Tagebuch Mittwoch, 2. Januar 2019 – Total produktiv so früh im Jahr schon
Eigentlich dürfen wir hier in Bayern ja noch bis zum 6. Januar rumliegen … oder hab ich das falsch verstanden? Meine norddeutschen Gene stellten aber trotzdem brav den Wecker und so stand ich ebenso brav auf und machte mich bürofein, wie sich’s an einem Arbeitstag gehört. Der erste Espresso des Jahres war übrigens perfekt, genau wie der Milchschaum. Mein persönliches Jahresorakel hat schon gewonnen.
Eine Hamburger Agentur hatte mich im Dezember für Januar angefragt, konnte mir aber noch nicht sagen, für welchen Umfang und ab wann genau. Ich rechnete nicht ernsthaft mit einem Job, aber um 9.20 Uhr schlug die erste Arbeitsmail auf und ich hatte zu tun. Also alles richtig gemacht mit Wecker und bürofein aufbrezeln.
In der Mittagspause erledigte ich Bank- und Steuerkram und brachte Post weg, danach spazierte ich zum Allesvorrätigladen in der Türkenstraße. Ich verbinde neuerdings wieder etwas regelmäßiger Bewegung mit Besorgungen, weil ich seit Monaten morgens um 6 zum Walken nicht aus dem Bett will. So kann ich zwar nicht arg zackig gehen, weil ich meine normalen Klamotten nicht so anschwitzen will wie mein Sportoutfit, aber ich vergammele immerhin nicht komplett auf dem Sofa.
Im Allesvorrätigladen erstand ich eine ordentliche Gartenschere, um aus meinem Weihnachtsbaum Kleinholz zu machen. In Hamburg holt die gute, alte Straßenreinigung alle Weihnachtsbäume ab, die zu großen Haufen geschichtet an so ziemlich jeder Straße im Januar rumliegen. Das vermisse ich ehrlich gesagt immer noch etwas: das Werfen des Tannenbaums aus dem zweiten Stock nach unten. Das übernahm zwar stets Kai, während ich unten aufpasste, dass Fußgänger oder Radfahrerinnen keine Nadelbäume auf den Kopf kriegen, aber ich mochte dieses leicht anarchische Ritual so gerne. Anstatt das Treppenhaus vollzunadeln – ab über die Balkonbrüstung.
Hier in München holt niemand was ab, sondern man muss sein Bäumchen zu irgendwelchen Sammelstellen schleppen oder fahren. Dazu hatte ich noch nie Lust, aber ich kenne netterweise jemanden, dessen Eltern einen Kamin haben und der so unglaublich nett ist, meine blaue Ikeatüte voller Tannenbaumeinzelteile dorthin zu fahren. Ich muss aus dem Baum halt nur Kleinholz machen. Da ich bisher immer winzige Bäume hatte, klappte das ganz gut, bis auf den Stamm. Dafür leiht mir der unglaubliche nette Mann auch immer seine Gartenschere, aber jetzt ist er gerade nicht da und ich komme nicht an sein Kellerabteil ran, in dem die Schere liegt. Aber da ich ja jetzt einen benutzbaren Balkon habe, auf dem in meinem Kopf schon eine Tomatenplantage entstanden ist und Blümchen wachsen und alle Kräuter, deren Namen ich buchstabieren kann, brauche ich garantiert auch selbst eine Gartenschere. Und jetzt habe ich eine.
Auf dem Rückweg nach Hause kaufte ich Müsli, einen Granatapfel und eine Zeitung. Mein FAZ-Abo ging Ende Dezember zu Ende, aber jetzt will ich natürlich doch wieder eine Zeitung lesen, war ja klar. Ich erstand die Süddeutsche, kann aber noch kein vernünftiges Urteil fällen. Liest sich noch sehr ungewohnt – und bis auf die Seite 3 im Vergleich zur FAZ deutlich fluffiger. Hm.
Zuhause war noch kein Feedback auf meine vormittägliche Arbeit gekommen, also begann ich damit, den Baum abzuschmücken, legte Kugeln zurück in ihre Plastikdosen und wickelte Lichterketten auf. Danach griff ich zum neu erstandenen Werkzeug und machte mich zufrieden über das Bäumchen her. Der große Sofahocker, der für den Baum ins Arbeitszimmer umziehen musste, steht jetzt wieder in der Bibliothek und eine große blaue Tüte mit 300 Ästchen steht im Flur. Weihnachten 2018 ist abgewickelt.
Immer noch kein Feedback. Deswegen konnte ich mich meiner neuen Jahresbeschäftigung hingeben: Musik hören. Ich hatte vor Kurzem ein Buch geschenkt bekommen, in dem für jeden Tag des Jahres ein Stück klassische Musik vorgeschlagen wird; netterweise hat die Verfasserin auch gleich die passende Spotify-Playlist angelegt. Am ersten Januar lauschte ich schon dem Sanctus aus Bachs Messe in h-moll, BWV 232. Dabei beließ ich es natürlich nicht, sondern hörte gleich noch ein bisschen mehr aus der Messe. Ich muss allerdings zugeben, dass Bach mir in Mengen latent auf die Nerven geht. Ich liebe seine Präzision, und in kleinen Dosen höre ich ihn sehr gerne. Aber ich habe bis heute noch nie das Weihnachtsoratorium am Stück gehört, weil ich irgendwann irre werde an dieser Präzision. Das Sanctus war allerdings ein herrlicher Jahresauftakt. Hier mein Tweet mit dem kompletten Buchtext dazu; ich werde nicht alles vertwittern, ich ahne, dass die Autorin das nicht so toll finden würde.
Gestern gab’s dann zwei perlige Minuten Chopin, genauer gesagt, seine Etüde in C-Dur, Op. 10; das ist gleich das erste Stück im folgenden Video. Da das ganze Opus No. 10 nicht mal eine halbe Stunde dauert, hörte ich es komplett; die über anderthalb Stunden Bach habe ich nicht geschafft. Da jemand auf YouTube so nett war, die Noten zum Chopin abzubilden, ist meine Lust, Klavierspielen zu lernen, allerdings gleich gen Null gegangen. Wer soll denn das lesen? Ich frage mich bis heute, wie ich es auf dem Akkordeon geschafft habe, meine beiden Hände unabhängig voneinander spielen zu lassen und wie schlau mein Kopf mal war, die Noten in Bewegungen umzusetzen. Auch beim Geigespielen sahen die Notenblätter deutlich aufgeräumter aus. Hier habe ich meist die linke Hand mitgelesen, die rechte hat mich schon beim Hingucken überfordert; spätestens beim achten Stück hatte sich das aber auch erledigt. Vielleicht doch lieber die Triangel lernen? Oder ein Klanghölzchen?
Aber: Die 9! Hört euch die 9 an! Die 12 war übrigens das einzige Stück aus den Etüden, das ich vorher kannte. Aber das Buch hatte schon am zweiten Tag gewonnen: will mehr Chopin hören. Und mehr von Aschkenasi, der im Video spielt.
Immer noch kein Feedback, inzwischen war es 16 Uhr geworden, ich holte das Bügelbrett aus dem Wandschrank und bügelte die frisch gewaschene Tischdecke und die beiden Stoffservietten, die wir Silvester benutzt hatten. Dazu noch meine Alltagstischdecke aus der Küche, die gleich mit in der Maschine gelandet war. Keine Ahnung, warum ich auf einmal Tischdecken mag. Ich werde dieses seltsame Verhalten weiter beobachten.
Als sich die Agentur bis 18 Uhr nicht mehr gemeldet hatte, kochte ich die Reste vom Silvestermenü auf: ein Ochsenbäckchen in Soße erwärmen, drei, vier Scheibchen Serviettenknödel in Butter anbraten und auf dem Teller ebenfalls ordentlich mit Soße übergießen. Zum Nachtisch das letzte Nougatparfait mit den letzten Gewürzmandarinen. Danach landete viel Geschirr zum bereits vorhandenen im Geschirrspüler, an dessen Vorhandensein ich mich irrwitzig schnell gewöhnt habe. Wenn ich alleine für mich Kleinkram koche, wasche ich immer noch per Hand ab, aber gerade für etwas aufwendigere Menüs oder beim Backen weiß ich es inzwischen sehr zu schätzen, dutzende von Schüsseln nicht abspülen zu müssen. An mein Herz, kleiner Kasten!
Zwei Serienfolgen und dann mit Stefan Zweigs Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers ins Bett, das ich seit Tagen mit Genuss lese.