Tagebuch Donnerstag, 27. Februar 2020 – Bundestränchen
Am vorletzten Tag meines Bundesarchiv-Aufenthalts wartete der Feind: die Mikroformate. So war es mir jedenfalls auf der Bestellbestätigung vom Archiv mitgeteilt worden, nicht alles, was ich haben wollte, gab es auf schönem, übersichtlichen Papier.
Todesmutig stapfte ich in den Ausgaberaum, wo mir sechs Umschläge mit Mikrofiches in die Hand gedrückt wurden. Interessiert stellte ich fest, dass die Lesegeräte nicht ganz so altmodisch waren wie die, die ich aus der Münchner Stabi kenne, wo man eines der Plastikblättchen auf die dafür vorgesehene Glasplatte legt, sie unter das Objektiv (?) schiebt und hofft, dass man alles richtig herum reingedengelt hat. Das war’s. Hier war das Lesegerät digital, das heißt, man konnte per Mausklick die Ansicht ändern, wenn man das Blatt, wie erwartet, verkehrt eingelegt hatte. Außerdem konnte man an Kontrast und Helligkeit rumspielen, zoomen (okay, das geht analog auch) und ich meine auch ausdrucken. Und: Man liest nicht die ganze Zeit weißen Text auf schwarzem Grund, was ich hasse, sondern schwarz auf weiß. Wie eingescannte Blätter halt.
Das wäre alles total toll, wenn es das Leseerlebnis verbessern würde. Schwarz auf weiß ist prima, danke, meine Augen haben sich sehr gefreut. Aber: Vieles war schlicht nicht lesbar, weil die Schrift zu hell war. Das war mir schon bei vielen Akten in den letzten Tagen aufgefallen, dass keine Originale erhalten waren, sondern der vierte Durchschlag des Originals. Auf Papier ging das noch, als Scan/Foto war es teilweise komplett unbenutzbar. Aber hey, es waren ja nur die Akten der Reichskanzlei, da stand bestimmt nichts wichtiges drin.
Ich fand immerhin das meiste von dem, was ich zu finden gehofft hatte, anderes fand ich nicht mal ansatzweise und ich weiß jetzt auch nicht mehr, wo ich noch danach suchen könnte. Bleibt das halt eine Lücke in der Diss. Die werde nur ich sehen, aber ich werde mich die nächsten 20 Jahre darüber ärgern, keine Quelle dafür gefunden zu haben.
Ich stolperte außerdem über einen Fall, von dem ich im Rosenheim-Seminar schon mal gehört hatte; das fand ich sehr spannend, den Sachverhalt anhand der Originalquellen nachvollziehen zu können.
Und dann stolperte ich noch über die ersten Entwürfe zur staatlich legitimierten „Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“, also dem Raubzug durch deutsche Museen der heute so genannten Klassischen Moderne. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet gewesen; ich hatte mich doch gerade nur durch Briefwechsel von einzelnen Künstlern oder Künstlergruppen gewühlt, die irgendwelche Nachlässe, Werke oder Kompositionen dem „verehrten Führer und Reichskanzler“ überlassen wollten, woraufhin die Kanzlei meist sehr höflich formulierte, dass Herr Hitler gerade echt was Besseres zu tun hätte. Allerdings nicht immer: Gerade die Münchner Künstler konnten sehr häufig auf persönliche Unterstützung oder finanzielle Hilfen hoffen. Auch deswegen wollte ich in diesen Beständen rumwühlen; die Sekundärliteratur war da gerne etwas blumig-vage geblieben, aber jetzt konnte ich einzelne Schreiben zitieren und Vorgänge nachvollziehen. Und so war ich im Kopf bei Bettelbriefen und Huldsbezeugungen und dann kamen auf dem Monitor plötzlich die ersten Unterlagen darüber, wie man am besten deutsche Kunst einzieht, aber die Ausländer nicht verprellt, die diesen Kram ja so mögen. Es fiel auch der Begriff „nicht unbeachtliche Vermögensobjekte“; den Deppen war durchaus klar, was sie da an den Wänden hatten, sie wollten es bloß nicht anschauen oder sich damit auseinandersetzen, dass es mehr als ihre beschissen eng gefasste Weltsicht gibt, sondern lieber banalste Genreszenen aus dem 19. Jahrhundert wieder aufleben lassen, weil’s da ja so schön war.
Zuerst war ich pissig und dann sehr nah am Wasser, was mich selbst überraschte. Ich weiß ja so gaaanz langsam, mit was ich mich da seit Jahren befasse, aber manchmal überwältigt es mich dann doch noch. Diese Engstirnigkeit, dieser Hass, dieser Wille zur Macht auf der einen und zur Vernichtung auf der anderen Seite. Die Sprache, das Bürokratische, die ständig neuen Regeln, die gefühlt willkürlich gemacht wurden, weil sie es konnten. Manchmal ist es zu viel und dann heult man kurz im Bundesarchiv. Weil es eben nicht nur um ein paar bunte Bilder ging. Ich bin nicht hart genug für die Kunstgeschichte.