Tagebuch Dienstag, 17. September 2019 – Au-to-baaaaahn
(Es hilft nix, man hat es immer im Kopf.)
Gestern vertiefte ich mich mal wieder in den Bau der Autobahnen bzw. zunächst dem ersten großen Projekt für eine reine Autostraße, die sogenannte „Hafraba-Straße“, dann der AVUS von 1921 und der ersten auch so bezeichneten Autobahnstrecke zwischen Köln und Bonn 1932, die später nicht ins Reichsautobahnnetz eingegliedert wurde, weil kein trennender Mittelstreifen zwischen den Spuren vorhanden war. Mir geht es gerade ganz simpel um die politischen Vorgaben und die reine Entstehung des Bauwerks bzw. den Plänen für die spätere Reichsautobahn oder noch bzwiger, welche schon vorhandenen Pläne die Nationalsozialisten als ihre eigenen ausgaben.
Damit war ich dann den ganzen Tag beschäftigt. Das von mir angelegte Stoffsammlungsdokument zu diesem Thema stammt übrigens, wie mir gestern wieder auffiel, vom November 2017. Ich werde mich nie wieder fragen, warum Dissertationen so lange dauern.
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A Nazi Design Show Draws Criticism. Its Curator’s Comments Didn’t Help.
Die NYT berichtet über die Ausstellung des Design Museum Den Bosch, das sich mit der grafischen und architektonischen Gestaltung des „Dritten Reichs“ auseinandersetzt. Ich habe die Ausstellung selbst nicht gesehen und bin mir auch nicht sicher, ob ich das noch tun werde. Nicht weil ich die Idee doof finde, sondern weil ich nicht weiß, ob sie mir viel Neues zeigen wird.
Kurator de Rijk lehnte sich zunächst mit arg dämlichen Statements zum Wesen des Museums an sich sehr weit aus dem Fenster der Idiotie:
„Controversy has been brewing around the exhibition since February 2018, when Mr. de Rijk gave the interview to De Volkskrant to announce the show. He began by characterizing Dutch design in museums generally as “too feminine.” “Apparently, more women work in the design departments, and homosexuals, by the way,” the Volkskrant quoted Mr. de Rijk as saying. “That is of course a cliché, but the museum world seems to repeat those clichés,” he added.“
Zur Ausstellung selbst hat er allerdings Schlaues zu sagen:
„“All our art history books run from 1890, when modernism started, to 1939 or 1940, and begin again in 1945,” Timo de Rijk, the museum’s director and the curator of the exhibition, said in an interview last week. “We’ve skipped something: A large part of what existed there, which is crucial to understanding what happened afterward — and also what came before — is not understood. I want to change that.”
Das ist genau das Argument, was Menschen, die in meinem Bereich forschen – systemkonforme Kunst des NS – seit Jahren runterleiern. Unser Verständnis einer Zeit wird nicht besser, wenn wir Dinge daraus wegschließen oder vernichten, damit sich bloß niemand mit ihnen konfrontieren muss. Mein liebstes Zitat, dessen Quelle leider nicht frei zugänglich online ist, stammt von Julia Voss in der FAZ, die über die damals (2011) neue Website GDK-Research schrieb, an der mein Doktorvater maßgeblich beteiligt war und ist. Sie meinte zur systemkonformen Kunst, die jahrzehntelang unter Verschluss geblieben war und nun erstmals in ihre gesamten Breite sichtbar gemacht wurde, dass man eben durch diese jahrzehntelange Unkenntnis auf eine Höhle voller Drachen warte – und stattdessen auf Molche und Lurche treffe. Eben die schnarchigen Blumenstillleben und eine banale Landschaft nach der anderen. In diesem Zusammenhang meine ewige Lieblingszahl: Eindeutig ideologische Kunst (Hitlerbüsten, Kriegsszenen, Soldaten etc.) stellten stets nur einen winzigen Teil der Kunst im Haus der Deutschen Kunst dar; ihr höchster prozentualer Anteil betrug nie mehr als vier lausige Prozent (GDK 1941, Quelle: Aufsatz „Die ‚Große Deutsche Kunstausstellung‘ 1938. Relektüre und Neubewertung“ in diesem Buch).
Ich finde es außerdem gerechtfertigt, auf den Designaspekt des „Dritten Reichs“ hinzuweisen und auf seine verführerische Kraft, gerade in diesen Zeiten, in denen die Rechten sich wieder aus ihren Löchern trauen. Denn das war eine Kritik an der Ausstellung, die auch in den Kommentaren zum Artikel zum Ausdruck kommt: Sollte man sowas gerade jetzt eben gerade nicht zeigen? Ich meine: genau jetzt.
Das Ausmaß, mit dem das „Dritte Reich“ die deutsche Bevölkerung umfasste, kann durchaus immer wieder betont werden. Selbst mir war nicht klar, wie sehr die Ideologie jeden noch so kleinen Anteil des persönlichen Lebens betraf, da hat mir die Dauerausstellung im NS-Dokuzentrum hier in München sehr viel beigebracht. Gerade weil sich heute wieder Widerlichkeiten wie „völkisch“ und „entartet“ in den Sprachgebrauch schleichen, man in jedem dritten Facebook-Artikel darüber diskutieren muss, warum „Jedem das Seine“ kein gutes Zitat ist, egal wo es ursprünglich herkommt (wir malen ja auch keine Hakenkreuze mehr irgendwo hin und sagen, guck mal, altindisch) und anscheinend auch niemand mehr darüber stolpert, wenn man sich einen Telefontarif „selektieren“ soll, sollte man daran erinnern, wie diese Dinge und Worte missbraucht, umgedeutet oder erfunden wurden.
Eine Kritik, die jede Ausstellung abkriegt, die Dinge aus der NS-Zeit ausstellt, ist der angeblich fehlende Kontext: Müsste man nicht Fotos aus KZs zeigen, damit niemand vergisst, was das hübsche Design angerichtet hat? Ich halte das, wie in der Ausstellungsbesprechung zu „Artige Kunst“ in Regensburg erwähnt, für Quatsch und Didaktik für Doofe. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass jemand, der sich eine Ausstellung zum Nationalsozialismus anschaut, nicht weiß, was diese Ideologie angerichtet hat. Und ich glaube auch, dass die (meist) Jungs, siehe NPD- und AfD-Wähler und -Mitgliederhäufung, die das alte Design so schick finden und heute wieder rote Fahnen mit schwarzen Fantasiesymbolen auf weißem Grund gestalten, um bewusst eine optische Verwandschaft herzustellen, das ebenfalls genau wissen. Deswegen finden sie den Kram ja so toll: weil sie ihre kleingeistigen, größenwahnsinnigen Fantasien ausleben können. Keiner von denen sagt, hey, der Albert Speer, der hat aber echt schön die klassischen griechischen Vorbilder umgesetzt und konsequent monumentalisiert, gut gemacht, Junge – die sagen, hey, geil, Platz für 200.000 jubelnde Deppen und ich vorne auf der Tribüne. Der Leiter der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die ja bekanntlich im Saal 13 systemkonforme Kunst (und meinen Herrn Protzen) ausstellen, meinte in einem Interview, der Raum sei so gar nicht zur Sammlungsstätte von Alt-Nazis geworden, was im Vorfeld durchaus diskutiert und befürchtet werde. Den Alt- und Neu-Nazis sind Zieglers Vier Elemente oder Protzens Baustelle bei Leipheim nämlich egal, die finden nur die Idee super, dass endlich mal wieder jemand sagt, was Kunst ist und was weg kann.
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In diesem Zusammenhang empfehle ich euch erneut Albert Speer: Eine deutsche Karriere von Magnus Brechtken, das ich mit großem Gewinn gelesen habe, vor allem den Teil nach 1945, der sich auch mit dem Umgang der Bundesdeutschen mit ihrer Nazivergangenheit befasst.