Tagebuch Mittwoch, 26. Februar 2020 – Fundsachen
Archivtag, alles toll für mich, weniger toll für euch, weil ihr euch vermutlich weniger über Halbsätze in Briefen freuen könnt wie ich, die sich über jeden Fitzel freut, den sie zu bestimmten Sachverhalten findet.
So war ich gestern glücklich über einen kleinen Fund, für den ich 19 Aktenpakete hatte durchblättern müssen, aber im 20. war er dann. Ich kann jetzt ungefähr sagen, wieviel Protzen für sein erstes Werk zu den Reichsautobahnen an Geld bekommen hat, was für mich ein wichtiges Indiz dafür ist, dass er einen finanziellen Ansporn hatte, mit dem Thema weiterzumachen. Und zwar keinen ganz kleinen. Anhand der verzeichneten Einkünfte in Werkverzeichnis und Spruchkammerbogen (letzte Quelle ist natürlich mit Vorsicht zu genießen) kann ich seine Einkommensverhältnisse immerhin annähernd erkennen, und da war diese Summe nicht ganz unwichtig. Sie versteckte sich in einem Brief des Ausstellungsleiters Theo Lechner von 1934, der sich bei Eduard Schönleben, die rechte Hand von Fritz Todt, über einen Berliner Grafiker beschwerte, der seiner Meinung nach viel zu viel abrechnen wollte – im Gegensatz zu seinen braven Münchner Kollegen. „Meine Meinung von dem Berliner Geist und dem Berliner Tempo ist neu bestätigt worden.“ (BArch R/4601/1306)
Und wie gestern ist eben beim Aufschreiben fürs Blog was Nettes passiert: Ich guckte nach Herrn Lechner im Interweb und weiß nun, dass sein Nachlass in der TU München liegt. Ich mache gerade geistig einen Termin aus. Ich wusste bis eben nicht, dass da NOCH EINE STELLE ist, an der ich rumwühlen kann. Harhar.
Außerdem freute ich mich über einen kurzen Schriftwechsel über ein anzukaufendes Werk für die Autobahnraststätte in Mährisch Trübau (Moravská Třebová); darin fanden sich Vergleiche zu anderen Malern – wenn Ingenieure über Kunst reden -, berechtigtes Gemeckere über die zu hohen GDK-Preise und, für mich nebenbei interessant, die Bezeichung „Beauftragter für die Durchgangsautobahn“, was den Stellenwert des heutigen Tschechien im Gesamtraumplan der Nationalsozialisten recht deutlich macht.
Daran muss ich mich manchmal selbst erinnern, in welchen Dokumenten ich hier rumwühle. Das ist zwar alles spannend und für mich aufregend und es fühlt sich wie ein sinnvoller Tag an, den ich damit verbringe, aber manchmal muss ich mir selbst deutlich klarmachen, dass auch eine so schicke Ausstellung wie „Die Straße“ eben nicht nur darüber informieren wollte, wie toll deutsche Baumaschinen sind, sondern auch, wie ideologisch selbst Dinge wie die Darstellung einer Landstraße aufgeladen werden kann („Die Straße frei den braunen Bataillonen“). Gestern stieß ich auf einen Schriftwechsel, in dem jemand der Baubehörde einen Bildhauer empfahl, dessen Arbeit aber überhaupt nicht auf Zustimmung stieß. Da hieß es sinngemäß, dass diese Kunst nicht „deutsch“ genug aussehe und dass man den Mann vielleicht mal nach Russland empfehlen sollte. Und schon wird aus dem gespannten, gut gelaunten Archivlesen die Erinnerung an alles, was dieses Regime angerichtet hat.
Auch deswegen war ich, Achtung, Themawechsel, auch so auf Hunters pissig: weil es der Serie nicht gereicht hat, den Holocaust in seiner Grausamkeit darzustellen, nein, sie haben sich total unterhaltsame Gewalttaten ausgedacht, damit es noch fürchterlicher wird. (Habe mich auf sehr seltsame Weise verstanden gefühlt, weil die Gedenkstätte Auschwitz das ähnlich sieht.)
Jeden Abend beim letzten Händewaschen im Archiv denke ich naiverweise, dass es so schön wäre, den ganzen Nazidreck da draußen genauso abspülen zu können wie ich gerade den Staub der Dokumente, die ich stundenlang in den Händen hatte.