Was schön war, Donnerstag/Freitag, 31. Oktober/1. November 2019 – All things grow

(Soundtrack zum Blogeintrag: Chicago von Sufjan Stevens)

Am eigenen Schreibtisch sitzen, schreiben können, lesen können, im Warmen sein können, ein Dach über dem Kopf haben.

Geld haben, um einzukaufen. Ist in diesem Jahr nicht ganz so üppig, aber es reicht. Das ist viel.

DMs mit jemandem austauschen, den man liebt. Menschen auf Twitter und Insta zugucken, die man mag, schätzt, unterhaltsam findet, anregend, anstrengend auf eine gute Weise. Sich bilden können.

Ein Geschenk von jemandem Wildfremden aus der Packstation holen. Gehen, im eigenen Tempo, in genau meinem Wetter (Team Herbst), in der geliebten Schnuffeljacke. Auf dem Rückweg ein Stück Kuchen vom Bäcker holen. Geld für Kuchen haben, Zeit, dazu noch einen Kaffee aufzubrühen, beides genießen, stumm und dankbar.

Auf dem Sofa einschlafen können, weil gerade nichts gemacht werden muss. Gar nichts.

Honigbrot, Tee, merken, dass die Blechpommes im Sonderangebot gar nicht so schlecht sind. Ich habe immer noch keine richtig guten selbstgemachten hingekriegt. Aber: Zeit und Lust dazu haben, es immer wieder zu probieren.

Ausschlafen.

Neue Folgen von Queer Eye auf Netflix, die bei mir immer den Effekt haben, mal wieder auf mich raufzugucken und zu merken, was ich alles habe, was ich alles kann, worin ich gut bin. Der gute alte Spruch, über den viele sich lustig machen außer denen, die ihn dauernd aufsagen müssen, um nicht wahnsinnig zu werden: Selbstliebe ist ein radikaler Akt, wenn die Gesellschaft, die Medien, Facebook oder deine angeblichen Freunde dir dauernd sagt, du bist nicht gut genug.

Den Artikel „Was ich lernte, als mein Vater starb“ lesen und genau das mitnehmen, was mich seit einigen Monaten auch beschäftigt:

„Wenn man Hinterbliebene wird, dann erkennt man (oder auch bereits in den Ãœbergängen langer Krankheiten), wie Menschen ticken, wie sie gebaut waren. Wie bei Ruinen sieht man, wo die Stiegenhäuser waren, wo die stabilen Wände, wo die weniger belastbaren. Bei diesem schmerzhaften Prozess lernt man, wie man selbst gefertigt ist. Wo man Wände verstärken sollte. Welche man einreißen könnte, weil man sie selbst dort gar nicht braucht. Und wo man eigentlich lieber einen Balkon hätte. Beraubt der letzten Zeugen der eigenen Kindheit, verabschieden wir uns nicht nur von den Toten, sondern auch von den Menschen, die wir selbst früher waren. “Du sitzt jetzt erste Reihe fußfrei”, hat mir eine Freundin damals gesagt, und das klang knallhart, aber gut. Denn erste Reihe fußfrei bedeutet auch, dass es die eigenen Entscheidungen sind, die zählen und gelten, und das Bild von einem selbst, das man hat, nicht das, das ein anderer hatte, dem man womöglich lange zu entsprechen suchte. Und plötzlich erkennt man, ganz versöhnt, dass selbst dieser Mensch einmal versucht hat, jemand anderem zu entsprechen. Es ist die simple Erkenntnis: Auch die Eltern sind nur Menschen.“

Und ganz dringend das hier:

„”Wird es mir am Totenbett Sorgen machen?”, frage ich mich seither, um herauszufinden, wie es um die Größenordnung eines Problems tatsächlich bestellt ist. Da bleibt erstaunlich wenig übrig. “Wir werden alle sterben” nicht als Tragödie, sondern als Befreiungsschlag.“

Ich werde auf dem Sterbebett nicht denken, ach Mensch, hätte ich doch diese zehn Kilo noch abgenommen, hätte ich doch mehr Geld verdient, hätte ich doch noch mehr Zeug angehäuft. Ich werde denken, scheiße, die 100 Euro für diesen Rotwein hättest du doch ausgeben sollen. Und dann gebe ich sie jetzt aus. Und schreibe eine Dissertation, statt in der Agentur reich zu werden. Und werfe Zeug weg, weil ich genug Zeug habe.

Genug Zeug haben.

In der Küche beim Kochen zu Sufjan Stevens mitsingen.

Abends über Patisserie sprechen, über gutes Essen, dazu einen Wein trinken, der keine 100 Euro gekostet hat, aber trotzdem sehr gut ist.

Gemeinsam einschlafen und darauf vertrauen, dass Dinge wachsen, sich entwickeln und alles irgendwie gut wird.