Tagebuch Dienstag, 19. März 2019 – Soooo müde
Der Abend mit Schwester und Schwager war deutlich länger als geplant, ich war erst um 2 im Bett, stellte aber brav den Wecker auf immerhin 8, weil ich ab 9 für Kund*innen erreichbar sein will und das möglichst unverschlafen und schon mit Kaffee im Bauch. Das Aufstehen war dann hektischer als es mir lieb ist, aber hey, pünktlich am Schreibtisch, über einen Job drübergelesen, für gut gefunden, weggeschickt.
Anschließend war ich den halben Tag damit beschäftigt, die wirklich letzten Spuren der rauschenden Ballnacht zu verräumen. Die geschenkten acht Kilo Espresso- und Kaffeebohnen (Schätzwert) waren zuviel für meine kleine Kaffeekiste, weswegen ich sie malerisch in der Nähe drapierte und mir vermutlich noch eine Box kaufen muss, so geht das ja nicht und so schnell trinke ich auch nicht. Die ganzen Fläschchen passten immerhin in die Wein- und Küchenregale, die nach Samstag auch leerer waren als vorher. Die letzten Essensreste wurden jetzt verklappt, die mochte ich auch nicht mehr verspeisen, Verpackungen wurden zerrissen und gleich ins Altpapier gebracht, nochmal durchsaugen, obwohl ich das schon Sonntag erledigt hatte (sorry, Nachbarn), sonst hätte ich zuviele Chipskrümel in der Wohnung verteilt, und dann sah alles aus wie vorher.
Abends hatten F. und ich dann nach Sonntag morgen auch endlich mal wieder ein paar Augenblicke für uns alleine, wir waren aber beide müde und fielen ziemlich schnell ins Bett.
—
Aus Politik und Zeitgeschichte: Lesen
Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt gerne Hefte für umsonst weg. Ich erinnere mich noch, wie ich damals mit 16 oder so am Hannoverschen Hauptbahnhof stand, weil da eins dieser irre modernen BTX-Terminals stand, mit denen man sich stapelweise Informationen zur politischen Bildung bestellen konnte. Ja, genau die, mit denen man im Geschichts- und Sozialkundeunterricht immer genervt wurde. Ich habe die gerne gelesen.
Das Heft aus der Überschrift befasst sich mit dem Thema Lesen (man hätte es ahnen können) und kann hier als PDF heruntergeladen oder postalisch bestellt worden. Ich hab’s noch nicht durch, gebe diesen Tipp aber mal weiter, wie sich das in diesem irre modernen Interweb gehört.
—
When bad actors twist history, historians take to Twitter. That’s a good thing.
Der Historiker Waitman Wade Beorn schreibt in der Washington Post, warum es wichtig ist, auf Twitter ahistorischem Quatsch zu widersprechen. Gerade als Experte. Und nein, das ist kein Besserwissen, sondern eben Expertenwissen. Dass man das überhaupt noch erwähnen muss, macht mich schon wieder irre.
„Online media sites like Twitter allow scholars to reach thousands of people they may never have reached in an accessible way. Academic engagement on Twitter has been called “shallow scholarship,” but precisely the opposite is true; the very medium requires concision, structure and clarity. We are forced to address historical abuses directly, simply and publicly — not always our strong suit — but the form does not simplify the content or the message, only its delivery. Our history threads are time-consuming to write and research, but they string together multiple tweets in a narrative form that includes references and is easily digestible.
By dismantling bad history, brick by brick, historians online are modeling for readers the kind of critical interaction with sources we so desperately need. We confront black and white polemic with nuance, complexity and historical context while documenting our interpretations: We provide scholarly and primary sources for interested readers to follow. In a world of both alleged and real fake news, the ascendance of the publicly engaged scholar benefits the public arena. Few Twitter historians seek fame or self-aggrandizement — and we are certainly not “clinging to shreds of authority,” as Sam Fallon wrote in his Chronicle article. Legitimate scholars acting in good faith are authorities and experts. Sharing that knowledge with the world does not make them condescending. Why would historians, so often accused of existing aloof from society, buried in esoterica, be condemned for reaching out to the public while avoiding unintelligible jargon?“
—
Im WP-Artikel wird ein Artikel der Historikerin Sarah Bond angesprochen, in dem sie darauf hinwies, wie wichtig es sei, klassische Statuen, die wir nur weiß kennen, endlich als bunt neu zu sehen, wie sie ursprünglich waren. In diesem Artikel wird der Godfather of Kunstgeschichte, Johann Joachim Winckelmann, erwähnt, der sich ausgiebig mit antiken griechischen und römischen Statuen befasste und so den Klassizismus begründete. Dummerweise begründeten seine Schriften auch die Idee, dass weiße Schönheit die einzig wahre sei – oder zumindest die, an der sich Nicht-Weiße messen lassen müssen. Gerade gestern stolperte ich in Ibram X. Kendis Buch über Rassismusgeschichte über ein Zitat von ihm, von dem ich schon befürchtet hatte, dass es mir in diesem Werk begegnen würde: „A beautiful body will be all the more beautiful the whiter it is.“ (S. 86.)
Ein anderes Zitat hingegen kannte ich noch nicht und ich wäre froh, wenn es nicht vorhanden gewesen wäre. Kendi beschreibt einige Fälle von gebildeten Schwarzen in den Kolonien bzw. im England des 18. Jahrhunderts. Diese wurden von Abolitionisten als Beleg dafür angeführt, dass Schwarze Weißen geistig eben nicht unterlegen waren, was das Lieblingsargument der Sklavenhalter war: Man müsse sich als guter, christlicher, gebildeter Weißer um die armen Barbaren kümmern; Kendi erwähnt zum Beispiel Phillis Wheatley oder Francis Williams.
Auf Williams bezog sich David Hume in „Of Natural Characters“ (1753) mit der laut Kendi „most infamous footnote in the history of racist ideas“:
„I am apt to suspect the negroes and in general all the other species of men (for there are four or five different kinds) to be naturally inferior to the whites. There never was a civilized nation fo any other complexion than white, nor even any individual eminent either in action or speculation. On the other hand, the most rude and barbarous of the Whites … have still something eminent about them. … Such a uniform and constant difference could not happen, in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction between these breeds of men. … In Jamaica, indeed, they talk of one Negro as a man of parts and learning, but it is likely he is admired for slender accomplishments, like a parrot who speaks a few words plainly.“ (Kendi, S. 95/96.)
Laut dem Aufsatz „Hume’s Revised Racism“ von John Immerwahr (1996) hat Hume die Fußnote kurz vor seinem Tod noch geändert. Es fehlt jetzt der Hinweis auf die verschiedenen Menschenarten (eine damals weit verbreitete Theorie, Polygenism), und aus „There never was“ wurde „There scarcely ever was“. Die Passage mit dem plappernden Schwarzen blieb allerdings unverändert. Immerwahr verweist auf James Beattie (1735–1803), der Hume auf die Zivilisationen in Mexiko und Peru aufmerksam machte, die wohl kaum von Weißen gelenkt worden waren. Arron Garrett argumentierte 2000 in „Hume’s Revised Racisms Revisited“ hingegen, dass Hume sich nicht von Beattie hätte beeinflussen lassen. Mir ist nicht ganz klar, was der Punkt des letzten Aufsatzes ist – es ändert nichts am rassistischen Gehalt des Zitats, ganz egal, auf wen die Änderungen zurückgehen.
Ich lege euch einfach mal wieder Kendi ans Herz. Das Buch entpuppt sich bisher als sehr gutes Sprungbrett zum wilden akademischen Rumgoogeln.