Links vom Sonntag, 22. Juli 2018

Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU

Ein Ausstellungshinweis für München: In der Rathausgalerie sind seit ein paar Tagen und noch bis zum 14. Oktober Fotos von Regina Schmeken zu sehen.

„Als Regina Schmeken im Frühjahr 2013 damit begann, die Tatorte des NSU zu fotografieren, wurde ihr das Ausmaß dieser Verbrechen des rechten Terrors inmitten deutscher Städte erst bewusst. In ihrem Ausstellungsprojekt geht es Regina Schmeken um das Gedenken an die Ermordeten sowie um die Auseinandersetzung mit Orten, die auf den ersten Blick keinerlei Spuren einer Gewalttat aufweisen. Zwischen 2013 und 2016 besuchte sie mehrmals die zwölf Tatorte in Deutschland. Es entstand ein Zyklus großformatiger Schwarzweißfotografien, die verstörend eindrücklich wirken und die Geschehnisse gleichsam mit bildnerischen Mitteln aufarbeiten.

Die Propagandaformel „Blut und Boden“ wurde als begrifflicher Zusammenhang erstmals von Oswald Spengler in „Der Untergang des Abendlandes“ eingeführt und von den Nationalsozialisten in ihrer Überzeugung, dass ein „gesunder Staat“ nur aus der Einheit von „eigenem Volk und Boden“ bestehen kann, aufgegriffen. Auch den Morden des NSU liegt diese Idee zu Grunde. Fast alle Opfer waren türkischer Herkunft, sie wurden auf dem Boden liegend in ihrem Blut gefunden, brutal hingerichtet von rechten Terroristen.“

Hetze, Hass und Haltung

Der Journalist und Dozent für u. a. Kommunikationswissenschaft Dirk Hansen über die neue Unsicherheit des Journalismus, die sich auch in vielen Artikeln, Kolumnen und Twitterdebatten übereinander anstatt zur Sache niederschlägt.

„Wir sollten also die zunehmend heftigen Medienmeta-Debatten anders deuten: Als Ausdruck einer großen Verunsicherung der Journalistinnen und Journalisten in der Trump-Gauland-Ära. Zwei Prinzipien – Urformeln geradezu – im Rollenverständnis stehen sich einmal mehr schroff gegenüber: Das Konzept der Haltung und die Norm der Objektivität. […]

In „Wahrheit“ handelt es sich um ein Paradoxon des Journalismus: Die (berechtigte) Erwartung der Gesellschaft, von den Medien eine möglichst zutreffende Beobachtung geliefert zu bekommen kollidiert massiv mit dem Umstand, dass es keinen neutralen, interessensfreien und zwanglosen Beobachterstandpunkt geben kann. Trotzdem ist es aber möglich, ja unausweichlich, in einer Gesellschaft bestimmte Standards zu entwickeln, um sich kollektiv zu verständigen. Diese ambivalente Aufgabe muss ein funktionstüchtiges Mediensystem, müssen seine Akteure bewältigen.

Haltung ist da sicher außerordentlich wichtig. Aber als verabsolutierte Subjektivität läuft sie Gefahr, zur Pose zu degenerieren. Berichterstattung und Meinung lassen sich durchaus trennen, selbst bei Trump. Wenig Chancen werden dagegen einseitige Versuche haben, dem Publikum die Augen zu verbinden. Es wird schon schwer genug, sie zu öffnen.“

(via @dvg)

Jüdische Antiquariate und Kunsthandlungen in der NS-Zeit

Am 19. Juli fand im Stadtarchiv München ein Kolloquium zu diesem Thema statt. Ich war leider nicht in der Stadt, weise aber trotzdem auf das Blog zum Thema hin, auch wegen der funky Adresse. Ich weiß leider nicht, ob es noch weitergeführt wird, aber vielleicht findet die eine oder andere Interessierte ein paar Namen und Texte zum Weiterlesen. Auf meinem Radar ist das Thema schon länger, sowohl durch ein Uniseminar als auch durch eine Mitpromovierende bei meinem Doktorvater.

(via @nsdoku)

Hamburger und Cola sind lukrativer

Das Drei-Sterne-Restaurant La Vie in Osnabrück wurde geschlossen. Der Artikel weist auf die geringen Gewinnmargen hin und fragt sich, warum es in einem Land, das nach Frankreich die meisten Sterne-Locations weltweit besitzt, immer noch so schwierig ist, Leute dazu zu bringen, für gutes Essen auch gutes Geld auszugeben.

„Offizielle Zahlen zum “La Vie” gibt es nicht. Das Restaurant galt allerdings als teures Liebhaberprojekt von GMH-Gesellschafter Jürgen Großmann; das Manager Magazin berichtete bereits im Jahr 2012 unter Berufung auf Großmann-Vertraute, das “La Vie” verbrenne jährlich einen Millionenbetrag.

Aber egal, ob es sich um ein Finanzdesaster, ein PR-Debakel oder um beides handelt, in jedem Fall zeigt das plötzliche Ende, wie schwer sich Geldgeber noch immer mit der hochkomplexen Spitzenküche tun. Wie stark dieses anspruchsvolle Geschäft vor allem in Deutschland unterschätzt wird. Eine Luxusnische, die Außenstehenden bis heute als Inbegriff des Reichtums gilt, als eine Art Gelddruckmaschine, obwohl die Margen wegen des Wareneinsatzes, der Personalkosten und der Mieten oft extrem gering sind. […]

Wer in Deutschland etwas über Spitzenküchen-Finanzierung lernen will, der sollte mit Familie Eichbauer in München sprechen. Der Bauunternehmer Fritz Eichbauer, 90, ist ein Pionier der deutschen Hochküche, seit er vor mehr als 45 Jahren das Restaurant “Tantris” eröffnen ließ und dafür eigens das österreichische Großtalent Eckart Witzigmann bei den Kennedys in Washington abwarb. Eichbauers einzige Motivation: sein Faible für gutes Essen. In den Anfängen wurde der Betonbau als Autobahnkapelle eines Größenwahnsinnigen verhöhnt, heute steht das “Tantris” unter Denkmalschutz und ist eine Ikone der Restaurantkultur. Doch bis dahin brauchte es langen Atem, sagt Eichbauers Sohn Felix, der das “Tantris” heute führt. 18 Jahre habe es gedauert, bis das Restaurant keine Verluste mehr machte. Seit Jahren wirft es nun kleine Gewinne ab, aber “wer ein reines Investment will, kriegt sein Geld in der deutschen Sterneküche kaum verzinst”, sagt der Unternehmer.“

Die SZ macht auch den Vergleich zwischen Champions-League- oder Opernkarten für ähnlich viel Geld auf, die man locker bezahlt, beim Essen aber darüber nachdenkt. Ich ahne, dass das generell etwas damit zu tun haben könnte, dasss in Deutschland vergleichsweise wenig für Essen ausgegeben wird und es schlicht nicht den Stellenwert hat, den es meiner Meinung nach haben sollte. Ich glaube, dass Menschen, die ohne mit der Wimper zu zucken 200 Euro für eine Opernkarte ausgeben, das theoretisch auch fürs Essen tun würden, aber sie kommen meist gar nicht auf die Idee. Dazu kommt auch, dass Spitzengastronomie Zeit kostet (genau wie eine Wagner-Oper). Im Tantris saßen wir für acht Gänge fast fünf Stunden, wenn ich mich richtig erinnere; in Lindau im Villino war ich über drei Stunden mit sieben Gängen beschäftigt. Zur Ganganzahl kommt immer noch das Amuse Bouche und hinter noch eine Runde Rauswerferchen, dann muss noch dringend ein Espresso her und so weiter, das läppert sich halt. Oper und Sterneessen an einem Abend wird daher vermutlich kaum möglich sein, jedenfalls wenn man nicht à la carte ordert.

Im einem anderen Artikel (2016) wird angesprochen, dass weniger gut verdienende Menschen mehr für Nahrungsmittel ausgeben, einfach weil es lebensnotwendiger ist als Fußball- oder Kinokarten. Auch die soziale Ungleichheit, die größer statt kleiner wird, hat sicher etwas damit zu tun, dass viele Menschen sich diese Preise schlicht nicht leisten können oder wollen.

Trotzdem ist es meiner Meinung nach falsch, Spitzengastronomie als Snobkram oder Luxus abzutun, um den es nicht schade ist, aber das ist natürlich eine persönliche Meinung einer Ganz-okay-Verdienenden. Während des Studiums, als meine finanzielle Situation etwas unklarer war und ich hauptsächlich vom Ersparten gelebt habe, habe ich mir das richtig teure Essen auch verkniffen. Umso mehr hat es mich aber glücklich gemacht, in Lindau nicht auf den Euro schauen zu müssen, weil mein bisheriges Arbeitsjahr ziemlich gut war. Wenn wir schon dabei sind: sieben Gänge, Weinbegleitung, Schampus vorweg, Flasche Wasser dazu, Espresso, Absacker = 255 Euro, mit Trinkgeld 280. Dafür hätte ich auch in Bayreuth sitzen können, wäre aber nicht so satt gewesen. Im Vergleich zum Tantris war das übrigens ein Schnäppchen; was wir da bezahlt haben, erzähle ich nur hinter vorgehaltener Hand. Ich weiß nicht, was für Preise das La Vie aufgerufen hat, aber ich hatte bisher noch in keinem Sterneladen – bei mir waren das zu den beiden genannten noch die Terrine (M), Küchenwerkstatt (HH), beide inzwischen auch leider geschlossen, sowie das Reinstoff (B), das Ende des Jahres schließt – das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden. Ganz im Gegenteil. Das waren jedesmal unvergessliche Abende, an die ich persönlich mich länger erinnere als an Champions-League-Spiele oder Opern. (Den Bayreuther Parsifal mal ausgenommen.)