Was schön war, Mittwoch/Donnerstag, 16./17. Mai 2018 – Eichhörnchenvorlesung und Kunstarchiv
Mittwoch ist Eichhörnchenvorlesungstag! So nenne ich bekanntlich die Vorlesung, die sich mit den Werkzeugen der modernen Malerei befasst. In der dieswöchigen Sitzung ging es um Farben, also nicht um ein Werkzeug, sondern um ein Material, aber auch hier lernte ich wieder tausend Kleinigkeiten, die mein Bild der Malerei um wichtige Bruchstücke ergänzten.
Wir begannen mit einer kleinen Einführung in die Geschichte der Farbherstellung, also wie aus Pigmenten und Bindemitteln die Farbe wird, die auf der Holztafel oder der Leinwand landet. Schon die Namen der alten Farben lassen erkennen, wie weit der Weg der Pigmente war, bis sie im zentralen Europa benutzt wurden. Das ist leider auch wieder so ein westlich-europäisches Denken – die Farben wurden natürlich auch in Asien und Afrika benutzt, wo diese Namen weitaus weniger Sinn ergaben. In Indigo steckt Indien (Bengalen) drin, und ich lernte die Indigo-Unruhen kennen, der mir bis dahin unbekannt war. Ultramarin („über das Meer“) wurde aus Lapizlazuli gewonnen, das hauptsächlich in Afghanistan abgebaut wurde (seitdem denke ich über die Farbe der afghanischen Burkas nach, bei denen ich mich schon länger gefragt habe: wieso sind die blau und nicht schwarz wie in arabischen Ländern die Frauengewänder?). Ich lernte, dass in der Renaissance die beauftragten Maler ihre Materialien genauso wie ihre Arbeitszeit abrechneten und dass Gold und Ultramarin extrem teuer waren, weswegen mit diesen Farbtönen nur die wichtigsten Bilddetails gemalt wurden (der Himmel als Goldgrund, das dunkelblaue Gewand der Maria). In Türkis steckt die Türkei, in Orange die exotische Frucht, in Indisch-Gelb … okay, das ist selbsterklärend. Was ich aber noch nicht wusste: Diese Farbe entstand aus dem Urin von Kühen, die mit Mangos gefüttert worden waren.
In diesem Zusammenhang lernte ich auch, dass Pigmente mit zu den ersten Dingen gehörten, die global gehandelt wurden. Einen wirtschaftlichen Buchtipp des Dozenten dazu lieh ich mir gleich aus. Und dazu noch ein Buch, das er empfahl, in dem es unter anderem um die schon angesprochenen Künstlerrechnungen geht und was sie uns über die Malerei der Renaissance verraten.
Wir kamen noch einmal auf den intellektuellen Kampf zwischen Linie und Farbe, disegno/colore, zu sprechen, der in der Renaissance begann, sich aber bis ins 19. Jahrhundert fortsetzte. Die beiden Spielarten der Malerei wurden gerne als männlich/weiblich positioniert, siehe das Bild von Il Guercino im Wikipedia-Link zu disegno. Das ging so weit, dass Charles Blanc in seinem Buch Grammaire des arts du dessin (1867) davon sprach, dass die Farbe nie die Macht über die Linie gewinnen dürfe, sonst würde sie die Malerei ruinieren so wie Eva die Welt ruiniert hätte. (Hier bitte das übliche Augenrollen meinerseits dazu denken.) Wir sahen auch wieder ein Bild von Gérôme, Der Farbenhändler (1890), in dem man, wenn man will, die Farbtöpfe mit den Pigmenten und den Stößel als weiblich/männlich interpretieren kann.
Wir sprachen dann über den Übergang von Tempera- zu Ölfarben, mit denen sich die Möglichkeiten der Darstellung deutlich veränderten. Weil Ölfarbe länger braucht, bis sie trocknet, kann man sie dementsprechend länger verarbeiten, verändern, mischen, während Tempera kaum noch nachträgliche Änderungen möglich macht. Vor allem für die Darstellung von menschlicher Haut und ihrer sinnlichen Qualitäten wurde Ölfarbe geschätzt, bis im 19. Jahrhundert der Historismus eine Zäsur schuf. Die Präraffaeliten in England sowie die Nazarener im deutschsprachigen Raum orientierten sich eher an alten Bildmotiven bzw. Malstil, während in Frankreich viele Künstler bewusst wieder zur Temperafarbe griffen, um der akademischen Ölmalerei etwas entgegenzusetzen.
Im 20. Jahrhundert bewarb Magna Paint ihre Acrylfarbe mit dem (sinngemäßgen) Slogan: „Die erste neue Farbe seit 500 Jahren.“ Ob das völlig stimmt, ließ der Dozent mal dahingestellt, aber: Die Acrylfarbe veränderte die Malerei erneut, ähnlich wie die industrielle Herstellung von Farben Ende des 19. Jahrhunderts den Welthandel mit Pigmenten veränderte bzw. zum Erliegen brachte. Anfang des 20. Jahrhunderts war übrigens das Deutsche Reich führend in der Herstellung; 90 Prozent aller Industriefarben stammten daher. Die zwei Weltkriege veränderten aber auch diese Industrie bzw. den Welthandel damit. (Ich wundere mich ja immer noch, was wir alles verkackt haben in unserer Geschichte. Es kommen immer wieder Details dazu, die ich noch nicht kannte.)
Zurück zur Acrylfarbe. Wir sahen unter anderem ein Bild von Thomas Hart Benton, dem Lehrer von Jackson Pollock, der mit der Moderne haderte. Sein Wandgemälde Instruments of Power from America Today (1930/31) besteht zum Teil aus Tempera, ein bewusst gewähltes Material. Pollock hingegen verwendete bewusst Acrylfarbe bzw. Autolack, der nicht nur andere Farbtöne aufwies, sondern sich auch anders auf seinem Malgrund verteilen ließ. Autolack kam im Eimer und musste nicht mehr auf Paletten angemischt werden; seine Drip Paintings wären mit althergebrachten Materialien gar nicht möglich gewesen. Er sagte 1951 in einem Interview: „Each age finds its own technique.“ Ich musste sofort an die Videokunst der 70er und 80er Jahre denken, die heute nicht mehr von anfälligen Bändern und Videorekordern abgespielt wird, sondern schon auf DVD existiert (noch). Oder die ersten Kunstwerke, die sich mit Computern und dem Internet auseinandersetzten und schon heute total veraltet aussehen, obwohl sie gerade mal 20 bis 30 Jahre alt sind. Gleichzeitig denke ich aber über die Renaissance der Malerei nach wie sie zum Beispiel Neo Rauch betreibt, der für meinen Geschmack immer barocker wird.
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Gestern saß ich dann wieder im Kunstarchiv in Nürnberg und wühlte den Nachlass von Protzen ein zweites Mal durch. Seit dem ersten Durchgang hatte ich viel gelesen und mich weiter in dieser Zeit umgeschaut, aber vor allem hatte mein Kopf die Gelegenheit, alles sacken zu lassen. So sah ich gestern Dinge, die mir beim ersten Anschauen nicht aufgefallen waren. Zum Beispiel hatte ich seine vielen privaten Fotoalben nur flüchtig durchgeblättert, sah nun aber, dass viele Motive aus Urlauben oder von Wochenendausfahren sich in seinen Gemälden wiederfanden. Ich sah Ölbilder, die eindeutig auf die Grafikmappe von 1920 rekurrierten, ich konnte Namen und Daten besser einordnen, die mir jetzt in der Korrespondenz unterkamen (die leider nicht sehr reichhaltig vorhanden ist), und ich konnte generell sein Werkverzeichnis etwas aufmerksamer anschauen als beim ersten Mal, weil ich inzwischen ein bisschen besser weiß, wo ich hinmöchte.
Außerdem durfte ich gestern die 15 Kisten des noch unverzeichneten Nachlasses nummerieren und habe mir brav notiert, was ich in welcher Kiste oder Mappe finde; das wird mir bei den nächsten Durchgängen sehr helfen. Dass es noch weitere Durchgänge geben wird, ist klar, aber jetzt warte ich erstmal auf ein paar Antworten per Mail bzw. schreibe noch an weitere Menschen, Firmen und Institutionen, von denen ich mir Auskünfte erhoffe. Das wird! (Hoffe ich.)