Solino
Solino
(D, 2002)
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Barnaby Metschurat, Antonella Attili, Gigi Savoia
Drehbuch: Ruth Toma
Kamera: Rainer Klausmann
Musik: Jánnos Eolou
Regie: Fatih Akin
Es ist 1964. Solino ist ein kleines verschlafenes Dörfchen in Italien. Eines Tages zieht das Ehepaar Rosa und Romano Amato mit den beiden Söhnen Gigi und Giancarlo nach Deutschland. Dort will Vater Romano seine Arbeit in einer Duisburger Zeche beginnen. Aber er sieht schnell, dass harte Arbeit nicht ganz nach seinem Geschmack ist. Seine geschäftstüchtige Frau hat eine bessere Idee: Gemeinsam eröffnen sie eine Pizzeria, und mit einem der ersten Fernseher im Viertel haben sie auch schnell eine ordentliche Stammkundschaft zusammen.
Die beiden Söhne entwickeln sich recht unterschiedlich: Während aus Giancarlo immer mehr ein kleiner Dieb und Taugenichts wird, versucht Gigi stets, es sowohl Vater als auch Mutter recht zu machen – dumm nur, dass er immer die ganzen Untaten seines Bruders angehängt bekommt.
Eines Tages fällt ein Filmteam in die Pizzeria Solino ein, und für Gigi geht in der kleinen, grauen Ecke Duisburg in Deutschland die Sonne auf. Ein italienischer Regisseur, dem der kleine Gigi mit seiner Spielzeugeisenbahn einen guten Rat geben konnte, nimmt ihn mit aufs Set. Gigi ist begeistert und vertraut dem Regisseur an: Ich will auch Filme machen. Worauf dieser ihm nur lächelnd erwidert: Das ist egal. Es ist egal, was du in deinem Leben machst. Worauf es ankommt, sind Feuer und Leidenschaft – fuoco e passione.
In seinem dritten abendfüllenden Film nach Kurz und schmerzlos und Im Juli hat sich Regisseur Fatih Akin an eine Geschichte gemacht, die oberflächlich von der Familie Amato und ihrem Leben in Deutschland erzählt. Davon, wie Gigi seiner Filmleidenschaft weiter frönt, schließlich sogar ein Kurzfilm von ihm auf einem Filmfestival läuft und ausgezeichnet wird – wovon er aber leider nichts mitbekommt. Davon, dass sein Bruder Giancarlo ihn zwar abgöttisch liebt, ihn aber gleichzeitig glühend um alles beneidet, was Gigi „besitzt“: seine Freundin, sein Talent, sein fuoco e passione. Und so sabotiert er Gigis Karriere, wo er kann, spannt ihm die Freundin aus und lässt ihn weiterhin seine Missetaten ausbügeln.
Und Gigi? Der lässt das alles mit sich geschehen – unwillig und wütend, aber auch hilflos in seiner Liebe zu Bruder und Familie.
Drehbuchautorin Ruth Toma, wegen der ich eigentlich in Solino gegangen bin, schafft es auch hier wieder, wie in Gloomy Sunday – einen der besten deutschen Filme, die ich kenne – Charaktere zu entwerfen, die man sofort ins Herz schließt. Mit all ihren Macken und Fehlern und Dummheiten, die sie begehen – man sieht in ihnen immer das gute Herz, die menschlichen Schwächen, die niemandem fremd sind, ja, auch ein wenig sich selber: seine Träume, seine Wünsche und all die Dinge, die man im Leben vorhatte und die man nicht geschafft hat.
Und manchmal denkt man zurück an die Zeit, in der man auf all diese Träume hingearbeitet hat. Man hat schon fast wieder vergessen, wie viel Energie man auf sie verschwendet hat. Plötzlich fällt einem auf, dass man längst einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat – sei es aus Zufall, sei es aus Bequemlichkeit, sei es, weil es eben nicht anders ging. Und damit man nicht weggespült wird von einem Leben, das man gar nicht leben will oder Träumen, denen man nachtrauert, arrangiert man sich eben mit dem Leben, das man jetzt führt. Mehr als das: Man beginnt es zu leben und zu lieben – mit demselbem Feuer und derselben Leidenschaft, mit denen man vor Jahren seine Träume gepflegt hat. Und plötzlich ist das Leben, das man gar nicht haben wollte, etwas, das einen viel glücklicher macht als die Wünsche, die einem irgendwann mal im Hinterkopf rumgespukt haben.
Ich war ziemlich schlecht drauf, als ich in Solino gegangen bin. Eigentlich war das wieder einer dieser verzweifelten Abende, in denen ich mich ins Kino flüchte, um mich nicht mit mir selber beschäftigen zu müssen. Ich sitze also im Abaton, schniefe ein wenig vor mich hin, und plötzlich sind Moritz Bleibtreu, Barnaby Metschurat, Antonella Attili und Gigi Savoia nur für mich da und erzählen mir mehr auf Italienisch als auf Deutsch eine wunderbare Geschichte von Träumen, der Liebe, dem Kino und dem Leben. Und auf einmal habe ich gelächelt – über meine Träume, die Liebe, die ich empfinden durfte und darf, das Kino, das ich so liebe, und das Leben, dem ich einfach nicht entkommen kann.
Grazie, Fatih, grazie, Ruth. Danke für euer Feuer und eure Leidenschaft. Ihr habt mich mal wieder gerettet.
Niente, Anke, niente. Haben wir gerne gemacht. Aber jetzt geh nach Hause.
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Anke am 13. March 2005