The Life of David Gale

The Life of David Gale
(Das Leben des David Gale, 2003)

Darsteller: Kevin Spacey, Kate Winslet, Laury Linney, Matt Craven
Drehbuch: Charles Randolph
Kamera: Michael Seresin
Musik: Alex Parker, Jake Parker
Regie: Alan Parker

Es gibt eine Art von Witzen oder Geschichten, die ich überhaupt nicht leiden kann: die Art, die eine halbe Stunde Vorlauf braucht, um dann mit einer absolut unterirdischen Pointe, die ihren Namen nicht verdient, aufzuhören.

Genauso ein Film ist The Life of David Gale. Er braucht anderthalb Stunden, um die Vorgeschichte zu erzählen, dann 20 Minuten, um einen Lösungsansatz zu liefern, und bricht dann 30 Sekunden vor Schluss noch mal um eine Ecke. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich allerdings schon längst geistig von dieser verquasten Story verabschiedet und wollte eigentlich gar keine Wendung mehr haben. Und die, die ich gekriegt habe, war so dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass ich mir dabei fast das genüsslich grinsende Gesicht des Autors vorstellen konnte, wie er sich am Rechner gedacht hat, hey, ich hab da noch ne coole Pointe auf Lager. Ähm … nein. Hast du nicht. Und der Rest deines Scripts war auch für die Tonne.

David Gale (Kevin Spacey) ist ein leidenschaftlicher Gegner der Todesstrafe. Bittere Ironie des Schicksals: Ihm wird der Mord an einer Kollegin und Mitstreiterin zur Last gelegt, er wird angeklagt und zum Tode verurteilt. Drei Tage vor seiner Hinrichtung empfängt er die junge Journalistin Bitsy Bloom (Kate Winslet) zu einem millionenteuren Interview, nachdem er mehrere Jahre im Todestrakt vor sich hingeschwiegen hat. Schon bei dieser Idee ist mir schlecht geworden, aber nun gut. Weiter. Bitsy ist überzeugt, mit Gale einen Mörder vor sich zu haben, ändert aber nach einem Tag mit ihm natürlich ihre Meinung und hängt fortan mit großen blauen Augen an Gales Lippen, die ihr eloquent eine Menge – und ich meine wirklich: eine Menge – Hintergrundinformationen erzählen. Auch wir müssen die ach so traurige Geschichte des Philosophieprofessors, der seine Familie verliert, im Alkohol ertrinkt und sich gemeinerweise einer Vergewaltigungsklage gegenübersieht, ertragen. Und das tun wir, stets im irrigen Glauben, dass uns wenigstens der Rest der Films aus diesem langweiligen Sumpf retten wird. Tut er leider nicht.

Mein Problem mit The Life of David Gale war, dass sein Grundthema – die Todesstrafe – so arg neu nun auch nicht ist. Dass die Todesstrafe niemanden davon abhält, jemand anderes umzubringen, ist erwiesen. Ebenso ist erwiesen, dass bereits Unschuldige hingerichtet wurden. Hält das einige Staaten in den USA davon ab, die Todesstrafe weiterhin auszuüben? Nein. Ist die Mehrheit der Amerikaner gegen die Todesstrafe (denn die oben genannten Fakten müssten doch für sich sprechen)? Nein. Was also soll dieser halbgare Film noch ausrichten?

Ich glaube – wahrscheinlich naiverweise – immer noch daran, dass Kunst, also auch ein Film, etwas bewegen kann. Ich glaube, dass zum Beispiel Schindler’s List vielen den Holocaust ins Bewusstsein gerufen hat, die das ganze Thema am liebsten zu den Akten legen würden oder sich noch gar nicht intensiv damit auseinandergesetzt haben. Daher glaube oder hoffe ich auch, dass es vielleicht einmal ein Film sein wird, der den uneinsichtigen Rest davon überzeugen wird, dass die Todesstrafe falsch ist und ein Staat, der sie ausübt, keinen Deut besser ist als die Mörder, die er hinrichtet.

Leider wird The Life of David Gale nicht dieser Film sein. Er dümpelt zu zäh und uninspiriert vor sich hin und ist zu leidenschaftslos erzählt, als dass wir wirklich mit seinen Protagonisten mitleiden. Und genau das ist der Schlüssel zu einem gelungenen Film und damit auch zur Botschaft, die er vermitteln will – wenn mir die Charaktere egal sind, können sie von mir aus ganz fürchterlich ungerecht sterben, es kümmert mich nicht. In dem Moment ist ein Film eben nur ein Film und keine Botschaft.

Ein Film, der eine Botschaft war und sie subtil und gleichzeitig unglaublich eindringlich transportiert hat, war zum Beispiel Dead Man Walking mit Sean Penn als Mörder. Penns Charakter war ein widerlicher Mistkerl, den niemand wirklich leiden konnte, und trotzdem wollten wir ihn am Ende nicht sterben sehen, weil uns der Film gezeigt hat, wie falsch das wäre. In The Life of David Gale wird uns die ganze Zeit suggeriert, wie nett und lieb seine Hauptperson doch eigentlich ist – und trotzdem ist es uns völlig egal, was mit ihr passiert.

Auch Kevin Spacey, Kate Winslet und Laura Linney als Mordopfer können den Film nicht davor bewahren, von einem Zufall in die nächste Reißbrett-Drehbuchszene zu stolpern. Die drei bemühen sich zwar und sind in ihren engen Rollenvorgaben durchaus überzeugend, sie werden aber leider von der Story böse im Stich gelassen. Was nützt eine differenzierte Charakterzeichnung von Spacey, wenn wir uns beim Beginn des Abspanns nur fassunglos fragen: Warum? Wozu das alles? Womit wir wieder beim Anfang wären: Ich habe mir zwei Stunden lang eine Exposition angeguckt, nur um mich zum Schluss zu fragen, was die Motivation der Hauptperson war? Ich habe qualvolle Dialoge über mich ergehen lassen, denen man anmerkt, wie stolz der Autor auf die gedrechselten Sätze war – für diese „Pointe“?

Ich finde es gerade einen traurigen Zufall, dass Kevin Spacey in einem anderen Film, der sich auch erst in der letzten Minute auflöst, mitgespielt hat: The Usual Suspects ist ein Drehbuch-Kleinod, das nicht mal Deppen wie Stephen Baldwin ruinieren konnten. Vielleicht sollte hier umgekehrt die unbestrittene Schauspielkunst von Spacey das miese Script retten. Das hat leider nicht geklappt. Hoffentlich hat er wenigstens ne Menge Geld dafür kassiert. Und ich habe den ersten Anwärter auf meinen diesjährigen „Aus diesem Film hätte ich rausgehen sollen“-Award für den Jahresrückblick. Das hätte ich mir allerdings gerne erspart.

2 Antworten:

  1. Ich fand den Film gar nicht so schlecht.
    Es gibt bei diesem Film keine “Pointe”. Dieser Schluss entwickelte sich im Laufe des Films. Spätestens, wenn man sich den Film ein zweites mal angesehen hat, begreift man die Zusammenhänge in seiner ganzen, genialen Ausführung.
    Und weshalb ist die Story an den Haaren herbeigezogen? Diese Handlung finde ich vollkommen logisch. Wenn man allerdings von Anfang an mit einer, von Grund auf destruktiven Meinung in diesen Film geht, dann kann man sich auch kein objektives Urteil dazu bilden.

    Ich fand Kevin Spacey wiedermal hervorragend in seiner Rolle, Kate Winslet ließ etwas zu wünschen übrig. Aber die Story an sich fand ich sehr bewegend.

    KAIUS

  2. Was genau in meiner Kritik lässt dich glauben, ich wäre “von Anfang an mit einer von Grund auf destruktiven Meinung” in den Film gegangen, Schlaumeier?

    (fragt die Frau, die ein Kevin-Spacey-Autogramm in der Küche hängen hat und diesen Film lieben wollte.)