Tagebuch, Dienstag/Mittwoch, 4./5. September 2018 – Thinking about drinking

Den Dienstag am Schreibtisch verbracht. Im Westen nichts Neues.

Ab 17 Uhr durfte ich nichts mehr essen, weil ich am Mittwoch so richtig, richtig nüchtern morgens zur Blutabnahme bei der Hausärztin auflaufen sollte. Laut meiner letzten Untersuchung leide ich ganz fürchterlich unter B12-Mangel und die Ärztin verordnete mir Tabletten und vier Spritzen: „Danach werden Sie sich gleich besser fühlen.“ Das ist jetzt zwei Wochen her und ich warte seitdem darauf, mich irgendwie anders zu fühlen. Ich wollte nämlich eigentlich entgegnen: „Aber mir geht’s doch gut“, aber dazu kam ich nicht, denn ich bekam noch eine andere Anordnung für die gestrige Blutabnahme: „Bitte verzichten Sie zwei Wochen auf Alkohol.“

Die Ansage verschreckte mich doch etwas, vor allem, weil ich mich seit diversen Blutabnahmen auf meinen hervorragenden Leberwerten ausruhe. Ganz zu Anfang unserer Beziehung fragte mich die Ärztin sogar: „Trinken Sie überhaupt Alkohol?“ und ich dachte an die vielen leeren Weinflaschen unter meiner Spüle und nickte sehr freudig. Nun sollte ich diesem Genuss also für zwei Wochen entsagen. Das ärgerte mich an dem betreffenden Mittwoch sehr, denn ich hatte gerade am Dienstag abend eine der letzten Le-7-Flaschen geöffnet, um mit mir selbst auf meinen frisch unterschriebenen Mietvertrag anzustoßen. Die Flasche war noch nicht leer, und F. durfte sie nun alleine austrinken, während ich zeternd danebensaß. (Ich klinge in meinem Kopf übrigens immer wie Mo, wenn ich zetere, ganz gleich über was.)

In den letzten zwei Wochen merkte ich aber erfreut, dass mir der Verzicht nur sehr selten wie einer vorkam. Auf einer Familienfeier mit Orangensaft statt mit Sekt anzustoßen – kein Ding. Apfelschorle zum Essen statt Wein – geht auch. Einzig die Einkehr in eine Boazn verkniff ich mir, denn bayerisches Essen ohne ein Helles macht mich traurig. Einen winzigen Ausrutscher hatte ich allerdings: F. und ich gingen letzte Woche nett pakistanisch essen, der Kellner brachte einen Verdauungsschnaps aufs Haus, und ehe F. ihn mir entreißen konnte, hatte ich ihn schlicht aus Gewohnheit gekippt. Das war das einzige Mal, dass ich ohne Nachzudenken Alkohol konsumierte, und genau darüber dachte ich dann noch länger nach.

Wenn ein Arzt (m/w) mich fragt, ob ich regelmäßig trinke, sage ich standardmäßig und eben ohne nachzudenken: „Ein Glas Wein zum Abendessen.“ Was aber eher Quatsch ist, wie ich jetzt weiß; ich trinke nicht zu jedem Abendessen, wenn überhaupt, dann ein- oder zweimal die Woche. Ich trinke eher am Wochenende und immer in Gesellschaft. Wenn F. (oder irgendjemand anders) und ich dann allerdings eine Flasche Wein öffnen, bleibt es selten bei der einen, zwei gehen eigentlich immer. An besonders netten Tagen kommt noch ein Whisky oder ein Gin Tonic als Abschluss dazu. Oder wir trinken gleich letztere; dann sind es meist drei und nicht nur einer. Das alles immer über Stunden verteilt, aber trotzdem: Da kommt schon was zusammen.

Wenn ich alleine trinke, dann weil ich mir ein so tolles Essen zubereitet habe, dass da verdammt nochmal ein toller Wein dazugehört, der erste Spargel zum Beispiel braucht zwingend Wein. Dann trinke ich ein Glas, allerhöchstens zwei, und dann kommt die Flasche in den Kühlschrank. Oder ich trinke, wenn ich etwas feiere, dann gibt’s ein, zwei Gläser Sekt/Schaumwein/Schampus, irgendwas mit Kohlensäure. Dass ich aus Frust trinke, ist in den letzten drei Jahren, soweit ich mich erinnere, nur einmal vorgekommen, da haben F. und ich gemeinsam an einem richtig beschissenen Wochentag drei Flaschen Wein recht schnell vernichtet und den nächsten Tag dafür bezahlen müssen. Seitdem gilt die Regel: mehr als eine Flasche nur am Wochenende. In der Woche greifen wir schon länger eher zu Limo oder Wasser zum Essen. Am Anfang unserer Beziehung waren wir beide sehr erfreut darüber, jemanden gefunden zu haben, der auch so gerne Wein trinkt wie man selbst, da haben wir quasi jede Gelegenheit genutzt, eine Flasche zu öffnen. Das hat sich inzwischen etwas beruhigt, anscheinend bleiben wir noch etwas länger zusammen. (Das ist jedenfalls der Plan.)

Ich kann nicht beurteilen, ob mein Konsum jetzt irre hoch ist oder nicht. Ich fühle mich mit ihm wohl und habe in den letzten zwei Wochen auch sehr erfreut festgestellt, dass der Verzicht nicht weh tut. Zu Oktoberfestzeiten wäre mir das vermutlich aber etwas schwerer gefallen, zugegebenermaßen.

Gestern morgen war dann die Blutabnahme, zusammen mit der nächsten sinnlosen B12-Spritze. Danach kaufte ich frisches Brot – ich packe schon so langsam meine Wohnung zusammen und mag keinen Brotteig mehr rumstehen lassen –, Obst, Gemüse und teure Schokolade, Belohnung für den Aderlass. Normalerweise habe ich keine Probleme mit Blutabnahmen und auch gestern ging’s mir gut. Da war es aber auch noch etwas frischer, wie sich’s gehört.

Vormittags wieder Schreibtisch, nachmittags ging’s dann in ein Museum – der nächste Podcast wartet. Ich blieb fast zwei Stunden in der Ausstellung, für die ich eigentlich nur eine geplant hatte und machte mich dann auf den Heimweg. Schon an der Bushaltestelle merkte ich, dass ich etwas wackelig auf den Beinen war, im Bus wurde es eher schlimmer als besser, ich merkte die gestrige Wärme jetzt doch deutlicher als vorher, und zuhause fiel ich nur noch aufs Sofa und suchte meinen Kreislauf. Auch Obst und viel Wasser halfen nicht und so ging ich schon um zehn ins Bett, wo ich natürlich wieder eine Stunde auf Twitter versackte. Tief und fest geschlafen.

The Immense Gaze. The women of Impressionism.

Schöne Ausstellungsbesprechung mit vielen biografischen Details von Malerinnen. Weshalb ich den Artikel verlinke, ist aber eher die Einleitung – die skizziert nämlich hervorragend die französische (an Männern orientierte) Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts, die ich bisher immer eher unscharf im Kopf hatte. Im Artikel sind keine Links, ich werfe die mal dazu; dabei nutze ich oft fremdsprachige anstatt der deutschen Wikipedia, weil bei ihnen mehr Bilder zu sehen sind.

„Whether or not Paris was the “capital of the 19th century,” as it has sometimes been called, it really was the capital of 19th-century art. That’s something to ponder, because at the start of the century, its preeminence might not have been easily predicted. Just before the Revolution, the one figure we still recognize as belonging among the great masters is Chardin, essentially an outlier: a largely self-taught artist who gained the esteem of the French Academy with paintings that ignored its promotion of a narrative and literary art focused on heroic public action over the depiction of everyday domestic life and its mute objects. We also still remember the florid talents of his contemporaries Fragonard, Boucher, and Greuze, but they offer little hint of art’s future. The postrevolutionary scene was dominated by David, a massive force, to be sure, but one whose neoclassical pictorial rhetoric mainly served to initiate an academic rigor that would soon almost strangle French painting. What subsequently made Paris a lightning rod for artistic energy was, in fact, a sequence of rebellions against David’s neoclassical strictures—first Romantic, then Realist, and finally Impressionist. […]

Imagine an exhibition simply titled “Art in Paris, 1850–1900.” Its structure, centering on Impressionism, seems already predetermined. It would start with the Realism, so-called, of Courbet, follow with the great transitional figures of Manet and Degas, encompass all the major and secondary protagonists of Impressionism (Pissarro, Renoir, and the rest), and then set off all the brilliant sparks that uneasily coexist under the label Post-Impressionism (Van Gogh, Gauguin, Seurat) before concluding, not with the art of a new generation, but with at least a foreshadowing of the astonishing late achievements of Cézanne and Monet as they lived on into the 20th century. Perhaps all this would be accompanied by a sort of counterpoint of academic resistance (Cabanel? Gérôme?—but would there be any aesthetic basis for the choice?) and Symbolism (Redon), but the main line of development would be a foregone conclusion.

I expected nothing less than to see a sort of distaff version of this story in “Women Artists in Paris.” After all, today the best-known of the women artists active in Paris in the second half of the 19th century are both central figures in Impressionism: Berthe Morisot and her American colleague Mary Cassatt—artists who still have not received their due as the major talents they were. And both are well represented here, as are the less-engaging talents of Marie Bracquemond, who participated, like Morisot and Cassatt, in the Impressionist exhibitions, and Eva Gonzalès, a student of Manet’s who did not exhibit with the group but is nonetheless usually considered an Impressionist herself. Instead, what I found was a depiction of these female Impressionists as part of a much more varied ecosystem of artists attempting to find a way forward amid shifting and often contradictory currents.“