Tagebuch Samstag/Sonntag, 2./3. Februar 2019 – Gute Zeit
Den Samstag verbrachte ich größtenteils lesend auf der Couch. Morgens hatte ich meine Einkäufe erledigt, dann die erste Kanne Tee des Tages gekocht, irgendwann gab’s die Bundesliga-Konferenz, dann die zweite Kanne Tee, und dann begann ich mit der Netflix-Serie Russian Doll. Vielleicht lag’s daran, dass ich von Samstag auf Sonntag so richtig mies schlief, mit Alpträumen und schmerzhaftem Aufwachen, Angst vor der Dunkelheit (erstmal eine Stunde lesen), dann wieder eingeschlafen und irgendwann gegen 10 arg gerädert aufgewacht.
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Gelesen: unter anderem in der FAZ eine Reportage über Christen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die gerade Besuch vom Papst bekommen haben. Leider nur als FAZplus online. Mich kurz wie meine Mama gefühlt, die mir interessante Zeitungsartikel aufhebt und mich telefonisch fragt, ob ich sie haben will, was ich meist entspannt verneinen kann, als ich selbst diesen Artikel für F. aufhob, der gerade vor Ort war. Und ein paar Menschen seiner nicht-deutschen Abstammungshälfte kommen auch im Text vor.
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Gefreut über: diesen Instagram-Post der Tate, die sich von einem ihrer Mitarbeiter verabschiedet, der nach 36 Jahren in den Ruhestand ging. Die vermutlich deutlich jüngeren Social-Media-Menschen haben ihn vor seinem Lieblingsbild abgelichtet und ihm ein paar Fragen gestellt, was ich einfach für sehr gelungen hielt.
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Gesehen: „Als der Tee in den Norden kam“ beim NDR, danke an @TomInMuc für den Hinweis. Ich wusste nicht, dass der Hersteller meines Lieblingstees der erste Ostfriesenteeproduzent war, und ich wusste auch nicht, dass mein Getränk aus 19 Teesorten besteht. Die Reportage hatte nach wenigen Sekunden gewonnen, als ich genau das gleiche Szenario sah, das ich vor einigen Monaten beim Dallmayr hatte bewundern dürfen: eine anständige Teeverkostung. Tassen und Kännchen sahen genauso aus, und auch hier in München wird mit einer Handwaage abgemessen.
Während des Films hatte ich ein bisschen Heimweh. Der Landkreis Hannnover liegt zwar nicht direkt bei Ostfriesland, aber die Leute hörten sich doch ein bisschen mehr nach Zuhause an als die Menschen hier unten. So nett ich das alles hier finde – ab und zu vermisse ich dann doch die Reetdächer und das Fachwerk und die Ahnung vom Meer. Und dass die Leute „büschn“ sagen, wenn sie „ein bisschen“ meinen.
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Noch nicht gelesen, aber mal vorgenommen: das Buch der diesmonatigen Twitlektüre. Quasi ein digitaler Lesezirkel, in dem wissenschaftliche Werke besprochen werden. Ich habe den Account in den letzten Wochen verfolgt und mir jetzt mal das neue zu lesende Buch bestellt. Per Mail an meine Buchhandlung um die Ecke, von wo ich es am Dienstag abholen kann.
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Der Sonntag begann, wie oben angedeutet, etwas später als geplant. Ich schaffte es gerade noch zu duschen, zu bloggen und ein bisschen Nutellabrot mit Kaffee zu verspeisen, bevor ich mich in meine acht Lagen Stadionklamotten zwängen musste. Wollte. So irgendwie. Samstag nacht hatte es begonnen zu schneien; als ich morgens aus dem Fenster sah, war alles weiß und ich freute mich eher weniger auf den Weg von der Tram zum Stadion, auf dem man dann vermutlich nass werden würde. Trotzdem wollte ich in Stadion, weil ich hoffte, gegen Mainz mal wieder einen Heimsieg mitansehen zu können. Der letzte von Augsburg war bereits im September gegen Freiburg; seitdem hat die Mannschaft nur noch unentschieden gespielt (wenn wir Glück hatten) oder verloren, auch gegen Gegner, gegen die wir eigentlich hätten gewinnen können oder müssen.
Wir starteten zu viert vom Hauptbahnhof, F. hatte einen Freund aus den USA dabei, und zu uns gesellte sich noch eine unserer üblichen Mitfahrerinnen. Wir beiden stiegen in Augsburg schon an der Haunstätter Straße aus, unser normaler Bahnhof, während F. und Kumpel noch bis zum Hauptbahnhof fuhren, um dort Gepäck einzuschließen. Gleich die erste Tram zum Stadion war fast komplett leer, was entweder hieß, dass wir viel zu früh dran waren oder das Stadion nachher arg leer sein würde (es war so ein Mittelding). Wir zuckelten in Richtung Arena, als die Bahn nach der vorletzten Station plötzlich länger auf freier Strecke hielt. Netterweise in einer Kurve, so dass ich sehen konnte, dass vor uns bereits zwei Trams standen anstatt zu fahren. Im Nachhinein erfuhren wir, dass es wohl gefrorene Oberleitungen waren, die die Trams stoppten. Nach einigen Minuten, in denen ich drei Tram-Fahrer*innen beim Rückwärtsfahren und Diskutieren beobachten konnte, öffneten sich alle Türen und wir mussten den restlichen Weg zum Stadion zu Fuß zurücklegen. Ich freute mich innerlich, dass wir nicht fünf Stationen vorher liegengeblieben waren und stapfte ergeben durch den Schneematsch.
Vor der Arena trennten sich unsere Wege, die Mitfahrerin und ihr Bruder stehen in der Kurve, während ich ja gemütlich auf der Haupttribüne sitze. Der Einlass ging ausnahmsweise blitzschnell, weil noch nicht so viele Leute da waren, aber ich ärgerte mich wieder über eine neue Schikane: Neuerdings gibt es eine Schlange für „Damen mit Handtaschen“. Ich habe keine Handtasche, durch die man sich durchwühlen muss, ich verteile alles Wichtige auf meine Hosen- und Jackentaschen: Dauerkarte, Fresskarte, Semesterticket für München, was immer noch aus Studiausweis, Ticket und Perso besteht, Notfallbargeld, Asthmaspray, Labello (nie ohne!), Taschentuch, Hausschlüssel, Handy. (Ausnahmsweise kein Buch.) Trotzdem drängelte man mich in die Handtaschenschlange, denn ich hatte eine Stofftasche dabei, in der meine Decke war, ohne die ich bei diesen Temperaturen nicht in ein Fußballstadion gehe. Ich hatte schon die letzten beiden Male sinnlos diskutiert, dass das keine Handtasche war und man da nichts nach Pyro oder Schusswaffen durchwühlen musste, sondern nur mit den Händen einmal draufpatschen, um zu sehen, dass da nur weicher Fleece drin ist, aber nein. Die Dame an der Handtaschenschlange patschte dann auch nur einmal auf die Stofftasche, erspürte weichen Fleece und winkte mich nach dem üblichen Abtasten durch. Was für ein sinnloser Scheiß. Vielleicht freue ich mich im Sommer darüber, wenn ich ohne Tasche anstehen muss, aber trotzdem. Der Einlass ist schon nervig genug, macht es doch nicht noch nerviger. Vor allem bei Schnee oder Regen.
Drinnen erledigte ich den üblichen Gang zum Klo, der auch dazu diente, meine Schuhe nochmal festzuschnüren und die letzten Knöpfe an der Jacke zu schließen, die ich beim Rumlaufen immer nur halb geschlossen trage. Halb heißt hier: Ich nutze nur die Haken, die die Jacke zusammenhalten, verzichte aber der guten Luftzirkulation wegen auf die Druckknöpfe, die die Wolljacke richtig dicht machen. Bei 90 Minuten Rumsitzen tut das aber ganz gut, wenn da nichts mehr zirkuliert, sondern ich von meiner Körperwärme profitieren kann.
Danach die übliche Stadionwurst und eine Apfelschorle. Kurz über Punsch oder Glühwein nachgedacht, dann aber doch Schorle getrunken.
Man sieht auf dem Bild den feinen Schneegriesel nicht so gut, der das ganze Spiel über runterkam; beim Spielbericht vom FCA erkennt man ihn etwas besser. Die ursprünglich roten Spielfeldlinien wurden in der Halbzeitpause wieder geweißelt, aber das machte sie auch nicht besser sichtbar. Der Kasper aus der Puppenkiste, der immer das Ergebnis voraussagt, hoffte auf ein 3:1, wir lachten noch, und dann ging es ernsthaft 3:0 aus, wie geil! Im Zug wimmerten wir alle noch, dass wir auch ein dreckiges 1:0 nehmen würden, Hauptsache mal wieder gewinnen, Augsburg steht nur einen Platz vom Relegationsplatz entfernt auf 15, jeder Punkt wäre geil, und so saßen wir nach dem Spiel deutlich entspannter im Zug nach München und erinnerten uns gegenseitig daran, wie angenehm so ein Spielende doch sein kann, wenn man sich nicht aufregen muss. Aufgeregt haben wir uns natürlich trotzdem, denn der Sieg hätte sogar noch höher ausfallen können, da wurden einige Chancen liegengelassen. Andererseits hatten wir in den vergangenen Spielen nicht übermäßig viele Chancen, insofern freute ich mich überhaupt darüber, dass die Mannschaft wieder eine gewisse Ge- und Entschlossenheit erkennen ließ.
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Abends die restlichen Folgen von Russian Doll geschaut und sehr mit der Serie zufrieden gewesen. Und noch einen Artikel aus der FAS online gelesen: „Die große Inszenierung“ schreibt über das Ehepaar Lethen/Sommerfeldt, von der letztere im vergangenen Jahr erfolgreich die Geschichte lancieren konnte, dass ihre Kinder der Waldorfschule verwiesen wurden – angeblich wegen der rechten Gesinnung der Mutter.
„Die Kündigung des Ausbildungsvertrages der Kinder zum Schuljahresende 2018 sei nicht „Knall auf Fall“ erfolgt. Grundlage dafür sei ein Beschluss der Generalversammlung des Vereins gewesen, dem langwierige Diskussionen vorausgegangen waren. Manu Knirsch gibt zu bedenken, dass dem Ehepaar Sommerfeld-Lethen „sehr viel Beachtung geschenkt“ wurde, mehr, als es der kleinen Schule gutgetan habe. In einer anderthalbjährigen Auseinandersetzung habe sich die Schulgemeinschaft nahezu aufgerieben. Sommerfeld habe einschlägige Texte über den Mailverteiler verschickt, wogegen sich Eltern verwahrten. Insgesamt bedauert die Schule, dass sie den Vertrag mit der Familie lösen musste. Man habe lange nach Kompromissen gesucht, aber der Mutter sei wohl ihre Weltanschauung wichtiger gewesen als der Schulplatz ihrer Kinder.
Die Rückfragen beim Schulverein lassen die Vorwürfe des Ehepaares Lethen-Sommerfeld also in einem anderen Licht erscheinen. Einige werden entkräftet, in anderen scheinen zumindest unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten auf. Mitunter steht Wort gegen Wort, oder präziser: stünde Wort gegen Wort, wenn die Position der anderen Seite überhaupt erwähnt worden wäre. Die Waldorfschule wurde in der Skandalisierung aber nicht einmal nach ihrer Sicht gefragt.“