Tagebuch Mittwoch, 27. März 2019 – Archivarbeit und Champions League

Hurra, Archivtag, wo-hoo! Auf mich warteten zwar nur vier von fünf angefragten Archivalien, aber mit denen hatte ich auch genug zu tun. Da das Stadtarchiv am Mittwoch nur von 9 bis 12 geöffnet hat, habe ich auch nicht alles geschafft und muss, oh Mist, ey, echt jetzt, heute nochmal hin. Schlimm!

Ich hatte mir die Presseartikelsammlungen zu Protzen und seiner Frau herauslegen lassen, in denen ich aber nur einen langen Artikel von 1932 fand, den ich schon aus dem Nachlass kannte. Schlauerweise hatte ich mir dazu auch noch bergeweise Zeitungsartikel von der Münchner Künstlergenossenschaft zurücklegen lassen, in der Protzen Mitglied war. Er war noch in gefühlt zwei Dutzend anderen Künstlervereinigungen Mitglied, danach muss ich noch suchen, aber die MKG war die erste Anlaufstelle. Dort wollte ich nachschauen, ob er irgendwann in einem Ausstellungsbericht erwähnt wurde oder in einer Funktion, denn er war, laut seines Spruchkammerbogens, als Schriftwart im Vorstand. Das fand ich auch mehrfach bestätigt. Außerdem fand ich diverse Ausstellungsbesprechungen, bei denen es mich interessierte, ob er überhaupt erwähnt wurde (heißt: war er wichtig genug? War er gut genug?) und wenn ja, ob vielleicht auch ein bestimmtes Werk erwähnt wurde; das hilft mir dabei festzulegen, welche Bilder er selber für ausstellungswürdig befunden hatte.

Da ich nur so wenig Zeit hatte, las ich zwar gründlich, tippte aber relativ besinnungslos ab (fotografieren darf man natürlich nicht), sobald ich seinen Namen fand – oder eben genau nicht. Wenn er in einem ausführlichen Artikel nicht erwähnt wird, aber 25 andere Künstler*innen, ist das für mich genauso interessant. Ich muss mir meine Aufzeichnungen nochmal in Ruhe durchlesen, ich habe, wie gesagt, eher runtergeschrieben als schon Kontext hergestellt. Einen Artikel fand ich aber doch sehr bemerkenswert, ausgerechnet aus dem Völkischen Beobachter. Da schreibt am 11. März 1939 Wilhelm Rüdiger in einem längeren Artikel über eine „Rückschau der Münchener Künstlergenossenschaft“, also über eine Ausstellung, die ältere Werke präsentiert statt aktuelle:

„Man kommt auf ketzerische, gefährliche Gedanken vor den Bildern und überlegt: Wie werden wir in 50 oder 70 Jahren wirken mit unserer heutigen Malerei? Und man wünscht in freudigstem Optimismus: genau so gut, so geschlossen, genau so reich und vielgestaltig und genau so absolut künstlerisch wie diese oft als bürgerlich und bequem verlästerte Zeit.“

Und ich dachte ebenso ketzerisch: Junge, du wusstest ganz genau, dass ihr eher schnarchigen Schrott an der Wand habt, der genauso bürgerlich und bequem ist, wie du befürchtest, und über den wir heute noch mehr lästern als du dir das jemals hättest vorstellen können, sonst würdest du hier nicht so eine Welle machen.

Nachmittags Zeitung gelesen und Orgakram erledigt. Ich hatte erst vor Kurzem mitgekriegt, dass unser labberiger Studiausweis endlich gegen eine Plastikkarte eingetauscht wird, die dann auch den Bibliotheksausweis ersetzt. Man solle doch bitte auf die Mail vom Studierendenwerk warten, um den Ausweis zu beantragen und ihn dann innerhalb von fünf Tagen abholen, denn so wird verhindert, dass alle 50.000 LMU-Schnuckis auf einmal zum IT-Helpdesk rennen. Diese Mail kam gestern bei mir an, ich beantragte brav meinen Ausweis und werde ihn morgen abholen.

Und dann spülte mir der Herr Loko einen Hinweis in die Twitter-Timeline, dass abends die Frauen des FC Bayern ihr Viertelfinalrückspiel in der Champions League gegen SK Slavia Prag hätten. Das fand am Bayern-Campus statt, an dem ich noch nie war, aber ein Blick in die MVV-App zeigte mir, dass ich da mit einmal Umsteigen hervorragend hinkäme.

Das Hinspiel war mit 1:1 anscheinend recht eng gewesen, daher hoffte ich auf ein spannendes und kampfbetontes Rückspiel. Das war’s nicht so ganz: Bis auf zehn Minuten kurz vor Schluss hatte Prag überhaupt nichts zu melden, die Bayerinnen gewannen mit 5:1, aber ich hatte trotzdem einen äußerst netten Abend. Wenn ich auch ab Minute 70 dachte, die Winterstiefel wären echt die bessere Idee zu den Turnschuhen gewesen, bitte pfeif pünktlich ab, mir ist kalt.

Beim Rausgehen zuhause hätte ich fast aus Gewohnheit zum FCA-Schal gegriffen, aber mir fiel noch rechtzeitig ein, dass ich vielleicht lieber den Bayern-Schal mitnehmen sollte. Der war auch ein prima Erkennungszeichen; beim Umsteigen von U-Bahn auf Bus war ich mir nicht sicher, zu welcher Haltestelle ich sollte, aber an den vielen Schals konnte ich erkennen, wo ich hinmusste.

Im Vorfeld hatte ich überlegt, wo ich sitzen wollte in diesem unbekannten Stadion, aber das hätte ich mir sparen können: Es gab nur die Osttribüne, alles Sitzplätze, acht lächerliche Euro für ein Viertelfinale in der Champions League – ACHT EURO FÜR DIE CHAMPIONS LEAGUE, selten wurde mir der Unterschied in der Wertschätzung von Männer- und Frauenfußball so deutlich vor Augen geführt –, keine Taschenkontrolle, keine Schlangen, keine festen Plätze. Ich setzte mich, ebenfalls aus Gewohnheit, ungefähr da hin, wo ich auch in Augsburg sitze, zwischen Mittelkreis und Strafraum, eher näher zum Strafraum. Gute Wahl, denn die ersten drei Tore fielen genau vor meinen Augen.


(Ich fotografiere sehr ungern während Fußballspielen und vergesse dabei auch immer, dem iPhone zu sagen, es möge bitte auf irgendwas auf dem Rasen scharfstellen und nicht auf die Frisuren meiner Vorderleute. Daher ist dieses Foto nur zu Dokumentationszwecken hier im Blog, nicht weil es gut ist. Im Gegenteil. Mpf.)

Ich überlege seit gestern, wie man den folgenden Satz formulieren kann, dass er nicht komisch klingt, aber mir fällt nichts ein, also dann: Fußballspielende Frauen sehen so großartig aus! Fußballspielende Männer auch, da bin ich ja dann doch durch und durch hetero, aber: Das ließ sich alles hervorragend gucken. Mehr Technik, weniger Gehacke, weitaus weniger Fouls. Ich freute mich über auch weibliche Linienrichterinnen; in der 1. Bundesliga haben wir ja immerhin eine einzige Schiedsrichterin, aber keine Frau an der Linie, warum auch immer.

Ich mochte auch die Unterstützung von den Rängen, die mit gut 1000 Zuschauer*innen besetzt waren. Das hörte sich etwas zaghafter an als bei 30.000 in Augsburg oder 75.000 in der Allianz-Arena, aber dafür haben die Damen anscheinend eine Trommlertruppe, die ich toll fand. Die machte nämlich nicht in einer Tour Krach, wie das die Kurven halt 90 Minuten lang machen und was ich teilweise schon gar nicht mehr höre, sondern sie ging auf die jeweiligen Spielsituationen ein. Alleine dafür möchte ich mir noch ein Spiel der Bayern-Frauen anschauen, auch wenn das jetzt fies klingt.

Mein Herz verloren habe ich an die Nummern 14 und 18, die ich in der ersten Hälfte direkt vor meiner Nase hatte, und ich musste ernsthaft auf der FCB-Website nach ihren Namen gucken, denn ich kannte, bis auf wenige deutsche Nationalspielerinnen, keine einzige Bundesliga-Fußballerin. Jetzt kenne ich zwei: Fridolina Rolfö und Dominika Skorvankova. Rolfö gibt als Hobby unter anderem „Essen“ an, und damit hat sie natürlich endgültig gewonnen. Brauche ein neues Trikot.