Tagebuch Samstag bis Dienstag, 26. bis 29. Januar 2019 – Wein, Schokolade und Bier
Der Samstag war schön, dann doof, dann wieder schön: Am späten Vormittag besuchte ich die zweite Ausstellung für unseren Podcast und besorgte dann noch den Wein für die Aufnahme, den ich ernsthaft bis dahin vergessen hatte. Der Gastgeber legt ja bekanntermaßen das Weinthema fest, über die Austellungen stimmen wir ab, und so hatte ich im Hinterkopf, welche zwei Schauen ich noch gucken musste – aber dass ich auch noch einen Wein brauche, hatte ich warum auch immer völlig verschnarcht.
Gut, dass es das Internet gibt, das einem sagt, wo man in Müchen vielleicht Orange Wine bekommen könnte. Ich hatte mir auch einen Winzer ergoogelt, dessen Weine ich probieren wollte, und so stieg ich nach der Ausstellung erst in die Tram, kaufte dann am Stachus mein Lieblingsbrot, stieg dort auch gleich in die S-Bahn, um am Rosenheimer Platz schon wieder auszusteigen und zum Weinladen zu bummeln. Dort gab es zwar nicht den Wein, den ich mir überlegt hatte, aber dafür genügend andere. Außerdem stellte ich beglückt fest, dass in meinen neuen Rucksack locker drei Weinflaschen (und Zeug) passen und dass die rückseitige Polsterung dafür sorgt, dass mir die Flaschen nicht dauernd an die Lendenwirbelsäule dengeln.
Ich war rechtzeitig zum Fußball wieder zuhause und konnte so dem FC Augsburg dabei zuschauen, mal wieder zu verlieren. Immerhin auf dem warmen Sofa und nicht frustriert und frierend im Stadion.
Abends fuhr ich dann zu F., aß die bei ihm traditionelle Fehlfarbenpizza von Lo Studente (dieses Mal Christopher), wir entkorkten Weine und plauderten erst ohne Mikro, dann mit, dann wieder ohne vor uns hin.
Gemeinsam eingeschlafen.
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Und Sonntag gemeinsam aufgewacht. Um 11! Was zur Hölle? Normalerweise werde ich schon irre, wenn ich um 9 aufwache, weil ich dann immer denke, der halbe Tag ist schon rum, aber ELF? So lange hatte ich schon ewig nicht mehr geschlafen. F. holte sich ein Teilchen vom Bäcker, ich meinte, ich bräuchte nichts, ich würde mir meine Sonntagscroissants nachher selber auf dem Heimweg holen. Wir lungerte noch etwas rum, dann musste er ins Stadion zu Bayern, und als ich meinen Rucksack packen wollte, um nach Hause zu gehen, stellte ich fest, dass in ihm eine Bäckertüte lag, weil F. mir natürlich schon Croissants mitgebracht hatte. Ich war ein lebendes Herzaugenemoji. (Jetzt beim Aufschreiben schon wieder!)
Das Bayernspiel schaute ich nur kurz, ansonsten sah ich den Stalkerquatsch You auf Netflix und fand es fürchterlich. Das Beste an der Serie ist dieser Artikel in der NYT, in dem Hauptdarsteller Penn Badgley zu seiner Rolle als Mistkerl sagt: „In a more just society, we would all see Joe as problematic and not be interested in the show, but that’s not the society we live in.“
Die noch fehlenden Bücher der letztwöchigen FAZ nachgelesen, unter anderem diesen Artikel über die erneute Aufführung von Schindlers Liste.
„Auch Produzent Artur Brauner versuchte sich an einem Schindler-Film. Er scheiterte 1984 und 1992 an der Filmförderung, die erklärte, kein Deutscher könne solch einen Film machen, ohne nicht der Reinwaschung bezichtigt zu werden.
Brauners Erfahrungen spiegeln die besonders komplizierte Stellung deutscher Filme, die sich nicht-dokumentarisch mit dem Holocaust beschäftigen, hervorragend wider. Die Schuldfrage und die doppelte Betroffenheit erzeugen bis heute ein schizophrenes Arbeitsfeld zwischen Ausblendung und der Angst, „falsch“ zu erzählen und zu bebildern. Wenn Ideen nicht gleich an den Abwehrmechanismen scheitern, finden sie oft durch Verschiebungs- und Ersatzmechanismen statt. Besonders beliebt sind das Konzentrieren auf Widerstandsgeschichten, die „guten“ Deutschen. Das Jüdische wiederum findet meist abgeschirmt vom Holocaust in Geschichten von Entkommenen oder Versteckten statt. Man konzentriert sich auf die Ausnahmen. Die harsche Realität des Holocaust bleibt randständig. Kein Wunder, dass die wirklich wirksamen Filme nicht aus Deutschland kommen.“
Am Sonntag war Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Yad Vashem hatte sich dazu eine Aktion in den sozialen Medien überlegt, die ich in ihrer Schlichtheit sehr beeindruckend und wirkungsvoll fand. An der sogenannten I-Remember-Wall konnte man sich eine Person zuteilen lassen, die in der Shoah umgebracht worden war und ihrer gedenken. Ich habe das Bild und eine kurze Biografie von Malka Apelman aus Polen auf meinem Instagram-Account gepostet. Aus einer unvorstellbaren Zahl wurde ein einzelnes Gesicht, eine Person, und an diese habe ich gedacht.
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Der Montag war größtenteils von kulinarischen Misserfolgen geprägt. Immerhin ist das Gemüsebrühenpulver etwas geworden. Aber die eigentlich angeblich tollste Schokoladentorte der Welt war ein einziges Desaster. Aus Frust buk ich einen Biskuit, von dem ich wusste, dass er funktionierte, und ergoogelte mir eine Buttercreme mit Schokolade statt mit Kakaopulver, denn das hatte ich komplett für die nach gammeliger Asche schmeckende Torte gebraucht, die jetzt in Bröseln (Teig war nicht festgeworden) in meinem Mülleimer lag. Das klappte immerhin und rettete ein bisschen den Tag, auch wenn es eben nicht der fluffige Teig mit einer leichten Creme war, sondern mein üblicher fester Biskuit, den man aber immerhin mit Creme einstreichen kann, ohne dass er einem unter der Palette zerfällt.
So richtig gerettet wurde der Tag allerdings durch ein, zwei (sieben, ähem) Bierchen im Obacht in meiner liebsten Gesellschaft. Ich musste mich allerdings auf dem Heimweg an den Häuserwänden festhalten und weiß nach den Kopfschmerzen am Dienstag morgen auch, dass meine Grenze anscheinend fünf Halbe sind und eben nicht sieben. Aber es war so nett und gemütlich und unser Gespräch so schön, dass wir beide einfach den Abend nicht beenden wollten.
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Dienstag war Orgatag. Auf meinem Schreibtisch lag lauter Kleinkram, der weggearbeitet werden wollte. Das tat ich auch, räumte zwischendurch das Schlachtfeld Küche auf, das ich nach dem bierseligen Abend wirklich nicht mehr anrühren wollen, und ging brav früh und nüchtern schlafen.
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Bei Year of Wonder haben mir zwei Stücke sehr gefallen, beide von Komponist*innen, die ich noch nicht kannte. Die Unsent Love Letters von Elena Kats-Chernin und L’Heure Exquise von Reynaldo Hahn sind sehnsuchtsvoll schön und passten gestern sehr gut in meine Stimmung.
Wie ich allerdings festgestellt habe, besteht meine Playlist der Woche von Spotify inzwischen auch nur noch aus Klassik, seit ich eben dort nichts anderes mehr höre. Muss mal wieder ein paar Föhnfrisuren aus den 80er Jahren anwerfen.
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Als Rausschmeißer wieder ein bisschen Zweig. Wir befinden uns in den direkten Nachkriegsjahren in Österreich, und was Zweig mit am eindrücklichsten an der Inflationszeit in Erinnerung geblieben ist, sind: biertrinkende Menschen.
„Am groteskesten entwickelte sich das Mißverhältnis bei den Mieten, wo die Regierung zum Schutz der Mieter (welche die breite Masse darstellten) und zum Schaden der Hausbesitzer jede Steigerung untersagte. Bald kostete in Österreich eine mittelgroße Wohnung für das ganze Jahr ihren Mieter weniger als ein einziges Mittagessen; ganz Österreich hat eigentlich fünf oder zehn Jahre (denn auch nachher wurde eine Kündigung untersagt) mehr oder minder umsonst gewohnt. Durch dieses tolle Chaos wurde von Woche zu Woche die Situation widersinniger und unmoralischer. Wer vierzig Jahre gespart und überdies sein Geld patriotisch in Kriegsanleihe angelegt hatte, wurde zum Bettler. Wer Schulden besaß, war ihrer ledig. Wer korrekt sich an die Lebensmittelverteilung hielt, verhungerte; nur wer sie frech überschritt, aß sich satt. Wer zu bestechen wußte, kam vorwärts; wer spekulierte, profitierte. Wer gemäß dem Einkaufspreis verkaufte, war bestohlen; wer sorgfältig kalkulierte, blieb geprellt. Es gab kein Maß, keinen Wert innerhalb dieses Zerfließens und Verdampfens des Geldes; es gab keine Tugend als die einzige: geschickt, geschmeidig, bedenkenlos zu sein und dem jagenden Roß auf den Rücken zu springen, statt sich von ihm zertrampeln zu lassen.
Dazu kam, daß während im Wettersturz der Werte die Menschen in Österreich jedes Maß verloren, manche Ausländer erkannt hatten, daß bei uns im trüben gut zu fischen war. Das einzige, was während der Inflation – die drei Jahre anhielt und in immer schnellerem Tempo verlief – innerhalb des Landes stabilen Wert besaß, war das ausländische Geld. Jeder wollte, da die österreichischen Kronen wie Gallert unter den Fingern zerflossen, Schweizer Franken, amerikanische Dollars, und stattliche Massen von Ausländern nützten die Konjunktur aus, um sich an dem zuckenden Kadaver der österreichischen Krone anzufressen. Österreich wurde ›entdeckt‹ und erlebte eine verhängnisvolle ›Fremdensaison‹. Alle Hotels in Wien waren von diesen Aasgeiern überfüllt; sie kauften alles, von der Zahnbürste bis zum Landgut, sie räumten die Sammlungen von Privaten und die Antiquitätengeschäfte aus, ehe die Besitzer in ihrer Bedrängnis merkten, wie sehr sie beraubt und bestohlen wurden. Kleine Hotelportiers aus der Schweiz, Stenotypistinnen aus Holland wohnten in den Fürstenappartements der Ringstraßenhotels. So unglaublich das Faktum erscheint, ich kann es als Zeuge bekräftigen, daß das berühmte Luxushotel de l’Europe in Salzburg für längere Zeit ganz an englische Arbeitslose vermietet war, die dank der reichlichen englischen Arbeitslosenunterstützung hier billiger lebten als in ihren Slums zu Hause. Was nicht niet- und nagelfest war, verschwand; allmählich verbreitete sich die Nachricht, wie billig man in Österreich leben und kaufen könne, immer weiter, aus Schweden, aus Frankreich kamen neue gierige Gäste, man hörte auf den Straßen der inneren Stadt in Wien mehr italienisch, französisch, türkisch und rumänisch sprechen als deutsch. Sogar Deutschland, wo die Inflation zuerst in viel langsamerem Tempo vor sich ging – freilich um die unsere später um das Millionenfache zu überholen –, nutzte seine Mark gegen die zerfließende Krone aus. Salzburg als Grenzstadt gab mir beste Gelegenheit, diese täglichen Raubzüge zu beobachten. Zu Hunderten und Tausenden kamen aus den nachbarlichen Dörfern und Städten die Bayern herüber und ergossen sich über die kleine Stadt. Sie ließen sich hier ihre Anzüge schneidern, ihre Autos reparieren, sie gingen in die Apotheken und zum Arzt, große Firmen aus München gaben ihre Auslandsbriefe und Telegramme in Österreich auf, um an der Differenz des Portos zu profitieren. Schließlich wurde auf Betreiben der deutschen Regierung eine Grenzbewachung eingesetzt, um zu verhindern, daß alle Bedarfsgegenstände statt in den heimischen Läden in dem billigeren Salzburg gekauft wurden, wo man schließlich für eine Mark siebzig österreichische Kronen erhielt, und energisch wurde am Zollamt jede aus Österreich stammende Ware konfisziert. Aber ein Artikel blieb frei, den man nicht konfiszieren konnte: das Bier, das einer im Leibe hatte. Und die biertrinkenden Bayern rechneten es sich am Kurszettel von Tag zu Tag aus, ob sie im Salzburgischen infolge der Entwertung der Krone fünf oder sechs oder zehn Liter Bier für denselben Preis trinken konnten, den sie zu Hause für einen einzigen Liter zahlen mußten. Eine herrlichere Lockung war nicht zu erdenken, und so zogen mit Weibern und Kindern Scharen aus dem nachbarlichen Freilassing und Reichenhall herüber, um sich den Luxus zu leisten, so viel Bier in sich hineinzuschwemmen, als der Bauch nur fassen konnte. Jeden Abend zeigte der Bahnhof ein wahres Pandämonium betrunkener, grölender, rülpsender, speiender Menschenhorden; manche, die sich zu stark überladen, mußten auf den Rollwagen, die man sonst zu Koffertransporten benutzte, zu den Waggons geschafft werden, ehe der Zug, gefüllt mit bacchantischem Geschrei und Gesang, wieder zurückfuhr in ihr Land. Freilich, sie ahnten nicht, die fröhlichen Bayern, daß ihnen eine fürchterliche Revanche bevorstand. Denn als die Krone sich stabilisierte und dagegen die Mark in astronomischen Proportionen niederstürzte, fuhren vom selben Bahnhof die Österreicher hinüber, um ihrerseits sich billig zu betrinken, und das gleiche Schauspiel begann zum zweitenmal, allerdings in der entgegengesetzten Richtung. Dieser Bierkrieg inmitten der beiden Inflationen gehört zu meinen sonderbarsten Erinnerungen, weil er plastisch-grotesk im kleinen den ganzen Irrsinnscharakter jener Jahre vielleicht am deutlichsten aufzeigt.“