Tagebuch, Freitag, 22. Juni 2018 – Beschneidewerkzeug, umbenennen, Apfel+S
Morgens das Stativ zum Leihservice zurückgebracht, genauso freundlich empfangen worden wie beim Abholen. Bei der Hausärztin ein Rezept abgeholt und einen Termin vereinbart, das übliche Durchchecken von gewissen Organen (alle anderen werden ignoriert, bis sie sich rühren). Mir einen Einkauf im Teahouse verkniffen, weil ich noch bergeweise Tee zuhause habe, wobei mir der neulich erstandene Nilgiri von dort wirklich äußerst gut schmeckt; ein bisschen habe ich noch. Neuen Brotteig für heute angesetzt,; dieses Mal versuche ich mich an Baguettes, nachdem das erste Rezept aus neuen Backbuch schon so ein Kracher war. Sollte ich demnächst mein Lieblingsbrot selber backen können? Das wäre ziemlich toll. Denke über einen Weinberg nach, eine Rösterei und eine Sennerei. Und eine kleine Galerie. Und wie ich an viel Geld komme.
—
Anstatt diesen Gedanken nachzuhängen, setzte ich mich für den Rest des Tages an den Schreibtisch und begann, die am Donnerstag gemachten Bilder zu bearbeiten. Das Werkverzeichnis von Protzen besteht aus vier Fotoalben, in denen in halbwegs korrekter Reihenfolge ein Großteil seiner Werke als Foto versammelt ist. Auf einer Albumsseite befinden sich von einem bis zu fünf Bildern alles, manche Werke wurden nochmal einzeln abgelichtet, was für mich ein kleiner Hinweis darauf sein könnte, welche Bilder er selbst geschätzt hat oder auch welche er für Ausstellungen oder Einreichungen oder als Pressebeleg vorgesehen hatte. Ich vermute, dass das Verzeichnis erst posthum von seiner Frau angelegt wurde, daher kann es natürlich auch ihre Auswahl sein. Ich spekuliere im Moment wild rum, das mache ich bei allen Arbeiten, und hoffe, irgendwann Belege zu finden. Wenn ich das nicht tue, bleibt es bei schönen Theorien. Die breite ich dann im Blog aus, wo mir keiner was kann, ha!
Ich habe immer eine Albumsseite fotografiert und musste daher gestern damit beginnen, aus den eben erwähnten fünf Bildern auf einer Seite einzelne zu machen, denn ich möchte sein komplettes Verzeichnis als Einzelbilder haben. Erstens kann ich sie dann ständig schnell durchklicken, und zweitens kann ich sie nach Gruppen sortieren: Stillleben, naturalistisch – Stillleben, neusachlich – Autobahnbilder – Landschaften – Porträts – Kniestücke – Ganzkörper – Tiere – und was weiß ich noch. Ich kann seine Frankreichbilder von den ganzen bayerischen Landschaften trennen, von der Toskana und den polnischen Stadtansichten (damals noch das Generalgouvernement). Ich kann nach Jahren sortieren (vor 33, 33 bis 45, nach 45), ich kann stilistische Ordner anlegen und thematische. Aber dafür brauche ich eben erstmal alle Bilder als Einzeldatei. Bei knapp 700 Werken wird das noch ein paar Tage dauern, wie ich gestern gemerkt habe.
Ich habe begonnen, Bildern Titel zu geben, wenn keine am Foto vermerkt waren und fühlte mich wie Gott. Ich benenne Dinge, huarhuarhuar! Nebenbei merkte ich mal wieder fasziniert, wie sehr mir „Dinge erkennen“ in Fleisch und Blut übergegangen ist. In den 1920er Jahren hatte Protzen eine Phase mit christlichen Motiven, einen Hauch expressionistisch, ähnlich wie Leo von Welden, der allerdings naturalistisch blieb; beide gaben dieses Thema zur NS-Zeit auf. Bei Protzen guckte ich nun auf eine biblische Geschichte nach der anderen und freute mich darüber, wie leicht es mir fiel, das Gezeigte benennen zu können (Kreuzabnahme, Moses, Pfingsten, Hl. Familie bei der Rast etc.). Ich mag das facheigene Vokabular, so wie ich es als Zapferin hinter der Theke mochte, kurz in die Runde „Fasswechsel“ zu brüllen, wenn ich in den Keller musste, um ein neues Bierfass anzuschließen, und jeder wusste, was gemeint war. Oder als Filmvorführerin, wo ich plötzlich lernte, was ein Teller noch sein kann und was eine Tonlampe. Ich höre immer gerne Menschen im Berufskontext zu, zum Beispiel Verkäuferinnen in Geschäften, die mit wilden Kürzeln oder Begriffen um sich werfen, und ich weiß nie, worum es geht.
—
Um 17 Uhr aufs Sofa gewechselt, um Island dabei zuzugucken, wie sie gegen Nigeria verlieren. Kein Hu mehr. *snif*
—
Abends mit F. zunächst beim Kebapladen um die Ecke einen äußerst wohlschmeckenden Mixteller genossen, wobei ich allerdings vergaß, dass Peperoni durchaus scharf sein können. Aber: Ich esse mich da ran! Irgendwann mit 75 werde ich in einem indischen Restaurant furchtlos ein Curry ordern! Man muss sich immer neue Ziele setzen!
Den Restabend mit F. und Gin Tonic verbracht, die Woche gemeinsam rekapituliert, wieder darüber gerätselt, wie man mit Twitter umgehen soll, jetzt wo es keine Kuschelgruppe mehr ist, sondern eine einzige Masse aus Katastrophenmeldungen. (Auch deswegen freute ich mich gestern sehr über James Cordons Carpool Karaoke mit Paul McCartney, weil es ein kleiner Leuchtturm an Schnuffigkeit war.) F. meinte, Twitter fühlt sich inzwischen wie ein unmoderiertes Forum an: Es gibt keine Gruppen mehr, keine gesetzten Themen und niemand, der mal dazwischengeht, und deswegen kann man der ganzen Panik und schlechten Laune nicht ausweichen, egal wieviele Listen man anlegt und wievielen eigentlich gerne gelesenen Menschen man entfolgt. Ich kriege es auch immer noch nicht hin, mich dort wieder wohlzufühlen, und ich kriege es auch nicht immer hin, jetzt mal keinen verdammten Trump-Link zu vertwittern. Ich versuche es weiterhin mit der Taktik, nicht mehr dauernd online zu sein, die App bewusst für ein paar Stunden zu schließen und sie vor allem nicht direkt vor dem Schlafengehen noch mal zu öffnen. So richtig glücklich bin ich damit immer noch nicht, aber dass ich gestern in eine Vuvuzela gepustet und Töne erzeugt habe und wie der korrekte Plural von „Fokus“ lautet, musste ich dann doch teilen. Weil wichtig.