Tagebuch Samstag, 30. März 2019 – Kein Wort über Fußball und Nachtmusik
Der Plan war: in die Stabi fahren und mir alte Zeitungen durchlesen, danach Wohnung putzen, dann Mittag kochen, dann Augsburg am Laptop dabei zugucken, wie es Nürnberg schlägt, dann ein bisschen lesen und dann ab zur Nachtmusik der Moderne in der Pinakothek der Moderne.
Was es geworden ist: ewig im Bett rumgelungert, keine Lust auf alte Zeitungen gehabt, den letzten Lemon Curd verfrühstückt und einen ganz hervorragenden Flat White genossen, auf dem Sofa klebengeblieben, keine Lust zum Putzen gehabt, gelesen, [… nullzudreiverficktescheiße …] noch mehr gelesen, zwischendurch die restliche Salsiccia mit Tomaten und ordentlich Zwiebeln, Knoblauch, Öl zu einer herrlichen Pastasauce verarbeitet, gelesen, aber dann: ab zur Nachtmusik der Moderne in der Pinakothek der Moderne.
F. und ich gönnten uns auch das Komponistengespräch vor dem Konzert, was dieses Mal ein Komponistinnengespräch war: Anna Thorvaldsdottir beantwortete die Fragen vom Leiter des Münchner Kammerorchestern auf Englisch, während er wild übersetzte bzw. paraphrasierte, was aber völlig in Ordnung war. Ich fand die Gesprächsführung ähnlich gut, sympathisch und aufschlussreich wie bei der letzten Nachtmusik, wo wir uns Helmut Lachenmann angeschaut und angehört haben. Bei einer Frage musste ich allerdings ein bisschen augenrollen, aber die Antwort Thorvaldsdottirs versöhnte mich sofort. Schuldt fragte die oberdämlichste aller Fragen, die nur Frauen gestellt bekommen: Wie sie das denn zeitlich hinbekäme mit dem Komponieren, man müsse ja zwischendurch auch mal einkaufen und so? Woraufhin sie nur trocken meinte: „Send husband to the supermarket.“ Das Publikum klatschte sehr laut, ich sowieso.
Ich hatte mir bewusst vorher nichts von Thorvaldsdottir angehört, hatte aber im Konzert stets eine Antwort von ihr im Hinterkopf, was hilfreich war. Die Frage nach Island und ob sich ihre Heimat in ihrer Arbeit niederschlägt, kam natürlich auch, aber immerhin da sagte Schuldt selbst, die Frage sei ein bisschen doof. So konnte die Komponistin immerhin gleich ausräumen, dass sie versuche, mit ihrer Musik die isländische Natur nachzubilden – „that is impossible“ –, aber dass sie sich durchaus von Strukturen und Details ihrer Umgebung beeinflussen ließe. Auch spannend: Sie gibt ihren Stücken erst Titel, wenn sie sie gut kennt, erst dann kann sie sie benennen. Der Name ist so gut wie nie der Ausgangspunkt für die Komposition, sondern der Abschluss.
Das Konzert in der Rotunde der Pinakothek der Moderne begann mit dem kurzen Illumine (2016), das mir gut gefiel und gleich sehr klar machte, dass die eben genannten Strukturen ihr Interesse sind, wobei sie sich aber auch der Melodie nicht verschließt, was ja gerade in der Nachkriegszeit fast schon verpönt war. Während das Streichensemble arbeitete, stand oben im ersten Stock der Rotunde schon deutlich sichtbar der Chor des Bayerischen Rundfunks am Geländer. Illumine endete – und ohne große Pause erklang das zweite Stück, eine Art Gebet nach einem alten isländischen Psalm, Heyr þú oss, himnum á (2005). Und da war bei mir alles vorbei. Wo ich eben noch gespannt und aufmerksam gehört und geschaut hatte, liefen jetzt nur doof-ergeben die Tränen. Ich saß in einem Museum, einem Ort, der mir in den letzten Jahren so viel gegeben hat, und über mir, von hoch oben, fielen herrliche Stimmen auf mich herab. Ich fühlte mich gesegnet, und ja, das hört sich pathetisch an, aber hey, ihr wart nicht dabei. Vier Minuten durchgeheult und die ganze Welt für großartig, inspirierend und heilend befunden.
In Reflections (2016) knarrten, atmeten und suchten dann wieder die Streicher*innen, wonach für Ad Genua (2016) der Chor wieder erschien, dieses Mal nicht in himmlischen Höhen, sondern gewohnt hinter dem Ensemble stehend. Das mochte ich auch sehr, weil es meine beiden Lieblinge des Abends – Stimmen und Strukturen – so simpel verband bzw. für mich erkennbar und nachvollziehbar machte.
Mit dem Abschlussstück haderte ich etwas, aber vielleicht war ich auch einfach fertig und müde: Streaming Arhythmia (2007) klang für mich wie ein Ensemble-Battle, was reizvoll war, aber ich hatte nach fünf Minuten das Gefühl, die Idee ist durchgespielt. Und das als jemand, die sich vier Stunden Parsifal anhört, ich weiß. Heute morgen, beim zweiten Durchhören, ist es mir schon nicht mehr so fremd.
Ich freue mich gerade wieder sehr darüber, neue Musik kennengelernt zu haben – und ebenso freue ich mich darüber, sie einfach so auf YouTube wiederzufinden, um sie euch vorspielen zu können. Mal sehen, wie lange das noch so bleibt.