Was schön war, Donnerstag, 21. Juni 2018 – Knipsen, lesen, quatschen

Gestern hatte ich mir mal wieder den Nachlass der Protzens im Kunstarchiv Nürnberg zurücklegen lassen. Durchgesehen hatte ich die Boxen und Mappen ja schon mehrfach (okay, zweimal), und für meine erste Zwischenbilanz sowie das Doktorandenkolloquium, das vermutlich im September oder Oktober stattfinden wird, brauchte ich jetzt mal einen Schwung Bilder. Außerdem ist es, wer hätte es gedacht, viel leichter, über einen Ausschnitt aus dem Gesamtwerk nachzudenken, wenn man das Gesamtwerk kennt, es also vor der Nase hat anstatt dafür nach Nürnberg fahren zu müssen.

Beim letzten Archivbesuch hatte ich den noch unerschlossenen Nachlass ein bisschen für mich erschlossen. Ich hatte mir notiert, in welchen Boxen was liegt und was genau mich davon interessiert. Ich wusste also zum Beispiel, dass in der von mir nummerierten Box 2 drei Fotoalben lagen, in denen Protzens Ölgemälde Nr. 306 bis 685 abgebildet waren. Die wollte ich komplett ablichten, um alle seine Werke digital vorliegen zu haben. In Box 3 liegen Werbegrafiken von ihm, die ich im Hinblick auf seine späteren Autobahnbilder äußerst aufschlussreich finde, in einer Mappe liegen Urlaubsfotos, deren Motive sich später in Öl wiederfinden usw.

Ich fragte im Archiv nach, ob sie einen Overheadscanner hätten, den ich benutzen dürfte. Haben sie garantiert, denn man kann sich ja Scans bestellen, aber für den Publikumsverkehr ist der anscheinend nicht freigegeben; ich dürfte aber mit meiner eigenen Kamera lustig fotografieren. Das klingt zwar erstmal fies, ist aber im Vergleich zu anderen Archiven, wo man meist nicht mal mit dem Handy Bilder machen darf, schon ganz okay. (Vielleicht kann mir in diesem Zusammenhang mal jemand erklären, warum ich teilweise Archivgut mit bloßen Händen anfassen, aber kein iPhone drüberhalten darf.)

Ich besitze seit einiger Zeit wieder eine hübsche Kamera, die ich allerdings viel zu wenig benutze. Ich habe blöderweise erst nach dem Kauf festgestellt, dass mich das Fotografieren mit Display nervt, ich hätte gerne wieder einen Sucher. Gestern merkte ich aber, dass für die schnarchlangweilige Dokumentenfotografie ein Display ziemlich schnafte ist.

Aber so weit war ich noch gar nicht. Vorgestern fragte ich, ob jemand ein Reprostativ hätte, mit dem ich arbeiten könne. Unser Medienraum in der Uni hat sowas, aber leider nicht in transportabler Größe. Ich bekam aber auch den Tipp, es bei Fotogeschäften zu versuchen, die hätten manchmal einen Leihservice. Das wusste ich noch nicht! Ich rief bei Foto Sauter an, die mir bedauernd sagten, ein Reprostativ hätten sie nicht, aber man könnte ein Dreiwegestativ nehmen und die Mittelstange umdrehen, dann müsste man die Kamera ja so anbringen können, dass sie nach unten zeigt – wenn ich mal kurz dranbleiben könne, der freundliche Herr am Telefon versuche das mal eben … ja, das geht. Vorbeikommen und abholen, bitte. Das erledigte ich dann noch am Mittwochabend, zahlte 19 Euro Gebühr für einen Tag Leihzeit, baute das Ding probehalber auf dem eigenen Schreibtisch auf, fotografierte ein bisschen damit und stellte fest, das ging wirklich gut.

Gestern setzte ich mich dann wie immer in den ICE, allerdings nicht den frühen, mit dem ich zur Öffnungszeit des Archivs um 9 vor Ort bin, sondern den etwas späteren. Außerdem gönnte ich mir bei den gestrigen 28 Grad eine Station U-Bahn-Fahrt vom Hauptbahnhof zum Opernhaus, anstatt den Weg wie sonst zu Fuß zu gehen (ich mag die führerlose U-Bahn so gerne). Ich transpirierte leider trotzdem etwas, als ich im Archiv ankam, war allerdings auch schwer bepackt. Rucksack mit Rechner, Netzteil, Notizbuch, Zug- und Wartezeitenüberbrückbuch, Wasserfläschchen und externem Trackpad (das im MacBook zickt neuerdings etwas) sowie die Tasche mit Stativ und Kamera waren doch schwerer als ich dachte. Egal. Angemeldet (ich wurde schon erkannt), Sachen ins Schließfach geworfen, an meinen Tisch gegangen und mein Pseudo-Reprostativ aufgebaut.

Hinter dem Stuhl auf dem Wägelchen liegt der komplette Nachlass, mehr ist das leider nicht. Aber immerhin. Weil ich mir bei den Urheberrechten nicht so sicher bin, habe ich die Bilder, die ich abfotografiere, übrigens für die Blogbilder absichtlich teilweise verdeckt. Nur dass ihr nicht denkt, ich wäre zu doof, meine Handschuhe vernünftig abzulegen. Die Gummibänder um die Kamera sind nur für meine neurotische Angst, das Schraubgewinde könnte doch nicht halten. Vermutlich unbegründet, aber man weiß ja nie.

Und dann fotografierte ich. Und fotografierte. Und fotografierte some more. Meine Güte, ist das langweilig, vier Stunden lang nichts anderes zu tun als Dinge hinzulegen, durch ein Display zu gucken, scharfzustellen und abzudrücken. Ich hatte auch nicht das Gefühl, noch wirklich was zu sehen, ich zog einfach nur Zeug aus Boxen, legte es hin, knipste und machte alles nochmal. Das ist echt nicht mein Job. Leider war die Lichtsituation auch nicht die allerbeste, um Fotos zu fotografieren. Papiere und Dokumente gingen einwandfrei, aber bei den blöden glänzenden Bildern habe ich doch manchmal einen Lichtreflex drauf, trotz MacBook zum Abschirmen und meinem wild in die Gegend gehaltenen Notizbuch. Die meisten Seiten der Fotoalben habe ich mehrfach fotografieren müssen, um halbwegs blendfreie Bilder zu kriegen, denn irgendeinen Punkt gab’s halt doch, wo nichts reflektierte. Trotzdem ahne ich, dass ich irgendwann schlampig geworden bin wie das leider meine Art ist bei monotoner Quatscharbeit. Heute werde ich alle Bilder durch den Photoshop jagen und dann gucken wir mal. (Yay, 900 Bilder im Photoshop angucken! Ächz.)

Um 15 Uhr beschloss ich, keine Lust mehr zu haben und außerdem zickte mein Rücken vom vielen komisch Rumstehen und gebückt über Dingen hängen. Ich hatte alles abgelichtet, was ich mir vorgenommen hatte, und dann noch ein bisschen. Für alles weitere muss ich notfalls nochmal vorbeischauen.

Für den Abend hatte ich mich mit jemandem verabredet, den ich seit hundert Jahren lese, und den ich vor ungefähr zehn Jahren mal in Hamburg auf einer kleinen Feier getroffen hatte. Der gute Mann hatte nicht ganz so früh Feierabend wie ich, also überbrückte ich die Zeit mit einem sehr guten Flat White und einer großen Apfelschorle bei Marchhörndl, nachdem ich mir brav St. Lorenz angeguckt hatte. Dort hatte ich aber gemerkt, echt nicht mehr gucken zu können, auch wenn ich mich sehr über den Chorumgang in der Kirche freuen konnte. Chorumgänge sind super. Vor der Kirche fand gerade irgendeine kleine Handwerks- und Industriemesse statt, und während ich auf alte Gemälde mit Goldgrund guckte, hörte ich einen mittelmäßigen Elvis-Imitator. Auch das war, neben meiner Kopfmatschigkeit, ein bisschen dem Kunstgenuss abträglich.

Ich las im Café, dann las ich auf einer Bank in der Fußgängerzone, und dann hatte auch der Herr Feierabend und mein Kopf war wieder wach. Wir setzten uns in einen netten Biergarten mit noch netterem Service, aßen eine Kleinigkeit, ich gönnte mir drei schöne Dunkelbiere und blubberte vermutlich viel zu lange über Nazischeiß (sorry!), wir sprachen aber immerhin nur drei Minuten über Trump und zwei über Söder, und dann viel länger über schöne Dinge. Das war sehr nett, vielen Dank. Auch für die Wegbeschreibung zum Bahnhof: „Einfach immer an der Stadtmauer lang.“ Das können ja auch nicht mehr viele Städte von sich sagen.

Der Herr musste etwas früher weg als mein Zug fuhr, also trank ich mein letzten Bierchen sehr gemütlich, las weiter, schlenderte dann zum Bahnhof, las dort noch, stieg um kurz vor zehn in den ICE und, wer hätte es gedacht, las. Ich beendete das sehr schöne Buch fast punktgenau – fünf Minuten, bevor der Zug im München ankam. Das freut den inneren Monk.

Für die zehnminütige Wartezeit auf die U-Bahn nach Hause hätte ich sogar noch ein zweites Buch im Rucksack gehabt (MAN WEISS JA NIE!), aber mein Kopf war schon im Bett. Der Körper kam relativ schnell nach.