Tagebuch Montag, 4. Februar 2019 – Kleinkramtag
Der Wecker klingelte um 7, ich stellte ihn frohgemut aus, döste noch ein wenig und plötzlich war es 9. Ich war am Vorabend zu faul gewesen, den Blogeintrag vorzubereiten, also tat ich das gestern ab 9.30 Uhr, frischgeduscht und etwas in Eile. Das dauerte dann aber bis kurz vor 11, bis ich endlich fertig war und einkaufen gehen konnte; auf dem Rückweg nahm ich die FAZ aus dem Briefkasten mit nach oben. Unterwegs hatte ich mich am verschneiten München erfreut.
So fing mein Tag erst gegen 12 an, was mich den ganzen Tag irritieren sollte. Ich hatte noch Orgakram zu erledigen, ein neues Konto wollte aktiviert werden, seit Samstag hatte ich endlich alle Briefumschläge mit allen Zugangsdaten und Pins und Passwörtern, und ich fragte mich, ob das schon immer so kompliziert gewesen war, ein Konto zu eröffnen. Mir fiel ein, dass ich mein letztes Konto noch brav vor Ort in einer Filiale eröffnet hatte, was heute anscheinend nicht mehr en vogue ist.
Weiterer Orgakram, Post fertiggemacht, irgendwelchen Firmen und Institutionen Zugriff auf das neue Konto gewährt, wozu ich auf diversen Firmenseiten teilweise sehr lange nach dieser Option suchen musste und ganz, ganz kurz davor war, eine Hotline anzurufen, aber diese schmachvolle Niederlage wollte ich mir nicht eingestehen, da wurden dann lieber fünf Jahre alte Aktenordner nach wilden Zugangsdaten durchsucht, die wider Erwarten funktionierten, und jetzt müssten bis auf das Finanzamt München, bei dem ich doch lieber vorher anrufe, alle wieder an ihr Geld kommen.
Gegen 15 Uhr fiel mir auf, dass ich noch nicht gefrühstückt bzw. noch nicht mal einen Kaffee getrunken hatte, also kochte ich mir stattdessen eine Kanne Tee und rührte ein Müsli an. Genau dann kam natürlich eine Job-Mail, die mich zwar freute (Job! Geld! Ein Dach über dem Kopf! Rente für Frau Gröner!), aber mein Müsli wurde dann unangemessen schnell heruntergeschlungen, damit ich gleich anfangen konnte.
Ich arbeitete für knappe drei Stunden, den Rest schob ich auf heute, damit das gestern Geschriebene sich etwas ausliegen konnte, dann guckte ich endlich mal in die Zeitung und legte ein bisschen Tofu in Sojasauce, Ingwer, Chili und Zwiebeln, den ich eine Stunde später mit Möhren, Lauch und Paprika in der Pfanne anbriet, Reis dazu, Sesam drüber, aber so richtig gut war das leider nicht. Der Tofu wurde trotz scharfem Anbraten nicht wirklich knusprig, und dann kann er noch so gut nach Sojasauce und Gewürzen schmecken – wenn die Konsistenz meh ist, ist das Essen meh. Ich pulte Reis mit Gemüse aus dem Teller, war aber nicht glücklich. Immerhin war das Essen hübsch, aber das tröstete jetzt nicht so recht.
Abends wollte ich ein wenig vor der neuen Kitchen-Impossible-Folge versacken, aber mir geht die dreistündige Pimmelfechterei doch inzwischen auf die Nerven. Ich muss nicht in jeder verdammten Folge hören, was für ein Arsch der Gegner von Mälzer ist und dass beide keine Lust auf ihren Job haben, was man anscheinend nur mit Kraftausdrücken formulieren kann. Ich schaltete auf stumm, las Zeitung, und netterweise rief die beste Freundin an, so dass ich die Sendung einfach ungesehen im Internet lassen und stattdessen zwei Stunden klönen konnte.
Abends schaute F. noch gut gelaunt vorbei, wir klönten ebenfalls, lasen noch im Bettchen und schliefen dann gemeinsam schnell ein. Oder wie F. eben meinte: „Naja, eine von uns.“
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Ach ja, und das funktioniert wirklich. Meine Messer sind allerdings zu lang bzw. das Buch zu klein, deswegen musste was drunter und ich habe es hinten mit Tesa fixiert. Aber der Rilke stand halt rum, fiese Buchclubausgabe, liegt total mies in der Hand, in 25 Jahren nie reingeguckt. Jetzt hat er wenigstens eine Funktion.
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Auch noch nie darüber nachgedacht, was Wilhelm Zwo so im Exil gemacht hat.
„Wie schon seinerzeit in Amt und Würden unterliegt der kaiserliche Zwangspensionär auch im Ruhestand zahlreichen Fehleinschätzungen. »Wilhelm unverbesserlich« ist fest davon überzeugt, dass bald seine große Stunde schlägt. So unerschütterlich ist sein Glaube, dass Gott ihn eines Tages auf den Thron seiner Väter zurückrufen wird, dass er auch weiterhin – und das bis zu seinem Tod – seine Briefe mit IR (Imperator Rex) signierte.
Zwischenzeitlich vertrieb sich der Kaiser im Unruhestand die Zeit mit Rosenzüchten, Altertumskunde und Holzfällen. Besonders auf letzterem Feld entfaltete der Exkaiser bald eine hektische Betriebsamkeit. Fast täglich rückt der rastlose Zwangspensionär am Morgen zum Sägen aus und lässt dort seinen zigtausendsten Baum fällen. Mit der Besessenheit eines Bibers verwüstet der Kaiser die Parks und Wälder in seiner Umgebung. Angeblich aus Gründen der Fitness, doch stecken wohl eher Allmachtsfantasien und aufgestaute, ziellose Gestaltungswut dahinter. Alle müssen mit anpacken, auch die Damen. Ilsemann: »Der Kaiser hält den Baum, die Gräfin Elisabeth (Hofdame der Kaiserin) und ich sägen, und die Kaiserin legt die abgeschnittenen Stücke auf einen Haufen zusammen.« Nur sonntags und bei besonders schönem Wetter wird nicht gesägt.
Längst geht es Wilhelm nicht mehr um die Gesundheit, sondern um Rekorde. Stolz meldet er seinem Gefolge Tag für Tag das Ergebnis seines Tagewerks. Durch Ilsemanns Tagebuch ziehen sich die Meldungen über des Kaisers Hobby wie eine Heimsuchung. Bald hatte Seine Majestät seinen 13 000. Baum gesägt. Und als dem umtriebigen Waldarbeiter die Roderei zu langsam ging, schaffte er sich eine Motorsäge an. Schon im November 1920 notierte Ilsemann: »Der Park wird immer kahler, ein Baum nach dem anderen fällt.«“
(via Buddenbohm)
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Das erinnerte mich an eine Stelle in der Welt von gestern von Zweig. An den Seiten bin ich zwar schon lange vorbei, aber das war die Stelle, die in Wien bei der Diskussion im Burgtheater vorgelesen wurde und nach der ich das Buch lesen wollte. Zweig sah angeblich mit an, wie der letzte österreichische Kaiser 1918 sein Land verließ. Der Mann war aber wirklich dauernd bei historischen Dingen dabei und traf quasi jeden, der in den Zwanzigern und Dreißigern künstlerisch was zu sagen hatte, so dass ich mir nicht immer sicher bin, wieviel literarische Freiheit er sich genommen hat. Liest sich aber alles toll.
„Bei meiner Ankunft vor einem Jahre hatte ich an der schweizerischen Grenzstation in Buchs eine aufregende Minute erlebt. Jetzt bei der Rückkehr stand mir eine nicht minder unvergeßliche an der österreichischen in Feldkirch bevor. Schon beim Aussteigen hatte ich eine merkwürdige Unruhe bei den Grenzbeamten und Polizisten wahrgenommen. Sie achteten nicht besonders auf uns und erledigten höchst lässig die Revision: offenbar warteten sie auf etwas Wichtigeres. Endlich kam der Glockenschlag, der das Nahen eines Zuges von der österreichischen Seite ankündigte. Die Polizisten stellten sich auf, alle Beamten eilten aus ihren Verschlägen, ihre Frauen offenbar verständigt, drängten sich auf dem Perron zusammen; insbesondere fiel mir unter den Wartenden eine alte Dame in Schwarz mit ihren beiden Töchtern auf, nach ihrer Haltung und Kleidung vermutlich eine Aristokratin. Sie war sichtlich erregt und fuhr immer wieder mit dem Taschentuch an ihre Augen.
Langsam, ich möchte fast sagen, majestätisch rollte der Zug heran, ein Zug besonderer Art, nicht die abgenutzten, vom Regen verwaschenen gewöhnlichen Passagierwaggons, sondern schwarze, breite Wagen, ein Salonzug. Die Lokomotive hielt an. Eine fühlbare Bewegung ging durch die Reihen der Wartenden, ich wußte noch immer nicht warum. Da erkannte ich hinter der Spiegelscheibe des Waggons hoch aufgerichtet Kaiser Karl, den letzten Kaiser von Österreich und seine schwarzgekleidete Gemahlin, Kaiserin Zita. Ich schrak zusammen: der letzte Kaiser von Österreich, der Erbe der habsburgischen Dynastie, die siebenhundert Jahre das Land regiert, verließ sein Reich! Obwohl er die formelle Abdankung verweigert, hatte die Republik ihm die Abreise unter allen Ehren gestattet oder sie vielmehr von ihm erzwungen. Nun stand der hohe ernste Mann am Fenster und sah zum letztenmal die Berge, die Häuser, die Menschen seines Landes. Es war ein historischer Augenblick, den ich erlebte – und doppelt erschütternd für einen, der in der Tradition des Kaiserreichs aufgewachsen war, der als erstes Lied in der Schule das Kaiserlied gesungen, der später im militärischen Dienst diesem Manne, der da in Zivilkleidung ernst und sinnend blickte, ›Gehorsam zu Land, zu Wasser und in der Luft‹ geschworen. Ich hatte unzählige Male den alten Kaiser gesehen in der heute längst legendär gewordenen Pracht der großen Festlichkeiten, ich hatte ihn gesehen, wie er von der großen Treppe in Schönbrunn, umringt von seiner Familie und den blitzenden Uniformen der Generäle, die Huldigung der achtzigtausend Wiener Schulkinder entgegennahm, die, auf dem weiten grünen Wiesenplan aufgestellt, mit ihren dünnen Stimmen in rührendem Massenchor Haydns ›Gott erhalte‹ sangen. Ich hatte ihn gesehen beim Hofball, bei den Théâtre Paré-Vorstellungen in schimmernder Uniform und wieder im grünen Steirerhut in Ischl zur Jagd fahrend, ich hatte ihn gesehen, gebeugten Hauptes fromm in der Fronleichnamsprozession zur Stefanskirche schreitend – und an jenem nebligen, nassen Wintertag den Katafalk, da man mitten im Kriege den greisen Mann in der Kapuzinergruft zur letzten Ruhe bettete. ›Der Kaiser‹, dieses Wort war für uns der Inbegriff aller Macht, allen Reichtums gewesen, das Symbol von Österreichs Dauer, und man hatte von Kind an gelernt, diese zwei Silben mit Ehrfurcht auszusprechen. Und nun sah ich seinen Erben, den letzten Kaiser von Österreich, als Vertriebenen das Land verlassen. Die ruhmreiche Reihe der Habsburger, die von Jahrhundert zu Jahrhundert sich Reichsapfel und Krone von Hand zu Hand gereicht, sie war zu Ende in dieser Minute. Alle um uns spürten Geschichte, Weltgeschichte in dem tragischen Anblick. Die Gendarmen, die Polizisten, die Soldaten schienen verlegen und sahen leicht beschämt zur Seite, weil sie nicht wußten, ob sie die alte Ehrenbezeigung noch leisten dürften, die Frauen wagten nicht recht aufzublicken, niemand sprach, und so hörte man plötzlich das leise Schluchzen der alten Frau in Trauer, die von wer weiß wie weit gekommen war, noch einmal ›ihren‹ Kaiser zu sehen. Schließlich gab der Zugführer das Signal. Jeder schrak unwillkürlich auf, die unwiderrufliche Sekunde begann. Die Lokomotive zog mit einem starken Ruck an, als müßte auch sie sich Gewalt antun, langsam entfernte sich der Zug. Die Beamten sahen ihm respektvoll nach. Dann kehrten sie mit jener gewissen Verlegenheit, wie man sie bei Leichenbegräbnissen beobachtet, in ihre Amtslokale zurück. In diesem Augenblick war die fast tausendjährige Monarchie erst wirklich zu Ende. Ich wußte, es war ein anderes Österreich, eine andere Welt, in die ich zurückkehrte.“