Links von Sonntag, 10. Juni 2018 – Museen und ihre Besucher*innen
Ein längerer Artikel über Museen und ihren Einsatz von Social Media – bzw. den Einsatz der Besucher*innen. Autor Rob Horning beginnt mit einer Beschreibung einer Installation im MoMA, bei der man nicht fotografieren durfte, was ihn irritierte, schließlich dürfen wir alles und überall fotografieren. Bis man die Installation betrat, stand man in einer Schlange, und dort waren alle mit ihren Handy beschäftigt: „Being online goes so well with being on line.“
Erst als er sich in der Installation aufhält, fällt ihm auf, dass sein Handy bzw. sein Bezug darauf ihn etwas gekostet hat: seine aktive Teilnahme an seiner Umgebung:
„Even in a museum I’m always, in some way, connected, networked; my phone negates any effort to lift me to a transcendent plane of aesthetics or push me into a discomfiting social encounter with strangers. Phones promise a range of social experiences, opportunities to chat, flatter, impress, bully, seduce, or ignore other people. They let me calibrate my sense of personal distance, the degree to which I engage with what’s going on, make myself a lurker or a participant. The fact that I couldn’t use it inside the installation did not make me forget about it. In fact, I became even more conscious of it — the supposed enemy of aesthetic focus and bodily presence — and the curious sort of safe space inside the installation where I was forced to be free.“
Horning schlägt in seinem Artikel nicht den üblichen kulturpessimistischen Ton an, dass die bösen Smartphones uns der Welt entfremden. Aber er macht klar, dass sie unser Verhältnis zu unserer Umgebung verändern – und auch unser Verhältnis zu uns selbst und unserem Platz in der Welt.
Ich meckere ja auch gerne darüber, dass man in Museen nicht fotografieren darf, aber nicht weil ich dringend ein Selfie brauche, sondern weil ich gerne teile, was ich erlebe. Wenn ich ein Kunstwerk spannend finde, hoffe ich, dass andere es auch spannend finden. Wenn ich in einer Vorlesung so viele neue tolle Dinge lerne, möchte ich, dass auch andere sie lernen können, und deswegen schreibe ich sie ins Blog. Genau dieser Aspekt des Weitergebens und Vermittelns ist in einigen Museen aber nicht mehr der Hauptaspekt ihres Daseins; Horning benennt im Laufe des Artikels vor allem Newfields in Indianapolis, das mehr eine Bühne für Events sein möchte als ein stiller Ort der Kontemplation. Diese Erosion in der Aufgabe eines Museum begann für ihn mit Social Media. (Wobei amerikanische Museen, soweit ich weiß, unter sehr anderen Vorzeichen operieren als deutsche.)
„The discussion around social media and museums, like the discussion around social media in general, often focuses on the narcissistic compulsion to document ourselves in lieu of paying attention to what’s in front of us. But this critique sets up an untenable separation between our screens and our lives. Our phones not only remove us from our environment, they also allow us to renegotiate our relationship to it — to decide how and with whom we engage. That is, social media has created an expectation that public space is always measured. In the past two decades, museums largely moved from presenting their collections to facilitating relational experiences, and now their attempts to capitalize on the popularity of mobile phones and social media are causing a new shift: from orchestrated physical togetherness to an aloneness together.“
Der Autor geht auch auf eine neue Art von Kunstinstallationen oder Branding im urbanen Raum ein, die von vornherein dazu dienen, instagrambar zu sein; er nennt den Rain Room im LACMA, erwähnt auch Yayoi Kusamas Infinity Mirrors, wobei letztere meiner Meinung nach eher durch die vielen Instagram-Posts erst instagrambar geworden sind und nicht durch ihr Dasein. Er erwähnt aber auch die dreidimensionalen Schriftzüge in touristisch beliebten Städten wie das „I AMsterdam“ vor dem Rijksmuseum, vor dem jede*r ein Foto macht (ich auch).
„Social media and museums, on the surface, do have a lot in common. Both are, after all, fundamentally archives with exhibition spaces. Both share a preoccupation with “authentic content” and “meaningful expression,” to borrow some of Facebook’s language for what it claims to provide its users. But social media and museums go about supplying “authenticity” in necessarily different ways that, when combined, negate each other. What is authentic in social media relies not on provenance but appropriation: using borrowed or staged images to say something about your own identity.
“Traditionally,” Groys writes, “the gaze of the spectator was directed from the outside of the artwork towards its inside.” That is, the spectator was expected to look at art and try to understand it. But the pretense that the spectator is an elite or would-be elite who seeks the requisite training to enjoy the aesthetic experience has been nullified. “The gaze of the contemporary museum visitor,” Groys continues, “is, rather, directed from the inside of the art event towards its outside — towards the possible external surveillance of the event and its documentation process, towards the eventual positioning of this documentation in the media space and in the cultural archives.” That is, visitors now come to think about their own place in the event they have elected to participate in.“
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Wie kommen Nicht-Besucher ins Museum?
Es ist ja nicht generell schlecht, dass man sich mehr Besucher*innen ins Haus holen möchte, sei es nun durch außenwirksame Events oder Blockbuster-Ausstellungen. Aber manchen Museen geht es um mehr: Sie wollen schlicht ein Raum ohne Schwellenangst werden. Die Kunsthalle Mannheim hat nach einem großen Umbau zum 1. Juni neueröffnet und versucht, durch digitale Strategien, aber auch durch ihre Architektur und Hängung ein eher bewegliches Museum zu werden.
„Die Kunsthalle Mannheim soll ein Ort für alle sein – besonders für die Menschen, die in Mannheim leben, erklärt Ulrike Lorenz. „Unser Atrium im Museum ist für alle frei zugänglich, ohne Eintritt. Und jeder ist eingeladen, hier her zu kommen, sich im Museum aufzuhalten und auch unser freies WLAN zu nutzen. Das wollen wir auf jeden Fall bewerben, denn für uns ist das die Möglichkeit, dass Menschen einfach überhaupt den ersten Kontakt zu einem Museum haben können.“
Die Museumsdirektorin wünscht sich, dass so auch Nicht-Besucher in Kontakt mit dem Museum kommen und feststellen, dass ein Museumsbesuch auch Spaß machen kann und dass er vielfältiger und spannender ist, als man es sich vielleicht vorher vorgestellt hat. „Ich mag hier den Ausspruch des Schweizer Künstlers Rémy Zaugg, der einmal gesagt hat: In ein Kunstmuseum zu gehen, soll nicht ungewöhnlicher sein, als in einen Autobus zu steigen. Wir wollen diese Art von Alltäglichkeit demonstrieren und auch nachprüfbar machen. Als Kunsthalle Mannheim werden wir den Leuten die Schwellenangst und Bedenken nehmen. Wir wollen zeigen: Es gibt einen solchen Reichtum hier, nehmt ihn euch – er gehört vom Prinzip her euch. Ihr seid die Besitzer dieser Sammlung. Nehmt unsere Angebote an und macht eure eigenen Angebote, wir wollen mit euch ins Gespräch kommen.““
Wolfgang Ullrich hat zu diesem Thema mit der Museumsdirektorin Ulrike Lorenz ein Streitgespräch geführt, es ist hier in Auszügen lesbar.