheidung nicht, sondern stellt eine Frage und gibt eine Antwort: Wie bewahrt man einen Wassertropfen vor dem Austrocknen? Indem man ihn ins Meer wirft.

Was erstmal nach ziemlichem Esoterik-Sülz klingt, ist eine atemberaubend gefilmte Geschichte, die gerade durch ihre Schlichtheit beeindruckt. Die Grundposition des Films ist sicherlich die Spiritualität und wie weit sie uns bringt, aber eigentlich geht es um den Menschen. Was brauchen wir wirklich, um glücklich zu sein? Freunde? Familie? Geld? Mehr Geld? Zivilisation? Oder Entsagung? Disziplin? Hinwendung zu einer höheren Macht?

Beides ist möglich, und Menschen sind auf beide Weisen glücklich geworden. Und das ist genau der Punkt, den der Film machen will. Jeder muss für sich selbst die Entscheidung treffen, welcher Weg für ihn der richtige ist. Und selbst, wenn andere nicht dieser Meinung sind – wenn man selbst weiß, wohin man geht, ist die Entscheidung die richtige.

Der Regisseur Nalin Pan schafft es, diese recht simple Weisheit in große Bilder des indischen Hochlands zu kleiden. Jede Kameraeinstellung beschert dem Zuschauer wunderschöne Bilder: Sei es die karge und mächtige Landschaft, sei es die prächtige, üppig farbene und doch schlichte Ausstattung oder auch die sehr intim und dadurch anrührend ehrlichen Szenen, in denen Tashi und seine Frau körperliches Glück erfahren – alles wirkt ungekünstelt und lebensnah. Gerade die Szene, in der Tashi zum ersten Mal mit einer Frau schläft, ist so sehnsuchtsvoll und überwältigend inszeniert – durch einen völlig simplen Trick: Die Kamera steht auf dem Kopf, und es sieht so aus, als würden die beiden nicht auf der Erde liegen, sondern im Himmel treiben. Wunderschön.

Das Erzähltempo gleicht eher einer Meditation denn dessen, was wir von einem Spielfilm gewohnt sind. Mit über zwei Stunden nimmt sich der Film auch sehr viel Zeit, um uns seine Geschichte nahezubringen. Aber genau diese Gemächlichkeit ist es, die uns selber Zeit lässt, uns in die Figuren hineinzufühlen und ihre Entscheidung nachvollziehen zu wollen.

Leider versanden einige der Storylines im Nichts: Der kleine Sohn beginnt in sehr jungem Alter spirituelle Fragen zu stellen, und Tashi stolpert in eine Affäre mit einer Erntehelferin, aber beide Handlungsstränge werden einfach fallengelassen, anstatt ihr Konfliktpotenzial zu nutzen. Die einzige Konsequenz, die beide Aktionen haben, ist eben die, dass Tashi sich wieder auf den Weg ins Kloster macht – ein bisschen dünn, wie ich finde. Aber selbst das ist man gewillt zu verzeihen, denn es gibt viel zu viel zu bewundern an Samsara. Schließlich sehen auch die überflüssigen Szenen viel zu gut aus, um sich über sie zu ärgern.

Eine Antwort:

  1. Als ich vor drei Jahren Samsara im Kino gesehen habe, habe ich mich im großen Saal fast gefürchtet. Leider war der Film schon nach kurzer Zeit wieder aus den Kinos verschwunden. Kurz vorher hatte ich die Gelegenheit, die Landschaft, in der der Film spielt, Ladakh also, kennen zu lernen und auch eine der darin mitspielenden Laiendarstellerinnen, Norbu Dolma. Bilder von ihr , ihrem Haus und der Landschaft, sowie eine Reportage sind auf meiner Website http://www.birgerzentner.de zu finden.
    Was die Gemächlichkeit betrifft, die in dem Film zu Tage tritt – das ist eben das Leben in einem Land oberhalb der 3500-Meter-Grenze. Die Menschen in Ladakh strahlen viel Ruhe aus. Erst recht für einen Hektik gewöhnten Europäer. Wir hatten als Reisebegleiter einen sehr klugen, sehr belesenen jungen buddhistischen Mönch. Der war zwar keienswegs wie Tashi im Film, aber eben einer, den nichts aus der Ruhe brachte, auch nicht die ungeduldigsten Fragen.