Tagebuch, Mittwoch, 4. Juli 2018 – Letzte Sitzung vor den Klausuren, die mir seit zwei Semestern egal sind, ha!
Um zehn saß ich brav im Hörsaal, wo die letzte Sitzung der Eichhörnchenvorlesung stattfand. Oder wie sie richtig heißt, die Vorlesung zu Materialien der modernen Malerei. Der Dozent hatte sich für diese Stunde einen Gast eingeladen, dessen Namen ich mir leider nicht notiert habe, aber der gute Mann promoviert gerade zum Thema Fotografie. Genau dazu referierte er auch eine gute Stunde, ich notierte mir wie immer Bücher oder Aufsätze, die für mich spannend klangen, und nebenbei blitzten im Kopf wieder Dinge auf, die für meine Dissertation wichtig sein könnten. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie genau der Referent mich in diese oder jene Richtung schubste bzw. was genau er sagte, denn das hatte alles gar nichts mit meinem Thema zu tun, aber inzwischen genügen irgendwelche Reize und mein Kopf legt an die Diss Fragezeichen an, die ich jetzt notgedrungen beantworten muss. Will. Werde. (Hoffentlich.)
Danach sagte der Dozent noch kurz was zur Klausur, ich klinkte mich geistig aus, auch bei den üblichen Fragen, die nach der Erklärung kamen und die nie was bringen. Zum Abschluss wurde ich dann aber wieder hellhörig, denn der Herr meinte, dass eine Kollegin ihm gesagt hätte, dass Teile seiner Vorlesung verbloggt worden wären – das hätte ihn sehr gefreut und seine Tochter auch, die habe das gerne gelesen und wüsste nun, was ihr Vater eigentlich genau macht.
Ich wollte nach der Stunde eh runtergehen und mich persönlich bedanken. Ich war zur Vorlesung nicht angemeldet, weil ich als Doktorandin eingeschrieben bin und daher keine ECTS-Punkte mehr sammele, weswegen ich nicht den üblichen Link zur Evaluation der Lehrkräfte zugeschickt bekam, unter dem ich sonst immer lobhudele wie nichts Gutes. (Meistens jedenfalls.) Also wollte ich das persönlich erledigen und hatte nun auch einen Gesprächsanfang: „Ich bin das Blog.“ Der Dozent meinte, dass meine Art der Vorbereitung – Dinge verbloggen – vermutlich eine effektivere Klausurvorbereitung war als das blöde Auswendiglernen der Folien, die er eh nur als „Fragment“ ansieht. Den Gedanken hatte ich beim Bloggen auch schon mal. Ich meinte, dass ich, gerade weil ich nicht für die Klausur lerne, sondern mir fürs Blog nur die großen Bögen gemerkt oder aufgeschrieben habe, auch anders zugehört hatte. Solange ich wusste, dass ich abgefragt werde, habe ich zehn Semester lang bei jedem Fakt überlegt, ob der wohl klausurrelevant sein könnte … ach, lieber zuviel als zuwenig aufschreiben. Das war bestimmt kein Fehler, aber ich merke jetzt, in der ersten Vorlesung ohne Abschlussklausur, dass ich dem Dozent viel aufmerksamer, weil unselektiver zugehört habe. Ich habe warten können, bis ein Gedanke abgeschlossen war und konnte mich dann entscheiden: Will ich das im Blog teilen oder ist das zu spezifisch für meine Leserschaft? Ist das wirklich so interessant, skurril, spannend, dass damit auch Leser*innen etwas anfangen können, die mit Kunstgeschichte sonst weniger am Hut haben? Anders ausgedrückt: Will ich mir das selber merken oder will ich hier nur sitzen und zuhören und dem Zufall vertrauen, was mein Kopf davon behält? Das ging bei den bisherigen Vorlesungen nicht – und wie ich schon ahnte, habe ich mir von diesem Semester weitaus mehr gemerkt als in den zehn Semestern vorher. Ich hatte immer auf die Klausur hingelernt und danach alles wieder vergessen. Durch das Aufschreiben im Blog – also der selbstgewählten Wiederholung des Stoffes, den ich dazu auch noch so aufbereiten musste, dass man ihn versteht, auch wenn man nicht in der Vorlesung saß – merkte ich mir viel mehr als jemals zuvor. Neulich stolperte ich in einer NS-Publikation über die Analogie von Mensch und Technik, also dass technische Hilfsmittel Verlängerung des menschlichen Körpers seien und konnte grinsend feststellen, alter Hut, die Idee hatte im 19. Jahrhundert auch schon jemand, das habe ich schon am Anfang der Vorlesung gelernt.
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Nach der Vorlesung radelte ich in die UB, wo drei dicke Bücher in der Ausleihe auf mich warteten und ein äußerst schmales in der Fernleihe, das ich auch nur in den Lesesaal mitnehmen durfte. Der bisher kürzeste Ausstellungskatalog zu Grossberg stammt von 1960, hat sechzehn Seiten und liegt sonst wohlbehütet in der Unibibliothek Stuttgart. (Ich gucke immer interessiert auf die Buchstempel und winke im Geist in die anderen Bibliotheken. You rock!) Dort fand ich sehr hilfreiche Zitate und Hinweise, notierte mir brav alles und gab den Katalog dann wieder ab. Gute Heimreise, kleines Bändchen!
Ich holte noch ein weiteres Buch aus der Stabi und verglich kurz: die Dissertation aus der UB hat über 500 Seiten, zwei Bände und wiegt gefühlt zwei Kilo. Die aus der Stabi ist nur DIN-A5-groß, hat gute 200 Seiten und wiegt nicht mal ein Pfund. Team kürzere Dissertationen! Immer an die ausleihenden Studis denken, die auf Rädern unterwegs sind und Puddingärmchen haben!
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Die 500-Seiten-Diss beschäftigte mich dann den Rest des Tages. Sie hat leider ein bisschen mein inneres Gleichgewicht ruiniert, denn in ihr finden sich gefühlt dutzende von Dingen, die ich im Nachlass herausfinden wollte. Den hat anscheinend doch schon einmal jemand durchwühlt und zwar nicht der Herr im Katalog 1976 und auch nicht die Tochter Grossbergs im Katalog 1994 (der letzte große zu ihm), die beiden Auswertungen kannte ich, vermisste aber für mich wichtige Infos. Die fand ich teilweise hier in der Diss von 1990. Das ist zwar einerseits toll – ich hatte mit einigen meiner Theorien fett recht –, aber andererseits total doof, denn das wollte ich doch alles rausfinden und erstmals publizieren. Außerdem finden sich hier Dinge, die in allen Publikationen danach zu Grossberg anscheinend komplett ignoriert wurden, und ich frage mich seit gestern, ob das bewusst passiert ist oder einfach niemand diese Diss gelesen hat. Einen elementaren Fakt zu Grossbergs Leben, den ich hier nicht ausplaudern will, habe ich so noch nirgends gelesen und wundere mich daher seit gestern arg.
Ich habe gestern nicht alle 500 Seiten geschafft, weil ich mit dem für mich wichtigen Teil begonnen hatte (Ende 20er Jahre bis zu seinem Tod 1940), aber heute lese ich den Rest, und dann muss ich sehr gut nachdenken, ob meine Diss überhaupt noch funktioniert. Momentan glaube ich ja, denn die Verfasserin hatte eine andere Zielrichtung als ich, aber das hat mich gestern doch kurz aus der Bahn geworfen.
Aber ich hatte immerhin frisch gebackenenes Buttermilchbrot zur Aufheiterung, das ich gestern teilweise zu einem ordentlichen Steak Sandwich mit Paprika und Zwiebeln verwandelte. Da ich dazu keinen gesonderten Blogeintrag schreiben werde, hier die Zutaten: 585 g Weizenmehl, Type 550, 205 g Wasser, 200 g Buttermilch, 12 g Salz, 0,5 g Frischhefe. Zubereitung wie das Weizenbrot ohne Buttermilch. Bitte kaufen Sie dieses Backbuch, es macht sehr glücklich.