Links von Sonntag, 7. Juli 2019

Krieg im Kopf

Die Republik über die kontinierliche Bedrohung von rechts, die in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten kleingeredet oder ignoriert wird, via Nils Markwardt. Wie twitterte Holger Schulze gestern so passend: „Was hätte der deutsche Staat & seine Polizei wohl getan, hätten sie in den 1970er Jahren 60.000 Schuss Munition & Todeslisten mit 25.000 Personen bei Sympathisanten oder Mitgliedern der RAF gefunden? – Eben. Völlige Ignoranz – wenn nicht sogar klammheimliche Kollaboration?“

Im Artikel geht es nicht nur um Lübcke, sondern es werden noch weitere Fälle von rechtsextremen Morden aufgelistet – und ich muss gestehen, an einige kann ich mich nicht erinnern bzw. ich bin mir nicht sicher, jemals von ihnen gehört zu haben.

„Sie alle scheinen aus dem kollektiven Gedächtnis der heutigen Bundes­republik weitestgehend getilgt zu sein.

Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass sich der Rechts­terrorismus strategisch stets von seinen links­extremistischen oder islamistischen Pendants unterschied. Im Gegensatz zu Letzteren verwendete man von rechts­extremer Seite nämlich selten Bekenner­schreiben und handelte gerade nicht im medien­wirksamen Sinne der «Propaganda der Tat». Im Gegenteil: Der rechts­extremistische Terror sollte seit je weniger über einen unmittelbar-kollektiven Schock funktionieren, sondern sein Gift langsam, aber dafür umso entschiedener verbreiten. All jene, die sich im buchstäblichen Faden­kreuz von Neonazis befanden, sollten ahnen, dass sie die Nächsten sein könnten – und entsprechend eingeschüchtert werden. Dies hatte aus rechts­extremistischer Sicht auch den Vorteil, dass die halb­klandestinen Netzwerke, von denen der Neonazi­terror zumeist getragen und unterstützt wird, von den Behörden schwieriger in den Blick zu nehmen sind.

Es gehört somit zu den Paradoxien der Ideen­geschichte, dass gerade Rechts­extreme die Strategie des «führerlosen Wider­stands» (leaderless resistance) kultiviert haben.“

Es geht außerdem um die Ideologie, die hinter rechtem Gedankengut steckt – oder dem Fehlen derselben:

„Besass schon der historische Faschismus nur ein Mindest­mass an theoretischen Grundlagen, meist in Form einer gleicher­massen militanten wie diffusen Mischung aus Führer­kult, Antisemitismus und Rassismus, gilt dies ebenfalls für den Neonazismus. Beide besitzen philosophisch kaum ernsthafte Quellen und verfügen über keine eigenständige Ethik, sondern funktionieren fast ausschliesslich über die permanente Produktion von Feind­bildern. Und bei beiden wird der Mangel an Theorie mit dem Zwang zur paramilitärischen Dauer­mobilisierung kompensiert.

Der Faschismus, ob alt oder neu, ist deshalb stets eine buchstäbliche Bewegung, eine stetig nach vorne stürzende Aggression. Oder genauer gesagt: Er ist stets auf dem Sprung in Krieg und Katastrophe.“

Beschämt sei, wer jetzt an Trump denkt.

Im neuen Spiegel steht übrigens ein in Strecken irritierendes Interview mit Egon Krenz, der brav die Legende aufrecht erhält, dass es in der DDR keine Nazis mehr gegeben habe.

Auch hier fällt mir noch ein Tweet ein, dieses Mal von Jakob Vicari, über den ich sehr lachen musste. Auf dem Spiegel-Titel ist Carola Rackete abgebildet: „Zum ersten Mal eine Frau auf dem @DerSPIEGEL Cover die nicht Angela Merkel ist oder Rücken hat.“

in abendgarderobe malende künstlerinnen auf instagram

Katia Kelm, Künstlerin, guckt sich Künstlerinneninszenierungen auf Insta an.

„heutzutage ist anfängerin-sein ja auch viel einfacher als früher. man kuckt ein paar clips auf youtube und, peng, ist man profi (so hat mein sohn abitur gemacht). oder auf instagram. dort kann man malerei sehen, die noch feucht auf der staffelei steht. man bekommt einblicke in fremde ateliers, welche farben, pinsel und verdünner die leute benutzen und ob sie die leinwände auf keilrahmen spannen oder lose an die wand tackern. zugegeben, bei instagram geht es vordergündig nicht so sehr um die vermittlung von inhalten, aber ich als bildprofi kann die auch aus abbildungen herauslesen.

und bei diesem herauslesen stosse ich auf manche kuriositäten. in letzter zeit zum beispiel vermehrt auf leute, die vor dem malen ihre besten klamotten anziehen. eine verkaufte ihr outfit sogar anschliessend in auflage: „shirt $325, skirt $295“. und ein paar tage später postete sie dann noch ein workoutfoto in eben diesem 325$-shirt und 295$-skirt UND weissen lackschuhen!“

Ich folge neuerdings vielen Interieur-Hashtags und dort fällt mir ebenfalls immer mehr das Inszenatorische auf. Ja, ich weiß, keine irre neue Erkenntnis, denn natürlich gehört das zu einer Bilderplattform, dass wir uns ab und zu Mühe geben, mal einen Filter nutzen und auch ich meist erst das dritte Bild meines Abendessens poste und nicht gleich das erste. Eine Ausnahme ist die Kaltmamsell, die UNS ALLE mit ihren Glastellern irritiert, auf denen Mahlzeiten immer so aussehen als würden sie auf der Tischplatte serviert – besonders apart, wenn’s Sauce gibt –, aber ich ahne inzwischen, dass sie das mit voller Absicht macht, weil sie weiß, dass wir irritiert sind.

Bei den Interieur-Hasis ist die Inszenierung teilweise so irrwitzig, dass die Wohnungen so aussehen, als würde dort nie jemand leben; ein Ikea-Showroom ist bewohnter als diese Bilder. Einer meiner Lieblingsposts war von einer Dame, die ihre Küche instagrammte mit der Bildunterschrift im Sinne von „Ich hatte gehofft, ich würde in einer neuen Küche lieber kochen als vorher, aber nee.“ Die also offensichtlich als jemand, die nicht gerne kocht, tausende von Euro in eine Küche investiert hat, weil sie gut aussieht. Und eine andere nennt ihren ganzen Account sogar „Wohnkulisse“, was eine darstellende Funktion schon impliziert. Immerhin ehrlich, aber vermutlich nicht ganz so entlarvend gewollt.

Instagram ist sehr spannend für die Bildwissenschaft. Muss weiter seltsamen Hashtags folgen.

‘When They See Us’: Researching the Story of the Exonerated 5 and Beyond at The New York Public Library

Die Kündigung meines Netflix-Accounts hat immerhin sieben Wochen gedauert. Dann wollte ich aber doch When They See Us sehen, und dafür hat sich das Wiederkommen sehr gelohnt. Die alten Einlog-Daten funktionieren übrigens, man wird freundlich wiederbegrüßt, als ob man nur mal kurz spazieren war.

Die New York Public Library twitterte gestern, wie man die Historie des rassistischen US-Justizsystems mit ihren Beständen erforschen könne. Darin enthalten ist natürlich auch die berüchtigte Anzeige Trumps, der für die unschuldigen Teenager die Todesstrafe forderte.

(Via Markus Trapp)

Als Rausschmeißer ein kleiner Twitter-Thread von Annie Minoff, der so beginnt:

„Did you know there is a legit particle accelerator in the basement of the Louvre museum!? I heard about this a few years ago, and have been dying to see it ever since.

Well mes amis, yesterday I DID!“

(via Gerriet Backer)