Was schön war, Mittwoch, 6. Juni 2018 – Rakel
Mittwoch ist Eichhörnchenvorlesungstag. In der letzten Sitzung, die ich zu faul war zu verbloggen, sprachen wir über die „Handschrift“ von Künstler*innen – also ihre visuellen Eigenarten, der bestimmte Pinselstrich oder ähnliches; van Gogh drängt sich hier geradezu als Beispiel auf. Jahrhundertelang war eben diese Handschrift vernachlässigt worden – ich schrieb bereits darüber, dass das geistige Konzept hinter einem Werk als wichtiger angesehen wurde als dessen Ausführung. In der Akademiemalerei im Frankreich des 19. Jahrhunderts erreichte diese Idee seinen Höhepunkt, indem per Blaireautage, der Nachbearbeitung mit dem Dachshaarpinsel, jede vorherige Pinselschraffur geglättet oder ganz getilgt wurde, so dass keine Spur mehr davon zu sehen war, dass dieses Kunst-Werk ein Hand-Werk war.
Interessanterweise sorgte auch die Fotografie dafür, dass diese Haltung überdacht wurde. 1856 fotografierte das Studio Mayer & Pierson in Paris den Comte Cavour. 1862 verfremdete ein anderes Fotostudio diese Aufnahme, woraufhin Mayer & Pierson die erste Copyrightklage der Fotografiegeschichte einreichten. (Auf gemalte Werke gab es seit 1793 ein Copyright.) Daraufhin wurde erstmal diskutiert, ob die Fotografie überhaupt eine Kunst sei, denn ein Fotograf sei praktisch nur ein operateur einer Maschine. Trotzdem kam man nicht ganz darum herum, sich auch über das Konzept, die geistige Idee hinter einem Werk zu unterhalten, die hier offensichtlich kopiert wurde, auch wenn es in diesem Fall noch nicht zu einer Verurteilung wegen Copyrightsbruch reichte.
Wir begannen die letzte Sitzung mit dem Hinweis von Meyer Shapiro, der in den 1960er Jahren, wenn ich mich richtig erinnere, etwas überspitzt meinte, Kunst, auch bzw. gerade die abstrakte, sei zutiefst human, denn Gemälde und Skulpturen seien die letzten wirklich handgemachten Gegenstände der Moderne. Gestern sprachen wir dann über Gerhard Richter und seine Rakel, mit der er quasi jede eigene Handschrift negiert und nur (?) sein Werkzeug Spuren hinterlassen lässt.
Der Dozent verwies hierbei natürlich auch auf den Film Gerhard Richter Painting, aus dem wir viele Stills zu sehen bekamen, in dem er, soweit ich mich erinnere, fast dauernd mit der Rakel in der Hand an seinen Bilder vorbeischreitet, sie gerne noch ein bisschen hängen lässt und dann wieder an ihnen arbeitet. Ganz eventuell bezieht sich dieser hübsche Cartoon von 2013 darauf; der Film kam 2012 in die US-amerikanischen Kinos.
Der Dozent meinte, dass sich die Kunstgeschichte bisher noch nicht mit der Rakel Richters auseinandergesetzt habe und trug uns daher seinen eigenen Katalogbeitrag vor, der demnächst zu einer Richter-Ausstellung im Museum Barberini erscheinen wird. Den Katalog empfehle ich euch einfach mal, denn das war eine äußerst spannende Sitzung, auch wenn ich Richters Spätwerk immer noch etwas misstrauisch gegenüberstehe.
Für mich interessant: die Rakel, wie der Duden sie nennt, wird in vielen deutschen Publikationen zu dem Rakel, warum auch immer (hier bitte die üblichen geistigen Abrisse zu Männer = Kunst, Frauen = Frauenkunst einfügen). Im Englischen wird aus diesem Werkzeug gerne squeegee anstatt wie vorbildlich in der Wikipedia beim Spracheumschalten doctor blade, wobei letzteres ein Werkzeug aus dem Druckverfahren bezeichnet, ersteres aber das Gummiding zum Fensterputzen. Daher finden sich in der englischen Literatur zu Richters Rakelwerken auch gerne Vergleiche zu Seifenspuren wie nach dem Fensterputzen, generell der Hinweis auf Leinwände als Fenster zu irgendwas oder eben das Versperren desselben durch Farbe. In der deutschen Literatur fehlen diese Assoziationen völlig. (Hier bitte die üblichen geistigen Abrisse zu „Aber Sprache ist doch egal, die formt unser Denken doch nicht und Frauen sind halt mitgemeint“ einfügen.)
Nochmal zur Handschrift: Richter meint selbst zu seinen Rakelwerken, dass er bei ihnen eher etwas entstehen lasse anstatt etwas zu kreieren. Vermutlich ist das genau mein Problem mit den Dingern; anscheinend hänge ich auch noch an dem ollen Renaissancekonzept, dass die Idee hinter einem Werk wichtig ist, und ich habe Probleme mit Werken, die einfach irgendwie da sind. Obwohl ich sie schon gerne anschaue. Ja, auch die Rakeldinger (hier ein winziger Ausschnitt).
Richter selbst nennt sein Werkzeug übrigens Spachtel, jedenfalls in diesem Monsterwerk, indem er sich genau zweimal darauf bezieht, und beide Male sagt er nicht Rakel. Vermutlich bezieht er sich auf Courbet; auch über ihn und seine Palettmesser schrieb ich bereits. Zwei seiner Bilder rekurrieren sogar bewusst auf diesen Maler.
Dann ging es um August Strindberg, von dem ich bisher nicht wusste, dass er auch gemalt hatte. Hat er aber, und angeblich stammt von ihm die Idee der Farbresteverwertung auf Paletten (ich hoffe, ich habe mir das richtig notiert). In der Sitzung über Paletten hatten wir bereits erfahren, dass einige Maler*innen aus den Farbresten auf der Palette noch ein Bild schufen – eben auf der Palette. Strindberg nutzte diese Reste aber nun und malte aus ihnen ein neues Bild; er zwang sich selbst quasi dazu, aus einer vorgegebenen Farbauswahl ein Motiv zu schaffen. Richter machte mit seinen Rakelbildern etwas ähnliches: Nachdem ein Bild fertig war, streifte er die noch farbige Rakel auf bereitliegenden, meist belanglosen Urlaubsfotos ab (Beispiel „Firenze“). Keine Ahnung, ob das ein bewusster Bezug ist oder ein simpler Zufall, aber sowas mag ich. (Dass Richter sich fast von Anfang an mit Fotografie und ihre Verwendung in der Malerei interessierte, dürfte Dauerleser*innen dieses Blogs bekannt sein; in meiner MA-Arbeit bezog ich mich auf frühe Gemälde, für die er per Episkop Fotos auf die Leinwand projizierte und sie nachmalte. Mein übliches Beispiel: Onkel Rudi.)
Wir sprachen auch über andere Bezüge von Künstlern auf Künstler. Richters Rakel waren auch hierfür der Ausgangspunkt, denn der Fotograf Timo Schmidt baut sie nach und fotografiert sie. Ein anderes Werk in diese Richtung wäre Rauschenbergs Erased de Kooning: Hierfür hatte Rauschenberg de Kooning um ein Bild gebeten, das er ausradieren wollte. Nach anfänglichem Zögern überließ de Kooning Rauschenberg ernsthaft ein Bild, das dieser, wie angekündigt, ausradierte. Ãœber 50 Jahre später schuf J. Newton das Werk Not Rauschenberg’s Eraser, eine Plastikbox mit Radiergummis darin.
Richter verarbeitete Palettenreste noch anders. Für seine Serie Ausschnitt fotografierte er winzige Details seiner farbbeschmierten Palette und malte diese Fotos dann übergroß nach. Ein Ausschnitt-Bild trägt den Zusatz Makart. Es bezieht sich auf den Maler Hans Makart, der ebenfalls gerne auf seinen Paletten malte. Der Dozent erzählte die Geschichte von Makarts riesigem Schinken (seine Worte) „Der Einzug Karls V. in Antwerpen“, das ich aus der Hamburger Kunsthalle kenne. Das Ding kostete damals so viel wie ein Viertel des gerade neu errichteten Gebäudes – oder wie der Dozent es ausdrückte: so viel, wie heute ein Richter kostet. Angeblich erhoffte sich die Kunsthalle von dem damals sehr angesagten Maler einen ähnlichen Coup wie der Louvre mit seiner Mona Lisa, die schon damals die Massen anzog. Dummerweise war Makart recht schnell den meisten Leuten egal – so wie übrigens heute auch der Kunsthalle. Das Bild ist zu groß, um es umzuhängen, weshalb es seit dem Umbau vor kurzer Zeit nun fieserweise für die Besucher*innen unsichtbar hinter einer eigens errichteten Gipswand hängt. Von mir aus könnte die Neue Pinakothek das mit den ganzen Pilotys auch so machen. Wobei ich Makarts Falknerin dort gerne anschaue. Und ich vermisse ein bisschen den großformatigen Richter am Aufgang der Pinakothek der Moderne. Wo hängt der eigentlich gerade?