Was schön war, Dienstag, 5. November 2019 – Kapitelabschluss (haha)

Vormittags Geld verdient, danach wieder an der Diss gesessen.

Vorgestern hatte ich das dicke Autobahnkapitel, an dem ich gefühlt (und laut Blogeinträgen) ungefähr zwei Monate hauptsächlich saß und schrieb, vorerst abgeschlossen. Gestern fühlte ich mich dadurch gewappnet genug, den Forschungsstand aufzuhübschen, der bisher eine Liste von Texttiteln war, von denen ich aber nie so recht wusste, ob sie da reingehören oder lieber ins Autobahnkapitel oder doch gleich in den Hauptteil zu Protzen und der Diskussion über seine Werke. Nachdem ich jetzt aber das Autobahnding fertig hatte, wühlte ich mich durch den Forschungsstand, kürzte, löschte, formulierte um und erweiterte, erweiterte, erweiterte. Das Ding ist dann jetzt auch vorerst fertig. (Immer im Hinterkopf: haha, fertig, haha.)

Ich musste mir gestern mal wieder eingestehen, dass die Diss mein Everest an Text ist. Bisher habe ich immer stolz gewusst, lange Texte sind genau mein Ding, das kann ich, darin verliere ich mich nicht, weder in üppigen Werbekatalogen noch in meinem Buch übers Essen und Dicksein. Die 220 Seiten Manuskript dafür waren mir relativ schnell im Kopf klar, die musste ich quasi nur runterschreiben. Das sah übrigens so aus; ich habe beim Wiederlesen des nun über acht Jahre alten Blogeintrags festgestellt, dass ich immer noch gerne an schönen Tischen und mit einer Teekanne neben mir arbeite. Und es deutete sich vorsichtig an, dass Kunstgeschichte demnächst eventuell eine Rolle in meinem Leben spielen würde.


(Eins von zwei Regalen, die nach der Umräumaktion neulich jetzt hinter mir im Arbeitszimmer stehen. Schon nach wenigen Tagen mit Büchern vollgestapelt, wo-hoo! Nicht wo-hoo. Nicht im Bild: Teekanne rechts von mir.)

Die Diss kann ich aber nicht einfach so runterschreiben, weil ich noch gar nicht weiß, was ich schreiben werde, weil ich noch nicht alle Quellen gesehen habe, weil ich in Protzens Werken IMMER NOCH erst im Jahr 1937 bin und noch bis 1956 muss und weil ich nicht weiß, was mir alles auf dem Weg dahin noch begegnet. Deswegen ist jeder Satz, den ich schreibe, ein vorläufiger. Und weil es so irre viele Richtungen sind, in die ich schreibe, und es viel zu viel ist, um es dauernd noch einmal durchzulesen, was ich sonst immer mache, lese ich neuerdings alle zwei Monate mal über irgendwas rüber. Dann denke ich meist, oh, das ist schlau, das habe ich hübsch formuliert. Manchmal denke ich aber auch, was ist denn das für ein Quatschsatz, den streichen wir mal formlos. Aber grundsätzlich denke ich immer: Das hab ICH geschrieben? Weil ich schon längst vergessen habe, was ich im März oder Juli mal zu Papier brachte.

Auch deswegen wollte ich jetzt den Forschungsstand halbwegs runterrocken, damit ich nur noch anlegen muss, wenn mir noch irre neue Quellen oder Texte über den Weg laufen, womit ich aber eigentlich nicht rechne. Die Grundlagen zu den Autobahnen, Kunst im NS, Kunst in München im NS habe ich jetzt durch. Für Herrn Protzen hat sich noch nie jemand so richtig interessiert, aber auch über die wenigen Erwähnungen von ihm seit 1945 konnte ich durchaus was schreiben. Ich bin dann jetzt bei 187 Seiten angekommen, weiß nicht wie und habe keine Ahnung, was in ihnen drinsteht.

Erinnerungskultur in der DDR

Ich erwähnte neulich schon mal, dass mich die unterschiedliche Aufarbeitung des NS in Bundesrepublik und DDR interessiert. Die BPB hat dazu ein Dossier von 2008 wieder nach oben geholt, davon verlinke ich mal einen Text (via @frequenzfisch). Wie gesagt, 2008. (Nicht von den Fußnoten mitten im Text irritieren lassen, es geht darunter weiter.)

„Unmittelbar nach Beendigung des Krieges galt die Erinnerung in der sowjetischen Besatzungszone allen Opfergruppen. Es war unerheblich, ob es sich um Widerstandskämpfer kommunistischer, bürgerlicher oder christlicher Couleur handelte oder ob die Verfolgung aus rassistischen Gründen erfolgte. Kurz nach Kriegsende 1945 wurden als “Opfer des Faschismus” diejenigen bezeichnet, die “‘unter der Hitlerdiktatur heldenmütig für die Freiheit des deutschen Volkes’ gekämpft hatten, sowie die ‘Hinterbliebenen der von den Faschisten ermordeten Helden des deutschen Freiheitskampfes'”. Die Weiterführung des Zitats verdeutlicht jedoch, dass eine Hierarchisierung der Opfergruppen im Interesse der kommunistischen Erinnerungskultur und des Geschichtsbewusstseins vorgenommen wurde. Denn es heißt weiter: “‘Opfer des Faschismus’ sind die Juden, die als Opfer des faschistischen Rassenwahns verfolgt und ermordet wurden, sind die Bibelforscher und Arbeitsvertragssünder. Aber so weit können wir den Begriff ‘Opfer des Faschismus’ nicht ziehen. Sie haben alles geduldet und Schweres erlitten, aber sie haben nicht gekämpft.

Vor allem die Spitze der SED sah in den kommunistischen Widerstandskämpfern die bedeutendste Gruppe, die stets hervorgehoben wurde. So wurde zwischen “Opfern des Faschismus” und den “Kämpfern gegen den Faschismus” unterschieden. Die Erinnerung an die anderen Opfer wurde somit sekundär und verschwand größtenteils aus dem öffentlichen Gedächtnis. Jürgen Danyel weist darauf hin, dass “in der DDR […] die Euthanasie-Opfer, die Sinti und Roma, die ‘Asozialen’, die Homosexuellen und andere Minderheiten zu den lange vergessenen Opfergruppen” gehörten.“

Die Bundesrepublik hat sich auch nicht nur mit Ruhm bekleckert, gerade was die Integration von NS-Verbrechern und -Mitläufern anging, da war die DDR deutlich konsequenter in ihrer Ablehnung. Aber die Bundesrepublik hatte immerhin die 68er, in deren Zeit meiner Meinung nach eine intensivere Auseinandersetzung mit der eigenen oder der familiären Vergangenheit möglich war als der von oben verordnete Antifaschismus. Aber ich muss dazu noch viel lesen, das will ich jetzt genauer wissen. Hier ein zweiter Text aus dem Dossier: Geschichte der Erinnerungskultur in der DDR und BRD. (Ich bringe es immer noch eher selten über mich, „BRD“ zu schreiben, westdeutsche Prägung, ts.)

„In der Bundesrepublik lautete 1949 die Frage: Demokratisierung und gesellschaftliche Integration der NS-Funktionseliten, also der mittleren Garnitur, oder vorbehaltlose Aufarbeitung und Bestrafung der Verbrechen. In einer Art großen Koalition entschied man sich für den ersten Weg – ein allgemeiner Rechtfertigungsdrang und ein gemeinschaftlicher Wille, sich von Schuld und Verantwortung frei zu sprechen verband die meisten Deutschen miteinander. Vom Holocaust war bis zum Ende der 1950er Jahre kaum die Rede.

In der Öffentlichkeit wurde das “Dritte Reich” weitgehend totgeschwiegen. Nur Minderheiten, meist Opfergruppen, wagten die Schuld verdrängende Verharmlosung, die Vergangenheitsabwehr und die Schuldabwälzung zu stören. Im populären Geschichtsbild der Zeit erschien der Nationalsozialismus als unerklärlicher Einbruch, als Heimsuchung, ja Verhängnis und Hitler als Dämon. Außerdem wurden die NS-Diktatur und die SED-Diktatur über denselben Kamm geschoren und nach dem Mauerbau 1961 erschien die DDR nicht wenigen als ein KZ. Halbheiten bestimmten die Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus. Israel erhielt zwar Entschädigungszahlungen, doch in der Wiedergutmachung steckte zu viel Kalkül und Außenpolitik, als dass sie moralisch voll überzeugte: Gezahlt wurde dort, wo es die internationale – und das bedeutete damals: westliche – Reputation der Bundesrepublik gebot, im Westen. Osteuropäische Opfer gingen leer aus.

Das Klima und mit ihm die Erinnerung wandelte sich seit etwa 1958, als antisemitische Skandale die Republik erschütterten. Weit reichende Folgen ergaben sich aus den Reaktionen: Die Kultusminister verabschiedeten neue Richtlinien für den Geschichtsunterricht, der Gesetzgeber schuf den Straftatbestand der “Volksverhetzung” und auf Betreiben von Opfergruppen wurden endlich Gedenkstätten gebaut. Ferner richteten die Landesjustizminister die “Zentrale Stelle zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen” ein, womit sie die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern vorantrieben. Intellektuelle wie Rolf Hochhuth kritisierten den Umgang mir der NS-Vergangenheit offen und ein Generationenkonflikt radikalisierte den Umgang mit der Vergangenheit. Die Verjährungsdebatten im Deutschen Bundestag seit 1965 – Mord verjährte nach 20 Jahren, durfte NS-Völkermord verjähren? – verzeichneten eine ebenso breite öffentliche Resonanz wie der Eichmann-Prozess in Jerusalem oder der Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main.“