Tagebuch Sonntag, 24. November 2019 – Ruheabteil

Den halben Tag in Zügen und S-Bahnen verbracht, um zu meinen Eltern zu kommen.

Der ICE nach Hannover war pünktlich, die Fahrt angenehm. Ich hatte einen Platz ganz vorne in einer dieser lustigen Lounges direkt hinter dem Zugführer (m/w/d) ergattert. Dummerweise war mein Zug einer, der irgendwann geteilt wurde, weswegen ich die ganze Zeit auf das Hinterteil eines anderen ICEs guckte.

Außerdem ist die Lounge ein Ruheabteil, was mir auch dadurch bewusst wurde, dass einer der Mitreisenden eine Dame maßregelte, die im Raum zwischen der Lounge und dem Rest des Waggons – also da, wo die Zugtüren sind – telefonierte. Anscheinend dehnt sich die heilige Halle der Stille auch über die Glastür hinaus aus.

War mir egal, ich lauschte wieder Podcasts und zwar zweien von WRINT, die ich beide wärmstens weiterempfehle.

Das ostdeutsche Gefühl erläutert im Gespräch, wieso so viele ehemalige DDR-Bürger*innen noch mit dem neuen Staat hadern, was für mich durchaus überraschend war. Viel zu kurz zusammengefasst würde ich sagen: Wenn man daran gewöhnt war, dass der Staat sich um alles kümmert (Wohnung, Studienplatz, Kindergarten, Job), empfindet man einen Staat, der genau das nicht mehr tut, anscheinend eventuell als nicht-funktionierend. Und dann wählt man halt eher Parteien, die einen in diesem Gefühl des Staatsversagens bestärken und alles ganz anders machen wollen.

Den zweiten Podcast, Die Übernahme Ostdeutschlands, habe ich erst halb durch, aber schon die erste Hälfte konnte mich sehr faszinieren, weil da ein Historiker spricht. Auch darüber, wie er zwei Kapitel seiner Dissertation Ende der 1990er damit bestreiten konnte, indem er Akten zitierte, die er vor den SED-Leuten retten konnte und die heute unter seinem Namen in dem Institut stehen, von wo sie damals entfernt werden sollten.

Das Comeback der Zimmerpflanze

Kann ich inzwischen abnicken, vor einem Jahr noch nicht. Hey, man kann sich noch in gesetztem Alter ändern! Nie aufgeben, Kinnings!

„”Zimmerpflanzen sind heute so selbstverständlich, da könnte man meinen, sie waren schon immer da”, sagt Andreas Gröger vom Botanischen Garten München, während er über die großen herzförmigen Blätter einer Zimmerlinde streicht. “Eigentlich gibt es sie aber erst seit knapp 200 Jahren.”

Vorher waren exotische Pflanzen höchstens dem gut betuchten Adel vorenthalten, der seine Zitrusbäumchen, Rosmarinsträucher und bunten Pelargonien in Orangerien zur Schau stellte. Die Bedingungen für einen bürgerlichen Privat-Dschungel waren schlecht, die Wohnräume dunkel und mit Öfen oder glühenden Kohlen nur punktuell beheizt. “Da hielt sich höchstens mal ein Myrtensträußchen auf dem Fensterbrett”, sagt Andreas Gröger. […]

Das erstarkende Bürgertum des 19. Jahrhunderts giert nach Pflanzenneuheiten aus fernen Ländern, große Exotengärtnereien bedienen die Nachfrage. Ausgefallenes Zimmergrün wird gesammelt wie Bücher und Gemälde und im Salon zur Schau gestellt. Ãœppig-verspielte Farne und exotische Palmen sind der letzte Schrei; für eine exklusive Orchidee geben Liebhaber schon mal ein Vermögen aus. Denn wer Zimmerpflanzen sammelt, der kann sich auch den damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand leisten – so werden die Pflanzen zum Statussymbol. […]

Von den 1920er-Jahren an ist aber erst mal Schluss mit den üppigen Privat-Dschungeln. Künstler wie der Bauhausgründer Walter Gropius stellen die Funktionalität ins Zentrum, was sich auch auf den Zeitgeist in der Weimarer Republik auswirkt. Verspieltes Ziergrün muss raus aus den Wohnungen, denn wer will schon wie die Spießer des letzten Jahrhunderts sein? Wenn es unbedingt eine Zimmerpflanze sein soll, dann bitte ein Kaktus oder ein Bogenhanf mit seiner streng geraden Wuchsform (Sansevieria trifasciata, auch Schwiegermutterzunge). “Die 1920er- und 30er-Jahre sind so etwas wie die Tiefzeit der Zimmerpflanzen”, sagt Botaniker Andreas Gröger.“

Ich sage ja immer gerne, dass man Bilder der Neuen Sachlichkeit auch dadurch erkennt, dass irgendwo ein Kaktus rumsteht. Achtet mal drauf.