Tagebuch Freitag, 4. Januar 2018 – Mal raus da
Da ich meinen Text plangemäß am Vorabend erledigt und nach einer Nacht Rumliegen und morgendlichem Nachbessern schon um kurz nach 9 Uhr an den Kunden geschickt hatte, hatte ich vormittags etwas Leerlauf. Flugs die dicken Stiefelchen angezogen, die ausgelesenen Comics in Rucksack und Stofftasche gepackt und zur Münchner Stadtbibliothek gefahren. Bzw. fahren lassen, U-Bahn, S-Bahn, es schneite, Fahrrad war für mich keine Option.
Eigentlich wollte ich danach noch einkaufen, ich hätte gerne zu meinem etwas schweren Lederrucksack wieder so einen dünnen Alltagsrucksack aus billigstem Polyester, in den auch mehr reingeht, weil man ihn halt besser vollstopfen kann. Aber als ich in der Bibliothek war, fiel mir auf: Hey, hier liegen Bücher rum! Davon könntest du welche mitnehmen! Und schon war der Rucksack wieder zu voll, um damit entspannt shoppen gehen zu können. Prioriäten.
Ich lese jetzt einfach das ganze Graphic-Novel-Regal systematisch durch. Heute: eine Auswahl aus den Buchstaben A und B.
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Auf dem Nachhauseweg erstand ich die FAZ (schon gut, SCHON GUT) aus einem dieser lustigen Selbstbedienungsdingsis, die bestimmt einen tollen Namen haben, den ich aber nicht kenne. Diese Glaskästen auf Beinchen, in denen ein Stapel Zeitungen liegt und man wirft Geld ein und kann dann den Deckel anheben, um sich eine Zeitung rauszunehmen. Oder alle, wenn man doof ist. Direkt an meiner U-Bahn-Haltestelle stehen gleich vier nebeneinander, wo man, wenn ich richtig geguckt habe, die FAZ, die SZ, die Bild und die Abendzeitung erstehen kann. Als ehemalige Abonnentin wusste ich peinlicherweise nicht, wieviel eine einzelne Zeitung denn genau kostet. Ich musste erstmal den Schnee von der Abdeckung wischen, um es rauszufinden, und warf dann brav passend 2,90 Euro ein.
(Edit 8.1.: Die Dingsis heißen „stumme Verkäufer“, danke für den Hinweis an einen Redakteur der SZ (Da muss jetzt ein Smiley hin!) :-)
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Aus den wenigen Flöckchen, die mich davon überzeugt hatten, lieber die Stiefel und nicht die Sneaker anzuziehen, war inzwischen amtlicher Schneefall geworden. Ich freute mich über die sofort hübschere und leisere und langsamere Stadt. Zuhause gab’s dann das Sahnehäubchen auf den Tag: In unserem Hausflohmarkt – der untere Treppenabsatz, auf dem alle Leute umsonst ihr Zeug ablegen, von dem sie glauben, dass andere es noch brauchen könnten – lagen zwei schlichte, graublaue Ikea-Teller, die ich mir bei meinen hundert Lampenkaufbesuchen immer brav verkniffen hatte. Innerlich quengelte ich jedesmal, aber ich hatte mir immer energisch gesagt, nein, du brauchst nicht noch mehr Geschirr, du hast genug, nein, auch nicht für Blog-Rezeptfotos (meine liebste Ausrede der letzten Jahre, um Schüsselchen und Tellerchen zu kaufen), nein, weitergehen, liegenlassen, raus hier.
Aber, ich meine, wenn sie schon vor meiner Haustür liegen?! Daran konnte ich nicht vorbeigehen. Danke, Nachbar*in! Ich bin bisher im Flohmarkt diverse Bücher losgeworden, die ich nicht mehr in Kisten packen wollte, oder Klamotten und finde diese Einrichtung auch nach Jahren noch super.
In meiner Wohnung angekommen, kochte ich die erste Kanne Tee des Tages, stellte mich mit der dampfenden Tasse an mein riesiges Balkonfenster und schaute nach draußen ins Weiße. Das war schön.
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Die Musik zum Tag (Year of Wonder) erklang währenddessen im Hintergrund: der fünfte Satz, die Cavatina, aus Beethovens 13. Streichquartett in B-Dur. Den hörte ich auch brav zunächst durch, wollte dann aber das ganze Quartett hören und staunte beim ersten Satz: den kenne ich ja. In meinem ersten Semester Musikwissenschaften (die ich im dritten Semester gegen Geschichte tauschte) belegte ich ein Seminar zu Beethovens Klaviertrios. Keine Ahnung, ob wir uns da im Zusammenhang auch mal diesem Streichquartett genähert haben.
Für diesen Eintrag habe ich mein erstes Semester punktuell nachgelesen und wünschte, ich hätte die Disziplin meiner zweiten Uniwoche fürs Blog beibehalten. Was da über die Messe in der Renaissance steht, passt übrigens gut zu Frau von Bingen vom gestrigen Eintrag.
Burton-Hill über die Cavatina von Beethoven, den sie „one of classical music’s most complex minds“ nennt:
„And then, toward the end of a sometimes troubled life, he wrote a group of string quartets […] that took this genre of chamber music – indeed all music – to a new realm. […] Nothing had ever been heard like this before. Beethoven was coming up with music, als the Romantic composer Robert Schumann would later put it, that contains ‚a grandeur which no words can express … [standing] on the extreme boundary of all that has hitherto been attained by human art and imagination.‘ […]
Beethoven’s ethereally expressive Cavatina already feels like music that gets to the places other works could never reach. Beethoven was fully deaf by now and seems to be pushing at the boundaries of what can be expressed through music – what can be heard. To my mind, the Cavatina explores in a little over six short minutes the profoundest rhetorical questions about human frailty and folly, life and love. In seeking these answers, it reaches a sort of exalted transcendence.“
Grenzüberschreitung war Beethovens Ding. Wenn ich mich richtig erinnere, ist seine 9. Sinfonie (die mit dem Götterfunken) die erste, in der ein Chor auftritt; davor war sinfonische Musik gesanglos. Aber Beethoven wusste, er hatte mit seinen bisherigen Sinfonien alles ausgereizt, was ihm möglich war – jetzt musste ein neues Instrument her, hier die menschliche Stimme. Vielleicht bewegt uns das Stück auch deswegen heute noch – es war der Grundstein zu etwas völlig Neuem.
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Herr Buddenbohm schreibt über Komfortzonen, aus denen wir angeblich auch alle mal raus müssen. Müssen wir gar nicht, stellt auch er fest, aber sich vielleicht ab und zu zu Dingen aufraffen, die man nicht dauernd macht, das wäre okay. Sehe ich genauso.
„Die Komfortzone meint natürlich alles, worin man sich eingerichtet hat, das können also auch recht fatale und unangenehme Umstände und Probleme sein, Hauptsache, sie ändern sich nicht mehr, so ist das ja eigentlich gemeint, ich weiß. Und da soll man unbedingt raus, das ist also die Aufforderung sich zu challengen, sich irgendwas zu stellen, etwas Neues zuzulassen, sich mal wieder mit etwas abzumühen – damit etwas passiert und sich verändert. Im Grunde ist das eine Wachstumsstrategie, und das ist der zweite Punkt, an dem ich Zweifel habe. Denn diesen Imperativ, dass man immer weiter und höher muss, dass man mehr erreichen soll, mehr sein soll, den kann man ja zumindest mal hinterfragen. Reduce to the max könnte einem als Alternative einfallen (mir schon namensbedingt sowieso), wobei es zu Personal Degrowth noch keine Ratgeber zu geben scheint, bin ich da gerade über eine Marktlücke gestolpert? Ebenso könnte einem die mittlerweile leicht verstaubte Variante einfallen, sich doch bitte erst einmal okay zu finden, das fanden damals doch auch schon alle schwer genug, die Älteren erinnern sich.“
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How Mark Burnett Resurrected Donald Trump as an Icon of American Success
Der Artikel liegt mir seit Tagen im Magen. Eigentlich wollte ich über Trump nicht mehr schreiben und vermeide es auch meist, etwas über ihn zu lesen, es ist so egal und es nervt mich nur. Aber wie Reality TV dafür gesorgt hat, aus einer Lachnummer einen Präsidenten zu machen, fand ich dann doch lesenswert. Leider.
„After starring in fourteen seasons of “The Apprentice,” all executive-produced by Burnett, Trump appeared in the gilded atrium of Trump Tower, on Fifth Avenue, to announce that he was running for President. Only someone “really rich,” Trump declared, could “take the brand of the United States and make it great again.” He also made racist remarks about Mexicans, prompting NBC, which had broadcast “The Apprentice,” to fire him. Burnett, however, did not sever his relationship with his star. He and Trump had been equal partners in “The Apprentice,” and the show had made each of them hundreds of millions of dollars. They were also close friends: Burnett liked to tell people that when Trump married Knauss, in 2005, Burnett’s son Cameron was the ring bearer. […]
Burnett has never liked the phrase “reality television.” For a time, he valiantly campaigned to rebrand his genre “dramality”—“a mixture of drama and reality.” The term never caught on, but it reflected Burnett’s forthright acknowledgment that what he creates is a highly structured, selective, and manipulated rendition of reality. Burnett has often boasted that, for each televised hour of “The Apprentice,” his crews shot as many as three hundred hours of footage. The real alchemy of reality television is the editing—sifting through a compost heap of clips and piecing together an absorbing story. Jonathon Braun, an editor who started working with Burnett on “Survivor” and then worked on the first six seasons of “The Apprentice,” told me, “You don’t make anything up. But you accentuate things that you see as themes.” He readily conceded how distorting this process can be. Much of reality TV consists of reaction shots: one participant says something outrageous, and the camera cuts away to another participant rolling her eyes. Often, Braun said, editors lift an eye roll from an entirely different part of the conversation.
“The Apprentice” was built around a weekly series of business challenges. At the end of each episode, Trump determined which competitor should be “fired.” But, as Braun explained, Trump was frequently unprepared for these sessions, with little grasp of who had performed well. Sometimes a candidate distinguished herself during the contest only to get fired, on a whim, by Trump. When this happened, Braun said, the editors were often obliged to “reverse engineer” the episode, scouring hundreds of hours of footage to emphasize the few moments when the exemplary candidate might have slipped up, in an attempt to assemble an artificial version of history in which Trump’s shoot-from-the-hip decision made sense. During the making of “The Apprentice,” Burnett conceded that the stories were constructed in this way, saying, “We know each week who has been fired, and, therefore, you’re editing in reverse.” Braun noted that President Trump’s staff seems to have been similarly forced to learn the art of retroactive narrative construction, adding, “I find it strangely validating to hear that they’re doing the same thing in the White House.”“
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Die Wikipedia hat eine Liste von Menschen, deren Werke 2019 (größtenteils) gemeinfrei geworden sind. Wir könnten jetzt lustig Kurt Schwitters remixen. Karl Valentin allerdings nur zum Teil.
Open Culture weist auf 11.000 digitalisierte Bücher hin, die 1923 erschienen sind.
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Und weil es artnet mir gestern wieder in die Twitter-Timeline spülte: Hier nochmal das Apeshit-Video von Beyoncé und Jay-Z im Louvre. Ich kann mich an den Szenen vor der Nike von Samothrake nicht sattsehen.