Tagebuch Montag, 18. Februar 2019 – Lecture Series
Ereignisloser Tag (Arbeit, Zeitung, Tee, Käsebrot, ihr kennt das), dafür spannender Abend.
F. und ich gingen ins NS-Dokumentationszentrum, das in Zusammenarbeit mit dem Amerikahaus und der dort angegliederten Bayerischen Amerika-Akademie eine Vortragsreihe startete: „This is America. Reflections on a Divided Country.“ Gestern abend stand ein Vortrag von Ibram X. Kendi auf dem Programm, er sprach über sein letztes Buch Stamped from the Beginning: The Definitive History of Racist Ideas in America (2016) (auf deutsch: Gebrandmarkt: Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika, 2018) und verwies auch am Ende auf sein neues Buch How to Be an Antiracist, das im August diesen Jahres erscheinen wird..
Wenn ich Facebook-Liveübertragungen richtig verstehe, ist das Video sogar noch abrufbar, ich verlinke mal irgendwas von dort. Bei mir klappt das, ich hoffe, bei euch auch, lohnt sich sehr. Am besten die ersten 15 Minuten (die Einführungsreden) skippen; die erste von Prof. Dr. Mirjam Zadoff, der Leiterin des NS-Dokumentationszentrum, war in Ordnung, bei der zweiten dachte ich die ganze Zeit, erklär mir doch bitte nicht die Arbeit und Forschung von Kendi, dafür ist der gute Mann doch extra selbst zum ersten Mal nach Deutschland gekommen.
Der Titel seines neuen Buchs lässt es schon anklingen: Für ihn ist Anti-Rassismus essenziell. Es reicht nicht zu sagen, ich bin nicht rassistisch und es damit zu belassen, sondern er fordert eine aktive, anti-rassistische Auseinandersetzung mit unserer rassistischen Gesellschaft.
Sein Vortrag bezog sich natürlich eher auf die USA, man konnte aber durchaus Dinge mitnehmen und auf Europa übertragen. Der Ort für den Auftakt der Lecture Series war nicht zufällig gewählt, genau wie Kendi in einigen Sätzen machte auch Zadoff im anschließenden Publikumsgespräch auf den Zusammenhang von Antisemitismus und Rassismus aufmerksam.
Überhaupt war das anschließende Gespräch bis auf eine Frage sehr zielführend. Ein Zuhörer bezog sich auf die Einteilung, die wir unwillkürlich vornehmen, wenn wir über Rassismus sprechen: Wir reden von Gruppen, die sich gegenüberstehen. Genau das ist aber schon rassistisch: Eine Gruppe definiert sich als höherwertig als eine andere. Müsste man daher nicht erstmal dieses Gruppendenken abschaffen? Kendi nannte das den berühmten Catch 22: Er behalte diese rassistische Einteilung bei, um auf Rassismen aufmerksam zu machen. Er erwähnte auch die Illusion einer post-racial society, die während der Präsidentschaft Obamas mal als Theorie vorlag, die sich aber spätestens mit der Wahl Trumps deutlich erledigt habe. Aber genau weil wir so gerne eine post-racial society wären, sei es wichtig, diese Einteilung vorerst beizubehalten, um zu zeigen, dass wir genau das eben nicht sind.
Ich musste kurz an meine eigene Forschung denken: Die Kunstgeschichte hat in ihrer Bearbeitung der Kunst zwischen 1933 und 1945 nämlich auch die Definitionen der Nationalsozialisten übernommen – die damals als „entartet“ bezeichnete Kunst war nach 1945 automatisch gut, alles andere automatisch schlecht. Deswegen begründen wir dauernd, warum wir uns mit dieser angeblich schlechten Kunst beschäftigen. Oder ziehen uns auf den bequemen Standpunkt „Das ist überhaupt keine Kunst“ zurück.
Eine andere Zuhörerin fragte, was man als weißer Mensch machen könne, um Unterstützung und Solidarität zu zeigen. Kendi wies darauf hin, dass das gerne als altuistisches Motiv genommen werde, was aber unnötig sei. Man müsse sich nicht für etwas aufopfern, was normal und gegeben sein sollte (ich hoffe, ich gebe das halbwegs korrekt wieder, ich habe nicht mitgeschrieben. Es erinnerte mich an einige Jungs auf Twitter, die Kekse dafür wollten, sich feministisch zu engagieren. Hase, das ist keine besondere Leistung, das ist Humanismus). Sein Rat also: Be anti-racist, fertig. Elect anti-racists to power. Das war generell eine Aussage, die er im Buch traf: Rassistisches Denken bedeutet rassistische Politik. Klingt einfach und logisch, aber genau das ist einer der wichtigen Punkte: Wir können uns noch so sehr in Bürgerinitiativen aufreiben – wenn die gesamte Politik auf rassistischen Ideen steht, muss man das ändern und nicht klein-klein arbeiten. (Erinnerte mich an Klimapolitik. Es muss der große Wurf werden.)
F. und ich diskutierten noch mehrere Stunden weiter, und ich empfehle euch das Video sehr, auch wenn ihr euch für die Geschichte der USA interessiert. Man kann Kendi sehr gut zuhören, und ich habe vieles erfahren, das ich noch nicht wusste, obwohl ich meine Grundbildung gerade in den Bereichen Civil War und Reconstruction schon für ganz gut hielt.
Das Buch stand schon länger auf meinem Wunschzettel – ich meine, es war mal eine Empfehlung von Ta-Nehisi Coates als grundlegende Lektüre –, aber jetzt habe ich es selbst bestellt. Gestern abend hatte der Beck-Verlag zwar ein paar deutsche Übersetzungen ausliegen, aber die wollte ich nicht haben, auch wenn ich mir noch eine hübsche Signatur hätte abholen können.