Tagebuch Dienstag, 23. Oktober 2018 – Basteltag
Jetzt, wo ich hier schon fast fünf Wochen wohne (wo-hoo!), werden die Baustellen nach und nach kleiner. Dank F.s scharfem Verstand konnte der eine Wandschrank so organisiert werden, dass ich an immerhin das meiste rankomme, ohne schreien zu müssen. Der zweite war noch work in progress. Ich hatte in ihn erstmal alles Zeug geworfen, das nicht im Weg rumliegen sollte, aber noch einen festen Platz braucht, unter anderem meine Putzkiste, die beim besten Willen nicht mehr in den ersten Schrank passte, obwohl sie thematisch dort angedockt wäre, wo auch Wäscheständer, Bügelbrett, Besen und Kehrblech stehen. (Don’t judge.) Dieser zweite Schrank musste also erstmal leer werden, und dazu brauchte ich einen neuen Schrank, nämlich einen schmalen, hohen fürs Bad, denn bis jetzt waren Handtücher und Badutensilien der Hauptinhalt.
Ich dachte lange, vermutlich zu lange darüber nach, ob ich jetzt wieder online bei Ikea bestellen oder hinfahren und es mir liefern lassen sollte. Online-Vorteile: bis auf Annahme der Lieferung kein echter Aufwand. Nachteil: dauert zehn Tage. Hinfahren-Vorteile: alles am gleichen Tag da. Nachteil: Man muss die fies schweren Pakete aus den Regalen ziehen und steht ewig an der Kasse. Da mir die Putzkiste aber seit Wochen auf den Zeiger geht, entschied ich mich für Hinfahren und Paketezerren.
Noch ein Wort zu Ikea: Mir ist erst bei diesem Umzug aufgefallen, dass ich seit 30 Jahren in Ikeamöbeln wohne. Bis auf wenige Ausnahmen (Omas Schrank und Esstisch, derzeit leider noch bei meinen Eltern; Designerlampen, ebenfalls dort; Riesencouch und Schlafsofa; hervorragender Schreibtischstuhl) stammt meine komplette Einrichtung vom Schweden. Und so hübsch ich Biedermeierstühlchen oder Bauhausmöbel finde – ich will nicht mit ihnen wohnen. Ich mag anscheinend seit mehreren Jahrzehnten den schlichten Stil, den Ikea anbietet, auch wenn ich damit so dermaßen im Mainstream liege wie es mainstreamiger nicht mehr geht. Passt schon.
Am Hauptbahnhof konnte ich einem asiatischen Geschäftsmann den Weg zur Flughafen-S-Bahn weisen („right track, wrong train“), wartete dann gefühlt 20 Minuten auf meine eigene S-Bahn, weil es wieder irgendeinen Knoten beim MVV gab, aber ich hatte ja ein Buch dabei und keine Eile. In der Bahn setzten sich nach wenigen Stationen ein kleiner Junge mit seiner Mutter und (vermutlich) Oma auf den gegenüberliegenden Vierersitz. Der Junge saß am Fenster und blubberte vor sich hin, bis er auf einmal richtig laut wurde: „Mamaaa, guck maaaal!“ Die Mutter schaute hinaus und meinte wissend-andächtig: „Ein Kran!“ Und der kleine Junge, noch andächtiger, als hätte er die Pyramiden oder die Chinesische Mauer entdeckt: „Ein Kraaaaan.“
Den Rest der Fahrt versuchte ich mit Kinderaugen zu sehen und bestaunte (stumm) eine Altmetalldeponie, Fußgängerbrücken über Gleisen und ein riesiges violettes Blumenfeld.
Bei Ikea arbeitete ich dann brav meinen langen Einkaufszettel ab, von Großkram zu Kleinkram, und der einzige Ausrutscher (KEINE SERVIETTEN! KEINE KERZEN!) war eine zweite Garnitur meiner Lieblingsbettwäsche.
An der Kasse stellte ich mich zielstrebig hinter eine Dame, die, wie auch immer, zwei Einkaufswagen voller Zeug erstand. Ich konnte leider nicht gucken, wie sie die beiden Wägen gleichzeitig schieben konnte, denn dann war die flinke Kassendame schon bei mir und meinem Wägelchen. Den Badschrank, der einer der Gründe für meine Fahrt hierher gewesen war, musste ich in der SB-Halle bestellen und konnte ihn nach der Kasse abholen. Bzw. erstmal wartete ich wieder, aber ich hatte ja ein Buch dabei und keine Eile. Als ich auch den Schrank auf dem Wagen hatte, rollte ich zur Speditionskasse und bat um Lieferung zu mir. Dass der Kram noch am selben Tag ankommt, war mir klar, aber der freundliche Herr an der Kasse meinte: „Die Jungs sind gerade beim Beladen und können dann sofort zu Ihnen.“ Ich meinte, mit Bus und S-Bahn bräuchte ich mindestens eine Stunde bis Zuhause, worauf er meinte, der LKW auch. Die Jungs würden sich vorher per Handy melden, das ginge schon.
Und so hatte ich auf einmal keine Zeit mehr, aber die Öffi-Göttinnen hatten nach dem Schluckauf heute morgen wieder alles im Griff: Der Bus fuhr bei Ikea vor, als ich gerade zwei Minuten gewartet hatte, auf die S-Bahn wartete ich dann nochmal drei Minuten, und für die letzten drei Stationen U-Bahn vier. Fußweg nach Hause nochmal drei, und gerade als ich zuhause ankam, klingelte das Handy. Ich konnte bis zum Eintreffen der Jungs noch Kartoffeln, Zwiebeln und Paprika fürs Mittagessen vorbereiten, die Lieferung war in fünf Minuten bei mir oben, und nach einer ordentlichen Stärkung begann ich mit dem ersten Schrank. Für den brauchte ich dann doch etwas länger als geplant; ich hatte gehofft, noch etwas mehr wegarbeiten zu können, aber gut, immerhin einer von dreien. Ich rollerte ihn mit dem Rollbrett von F., mit dem ich seit Wochen gut gelaunt Dinge durch die Gegend schiebe, weil das so viel Spaß macht, vom Arbeitszimmer ins Bad, stellte ihn auf, wischte ihn kurz ab, wunderte mich wie bei vielen Ikeamöbeln, dass sie in einem Zimmer perfekt stehen und im nächsten wackeln, legte etwas unter das eine Schrankbeinchen, damit er nicht mehr wackelte, räumte Zeug aus dem Wandschrank in ihn – und als gloriosen Tagesabschluss die Putzkiste in den nun deutlich geleerten Wandschrank.
Ich wollte mich dann darüber freuen, wie ereignis- und arbeitsreich mein Tag gewesen war, bis mir einfiel, dass ich nur Geld ausgegeben und keins verdient hatte, was mich manchmal immer noch beunruhigt, aber zwei Kundenmails machten das ein bisschen wieder wett.
Mit Belohnungsspezi auf der Couch Bayern in Athen zugeguckt, aber schon fast weggedämmert. Mit Buch ins Bett und sofort eingeschlafen.