Tagebuch Freitag/Samstag, 6./7. März 2020 – Rausgekehrt und heimgekommen
Freitag früh radelte ich ins Hauptstaatsarchiv, wo ich laut Mail auf diverse Akten aus dem Haus der Deutschen Kunst hoffen konnte; die ebenfalls vorbestellten aus dem Kultusministerium erwartete ich erst am Dienstag. Es kam genau anders herum und mir wurden Akten von nach 1945 in die Hand gedrückt, was mir aber auch recht war, mir ist in Archiven ja immer alles recht. Ich wühlte mich durch den Künstlerbund Isar, in dem Protzen Mitglied war und der sich nun neu gründen wollte (den gibt’s, glaube ich, nicht mehr), den Berufsverband Bildender Künstler, in dessen Akten ich viel über Wünsche von Künstlern 1948 erfuhr (Kohlen, Gips, Eisen, Werkzeuge und bittschön endlich den Telefonanschluss!) sowie die Kameradschaft der Künstler Münchens, zu der sich 1938 zwangweise alle Künstlervereinigungen zusammenschließen mussten. Das war eher persönliche Neugier als diss-relevant und so vertiefte ich mich in diverse Schreiben, als plötzlich die Ansage kam: „Bitte zum Schluss kommen, wir schließen gleich.“ Und ich noch so, mich können die nicht meinen, ich bin ja erst seit fünf Minuten (aka drei Stunden) hier. Ich war allerdings doch gemeint, denn der Lesesaal schließt freitags um 12, was ich total vergessen hatte. So wurde ich fies aus meiner Arbeit gerissen und stand danach völlig hilflos-verloren vor der Tür, umklammerte wimmernd meinen Laptop und wusste gar nicht, wohin mit mir. (Darstellung fürs Blog dramatisiert.)
Im Kopf waren noch Historicum und eventuell Stabi, bei der ich aber ahnte, dass die vorbestellten Dinge noch nicht da waren, und aufs Historicum hatte ich mittags keine Lust, weil da vermutlich eh alle Tische noch von der Vormittagsschicht belegt waren.
Also fuhr ich nach Hause, warf Spinat in die Pfanne, gönnte mir einen Mittagswein und läutete das Wochenende ein.
Ich hatte die letzten beiden Tage doofe Rückenschmerzen gehabt, was zunächst den Griff zur Wärmflasche und dann den zur Zyklus-App erzeugte. 16 Tage? Hm. Vielleicht doch wirklich Rücken und nicht nur mies ausstrahlender Uterus? Ab Donnerstab abend wusste ich aber: Uterus. Nach zwei herrlichen Zyklen von je 80 Tagen jetzt dann eben einen kürzeren. Das nervte zwar, beruhigte mich aber wieder, denn bei Rücken bin ich recht schnell panisch, denn er ist so ziemlich der einzige Körperteil, auf den ich wirklich aufpasse. Sobald ich aber weiß, es sind nur die Tage, geht’s mir besser. Dementsprechend holte mich Freitag dann auch die ebenfalls übliche Matschigkeit ein, die ich morgens noch mit Kaffee und Dusche und Archivvorfreude bekämpft hatte, der ich aber nun weinselig nachgeben konnte, weswegen ich den Nachmittag so ziemlich komplett mit der Wärmflasche auf dem Sofa verdöste.
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Den Arbeitsnachmittag holte ich dann am Samstagvormittag nach, wo ich um fünf nach neun zur Öffnung der Bib im Historicum stand und mir ein paar Bücher an den Platz trug.
Wenn ich Punkt 9 dagewesen wäre, hätte ich vielleicht noch den Platz ganz vorne an der Fensterfront gekriegt, so saß ich drei Reihen dahinter und hatte ebenfalls einen schönen Ausblick und meine Ruhe.
Ich las viel über die direkte Nachkriegszeit und die Zeit bis zur Währungsreform. Mir fiel beim chronologischen Aufschreiben von Protzens Werken und den wenigen noch erhaltenen Einkunftsauskünften auf, dass ich schlicht nicht wusste, ob die ganzen schönen Reichsmärker, die er für seine Autobahnbilder bekommen hatte, überhaupt noch etwas wert waren und wenn ja, wieviel. Und zu welchem Kurs wurde eigentlich umgetauscht? Und durfte er alles umtauschen? Von den großen Fischen wie Hoffmann und Speer wusste ich, dass ihr Vermögen eingezogen worden war, bei meinem Maler war ich mir recht sicher, dass er ein kleiner Fisch war, aber belegen kann ich es, wie so oft, nicht.
In einem Buch blieb ich recht lange und fand diesen hervorragend formulierten Satz: „Wohl in kaum einem anderen Verwaltungsbereich standen die Amerikaner vor einem so deutlichen Dilemma zwischen Entnazifizierungszielen und den Zwängen einer raschen Krisenbewältigung wie in der Ernährungsbürokratie.“ (Quelle: Erker, Paul: „Ernährungskrise und Nachkriegsgesellschaft. Bauern und Arbeiterschaft in Bayern 1943–1953“, Stuttgart 1990, S. 38.) Ich habe nicht viel notiert, auch nicht fürs Blog, daher fasse ich aus dem Gedächnis zusammen: Lebensmittelkarten gab es seit 1938 (1939?), den Schwarzmarkt bereits seit 1942. Trotzdem verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung, was die Versorgung mit Lebensmitteln anging, nach dem Kriegsende weiter. Die amerikanische Militärregierung übernahm daher fast komplett die Organisationsstruktur des Reichsnährstands, entfernte wenige Beamte oder offensichtliche Parteikader, ließ die meisten aber gewähren, damit die Leute was zu beißen hatten. Sie erkannten recht früh, dass man von einer Demokratie eher überzeugt ist, wenn der Bauch voll ist; am „Hungerwinter“ 1947/1948 konnten sie aber auch nichts ändern, wobei der vornehmlich das Ruhrgebiet betraf. (Totaler geistiger Schlenker, aber: Im Hungerwinter hatten die Menschen so um die 1000 Kalorien an Nahrung zum Verbrauch. Nur so als Gedanke, wenn euch die Influencerinnen mal wieder erzählen, wie locker und gut gelaunt man bei einer 1000-Kalorien-Diät drauf ist. Knurr.)
Das war schön, mal wieder bei den Historikerinnen zu sitzen. Auch hier hatte ich nach getaner Arbeit das Gefühl, huch, das ging viel zu schnell, ich bin doch erst vor fünf Minuten gekommen. (Aka drei Stunden.)
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Geradelt, eingekauft, gelesen, Bürokram gemacht, zwei Folgen The Chef Show gesehen und mich a) über den Espresso einer Leserin gefreut, der seit gestern in meiner Mühle ist und b) über diesen Insta-Post.
Wird für zukünftige Bewerbungsschreiben vorgemerkt.
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Abends endlich mal wieder mit F. gemeinsam gegessen und einen schönen Blaufränkisch genossen. Die scharfen Peperoni waren dazu eher eine dusselige Idee, wie wir beide feststellten. Ich musste sie trotzdem zwanghaft essen, waren lecker.