The Dreamers
The Dreamers/I Sognatori
(Die Träumer, 2003)
Darsteller: Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrel, Robin Renucci, Anna Chancellor
Kamera: Fabio Cianchetti
Drehbuch: Gilbert Adair
Regie: Bernardo Bertolucci
Mir wird ja gerne vorgeworfen, mein Leben im Kino zu vergeuden, damit der Realität zu entfliehen, mir sinnlose Sachen wie den Namen des 3. Assistenten des Oberbeleuchters zu merken und viel zu viele Filmdialoge auswendig zu können. Daher finde ich Filme, die genau diese nerdigen Eigenschaften feiern, ja, ihnen fast huldigen, schon aus Prinzip gut. Selbst wenn sie ein bisschen in die Kategorie „frankophiler Nymphchenschnulz“ abgleiten, wie das The Dreamers ab und zu tut.
Der neue Film von Bernardo Bertolucci spielt 1968 in Paris; die Zeit der Studentenunruhen, des Vietnamkriegs, aber auch der großen Zeit des französischen Films. Auf einer Demonstration gegen die Schließung der Cinémathèque Francaise lernt Matthew, ein junger Amerikaner, das Geschwisterpaar Isabelle und Theo kennen. Deren Eltern sind praktischerweise gerade dabei zu verreisen, und so zieht Matthew für ein paar Wochen zu den beiden französischen Bilderbuchjugendlichen, die in einer altmodisch-fotogenen Wohnung mit ungefähr einer Million Zimmern hausen. Die drei vertreiben sich die Zeit damit, Filmszenen nachzuspielen, Dialoge zu zitieren und wichtige Diskussionen über Charlie Chaplin versus Buster Keaton zu führen. Wer eine Szene nicht erkennt, dem wird eine Strafe aufgebrummt. So muss Theo vor seinem Marlene Dietrich-Bild masturbieren, während Matthew Isabell entjungern darf.
Die Passagen des Films, in denen die drei sich und ihre Sexualität entdecken, funktionieren manchmal fast traumwandlerisch gut; meistens fühlen sie sich allerdings leicht neben der Spur an. Gerade wenn Eva Green als Isabelle im Bild ist, hatte ich die ganze Zeit den Begriff „Altherrenfantasie“ im Kopf. Irgendwann ist auch das schönste transparente Blumenkleid keine Metapher mehr für die Liebe und das Vertrauen zwischen den Protagonisten, sondern nur noch albern. Dazu kommt noch, dass Green genau über zwei Gesichtsausdrücke verfügt: rebellisch gerunzelte Stirn oder pseudo-verführerische Lolita. Die Rolle der Frau zwischen zwei Männern, von denen sie einen haben kann, aber viel lieber den anderen will, ist ihr ein bisschen zu groß. Daher wirkt das Ende der Beziehung, das sie einleiten will, auch eher wie eine Reaktion eines trotzigen Kindes denn wie die eines Erwachsenen. Mit einer etwas begabteren Schauspielerin hätte man vielleicht ihre Verzweiflung nachvollziehen können, ihr Erwachen aus der Kinowelt, ihre Einsicht, dass das Leben leider kein Film mit Happy End ist. So aber schaut man ihr fast ungläubig zu und hofft, dass irgendwer im Hintergrund „Cut!“ ruft.
Viel besser dagegen Michael Pitt als Matthew, der sich vom ziemlich verklemmten Teenager zum einzigen Erwachsenen der drei entwickelt. Genauso stark Louis Garrel als Theo, der als einziger von Anfang an weiß, wo die Reise hinführen wird und der sich auch nicht von diesem Ziel abbringen lässt. Er vertritt seine Meinung, ganz egal, was die beiden anderen tun oder sagen; er bleibt der Regisseur, der im Hintergrund die Fäden zieht, der Drehbuchautor, der den Verlauf der Geschichte bestimmt.
The Dreamers lebt von diesen Akteuren und seiner der Realität entrückten Stimmung, denn die Geschichte selbst ist in zehn Minuten erzählt. Trotzdem schafft es Bertolucci, uns über zwei Stunden lang interessiert in der Wohnung der Geschwister zu halten, ohne dass uns langweilig wird. Vielleicht, weil wir uns zurückerinnern an die Zeit, in der der erste Kuss so bedeutend war. In der wir nächtelang bei Rotwein über Politik diskutiert haben, die Welt verändern wollten und vor allem daran geglaubt haben, sie wirklich ändern zu können. Und in der wir es uns gestattet haben, ab und zu der Wirklichkeit zu entfliehen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben – ganz im Gegenteil: Die Flucht machte aus uns etwas Besonderes, und die Tat des Fliehens war Rebellion. Durch die erste selbstgekaufte Schallplatte, durch einen Kinobesuch, durch ein Buch oder einfach nur durch das Wissen, gerade etwas zu fühlen und zu erleben, was Eltern oder Außenstehende nie begreifen werden. Bertolucci gelingt es, diese Stimmung in sehr weiche, aber selten kitschige Bilder zu übersetzen, die des öfteren mit Bildern aus klassischen Filmen versetzt werden und gibt uns damit ein kleines bisschen Jungsein zurück. Ein bisschen Anderssein. Und ausnahmsweise fühlt sich das nicht nerdig an, sondern richtig. Alleine für dieses Gefühl lohnt sich der Film.
Alte Haloscan-Kommentare hier. Dort bitte nicht mehr kommentieren.
Anke am 13. March 2005