Tagebuch Donnerstag, 28. März 2019 – Archivarbeit und Parsifal

Bis zum frühen Nachmittag arbeitete ich die Akten auf, die ich Mittwoch nicht mehr geschafft hatte. Ich wunderte mich bei den Zeitungsausschnitten zur Münchner Künstlergenossenschaft, dass sie 1938 spärlicher wurden, 1939 kaum noch vorhanden waren und dann erst 1947 der nächste Artikel zu finden war, bis mir der erzwungene Zusammenschluss der vielen Münchner Künstlergrüppchen einfiel. Das wusste ich eigentlich, dass die alle ab 1939 zur Kameradschaft der Künstler gehörten, aber deren Artikel hatte ich mir nicht ausheben lassen. Damit steht die Aufgabe für die nächste Woche, denn das dauerte doch länger als erwartet, die ganzen Artikel zu lesen.

Für mich neu: Nach 1945 etablierten sich in der Stadt zwei Münchner Künstlergenossenschaften, die eine unter der Führung von Protzen und Eduard Aigner, die andere, und darüber musste ich sehr grinsen, unter Constantin Gerhardinger, den ich im Rahmen unserer Rosenheim-Ausstellung kennengelernt hatte. Studium! Es bringt was und man merkt sich Zeug!

Jedenfalls: Im Nachlass hatte ich zu dieser Neugründung noch nichts gefunden, aber jetzt las ich sehr interessiert darüber, wie die beiden Gruppen um Ausstellungsplatz im Haus der Kunst rangelten. Die Abendzeitung schrieb am 13. September 1951:

„Das Bayerische Kultusministerium hat nunmehr über die Anträge der Gruppen Gerhardinger und Aigner-Protzen der ehemaligen Münchner Künstlergenossenschaft entschieden. Darnach soll es der Gruppe Gerhardinger unbenommen bleiben, in den Räumen des Hauses der Kunst auszustellen. Der sich hiergegen wendende Antrag der Gruppe Aigner-Protzen wurde zurückgewiesen.

Die Ausstellungsleitung des Hauses der Kunst, welche sich aus den drei Künstlervereinigungen Neue Gruppe, Münchner Sezession und Münchner Künstlergenossenschaft zusammensetzt, hatte im Juli dieses Jahres in einer Resolution an das Bayerische Kultusministerium gefordert, der Gruppe Gerhardinger jegliche Teilnahme an den Ausstellungen im Haus der Kunst während der ‚Großen Deutschen Kunstausstellung‘ oder zu einer anderen Zeit zu versagen. Die Ausstellungsleitung ist der Ansicht, dass die Leistungen der Gruppe Gerhardinger den Anforderungen, die im Haus der Kunst gestellt werden müssen, nicht entsprechen.“

Ãœber den letzten Satz musste ich dann doch sehr augenrollen. Diese Hybris von Leuten, die eh alle das gleiche im gleichen Stil malen, ist schon faszinierend.

Um halb zwei zwang ich mich dann, nach Hause zu fahren, denn ich musste dringend noch ein bisschen was essen, um für den langen Nachmittag gewappnet zu sein. F. hatte mir zum Geburtstag eine Karte für den Parsifal geschenkt, der um 16 Uhr begann, und natürlich will man nicht erst fünf Minuten vor Beginn da sein. Ich musste auch noch mein Outfit aufbügeln und Zeug aus dem Rucksack ins Handtäschchen umsiedeln, das gestern mein Stadiontäschchen war (schlichte schwarze Ledertasche). Zunächst fand ich es komisch, mit dem Stadiontäschchen in die Oper zu gehen, aber beim nächsten Mal in Augsburg werde ich ganz posh mit meinem Operntäschchen zum Fuppes gehen.

Wir saßen in der dritten Reihe im Parkett – so weit vorne hatte ich bisher nur in Bayreuth gesessen, und ich hatte ein bisschen Angst davor, dass wir nur die Hörner hörten, die über den Orchestergraben hinausragten und ich die ganzen Zeit den Sänger*innen beim Spucken zusehen müsste. Dem war aber nicht so, keine Spucke, alle Geigen vernommen. Gerne wieder! (Wenn’s nicht so ARSCHTEUER WÄRE!)

Im Vorfeld war ich mir nicht sicher, ob ich den Parsifal überhaupt sehen wollte; die Story ist nicht ganz mein Liebling, und ich vergesse sie auch immer wieder. Und ich wusste, dass Georg Baselitz für das Bühnenbild zuständig gewesen ist, und mit dem stehe ich auch etwas auf Kriegsfuß. In den 60ern und 70ern hatte er meiner halbwegs informierten Meinung nach eine wichtige Rolle, dann habe ich mich nicht weiter mit ihm beschäftigt, und vor einigen Jahren hat er sich zum Deppensatz hinreißen lassen, dass Frauen halt nicht so gut malen könnten, weswegen ich ihn seitdem weiträumig ignoriere und seinen Raum in der Pinakothek der Moderne auch immer schnellen Schrittes durchschreite, um zum Protzen zu kommen.

Aber wenn ich schon eingeladen werde, sage ich natürlich nicht Nein. Im Kopf war ich noch ganz woanders, der Bus hatte Verspätung, ich war hektischer als ich sein wollte, als ich endlich ankam und musste erstmal bewusst tief ein- und ausatmen, weil ich halt nicht hektisch in ein Wagner-Vorspiel gehen will. Das klappt ganz gut, die Plätze waren fantastisch – und plötzlich wurde es dunkel und die Musik begann. Den doofen Auftritt des Dirigenten, den man beklatscht, ließ die Inszenierung einfach ausfallen. Schon mal ein guter Anfang! Zum Vorspiel sah man bereits einen gestalteten Vorhang, auf dem vier Figuren lagen – und auch da hatte der olle Baselitz bei mir gewonnen. Die Vorhänge änderten sich vor jedem Akt, aber sie zeigten immer zerbrochene, zerschlagene Figuren, in schmerzhaften Verrenkungen oder schon vernichtet vom simplen Dasein. Nach 60 Sekunden hatte mich Herr Petrenko am Pult dann auch, aber das hat er ja immer, ich vergoss ein paar Tränen, wie auch eigentlich fast immer in der Oper.

In der ersten Pause war ich noch etwas von der Inszenierung verwirrt, die für mich eher eine Bebilderung war als wirklich eine szenische Wiedergabe von Libretto und Musik: ein einziges Bühnenbild, das aus Stämmen bestand, die aneinander lehnten, sowie kahle Bäume, die zum Schluss des Akts langsam in sich zusammensackten. Die große Gralsszene zum Aktende war so undramatisch wie ich sie noch nie gesehen hatte, überhaupt agierten alle Darsteller*innen sehr zurückhaltend und sparten sich jede überflüssige Geste. Die aktionsreichen Szenen im Trailer (siehe oben verlinkte Website) waren so ziemlich die einzigen in den gut vier Stunden, ansonsten sahen wir eine fast konzertante Aufführung (böse ausgedrückt: Rumstehtheater). Wie gesagt, nach dem ersten Akt haderte ich noch etwas, aber ab dem zweiten fand ich es großartig, eben weil es so undramatisch war. Gerade mit dem pompösen Gral kann man alles abfackeln, was die Bühnentechnik hergibt und das macht die Regie auch sehr gerne, weswegen ich den Parsifal gerne mal peinlich finde. Oder man legt über alles eine Metaebene, was bei Wagner ja immer geht. Das kann so grandios werden wie bei Herheim, bis heute meine Blaupause für Parsifal-Inszenierungen, oder aber total albern. Hier gab es gar keine Gelegenheit, albern zu werden, so sparsam waren Kostüme, Gesten und Bühnenbild. Die Kritiken waren nicht so begeistert, ich dafür umso mehr. Wenn auch Burkhard Fitz der blasseste Parsifal-Darsteller war, den ich je gesehen habe. Dafür sang René Pape als Gurnemanz alles an die Wand, was mich sehr versöhnte. Und auch Wagner-Newbie F., der bisher nur, nur, haha, den Ring gesehen hatte, fand es ausgezeichnet.

Zuhause wartete dann der zweite Teil des Geburtstagsgeschenks, ein Fläschchen Rosé-Champagner, mit dem man mich immer glücklich macht. Wir hatten viel zu besprechen, machten nach der teuren Flasche gnadenlos noch einen Aldi-Crémant auf, weil’s grad so nett war und waren viel zu spät im Bett. Hervorragender Tag.