Tagebuch Mittwoch, 5. Juni 2019 – In eine Papiertüte atmen
Vormittags Orgakram gemacht, was halt so am Quartals- und Monatsende anfällt. Mal wieder die Ablage runtergearbeitet, ein bisschen im Rest der Wohnung rumgeräumt, erneut über Balkonbepflanzung nachgedacht, was ich eigentlich aus Gründen schon auf nächstes Jahr verschoben hatte, aber in den letzten Wochen immer wieder hochploppte, und wer bin ich, es armen Blümchen zu versagen, unter meinen Händen zu sterben.
Mittags bloß ein Müsli mit Äpfeln drin, keine Lust zu kochen, zu warm. Cold Brew ist ein fantastisches Zeug, und ich ahne, dass es ganz eventuell ein bisschen daran gelegen haben könnte, dass ich Montag so mies geschlafen gehabe, weil ich im Überschwang einen ganzen Liter des herrlichen Sommergetränks über den Tag hinweg genossen hatte. Wobei ich natürlich weiß, dass Koffein nicht so lange im Körper bleibt, sondern nur einen kurzen Kick verursacht. Tee ist da langlebiger, und der stört mich null, wenn ich ihn literweise trinke.
Nachmittags und abends weiter an der Diss gesessen. Irgendwann habe ich dabei angefangen, geistig in eine Papiertüte zu atmen, weil mir bei jedem Bearbeitungsschritt klar wird, wieviele noch vor mir liegen. Das klang als Konzept total machbar, und jetzt denke ich dauernd, das ist viel zu viel, das wirst du nie hinkriegen. Werde ich vermutlich doch, auch das habe ich im Studium gelernt, dass ich mich immer irgendwann im Kopf verzettele und alles runterdummen will, im Endeffekt aber dann doch was Lesbares und wissenschaftlich Sinnvolles dabei rumkommt. (Jedenfalls in den höheren Semestern.)
Ein Farbbild von Protzen gefunden, das ich bisher nur schwarzweiß kannte, Mails geschrieben und um Auskunft gebeten, in Archivsuchmasken gearbeitet, Zeug vorbereitet, geschrieben, gedacht, verglichen, geschrieben. Diss halt.
Mit F. die Balkonsaison so halbwegs eröffnet, indem wir vor weit geöffneten Türflügeln auf meinem ausgeklappten Sofa rumlagen und nach draußen auf die Lichterkette guckten. Okay, es ist nicht wirklich Balkon, das habe ich jetzt auch kapiert. Aber wieso muss man nach draußen, wo es drinnen so bequem ist?
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Ich grüße, das heißt, ich lebe noch
Die FAZ schreibt kurz über die Arolsen Archives, ehemals Internationaler Suchdienst in Bad Arolsen, deren Bestände in Partnerschaft mit Yad Vashem nun zu großen Teilen online sind:
„Ein Besuch im Archiv lohnt immer. Zum Beispiel in jenem, das dem beschaulichen hessischen Städtchen Bad Arolsen – so darf man es sagen – zu Weltruhm verholfen hat. Hier ist der 1944 von den Alliierten gegründete Internationale Suchdienst zu Hause, der helfen sollte, kriegsbedingt zerrissene Familien wieder zusammenzuführen. Er hat sich angesichts des Wandels seiner Aufgaben jetzt einen neuen Namen gegeben: Arolsen Archives. Hier sind, großenteils auf Papier, Informationen zu etwa 17,5 Millionen Opfern des Nationalsozialismus gespeichert. Damit ist das Archiv, Teil des Unesco-Weltdokumentenerbes, das größte NS-Opfer-Archiv überhaupt. Vor allem das wehrlose Heer der Zwangsarbeiter aus den deutsch besetzten Ländern hat in Bad Arolsen einen Hüter seiner Erinnerung gefunden.“