Tagebuch Dienstag, 10. März 2020 – Ein Sandkasten voller Nazis
(Der Titel stammt von F.)
Gestern verbrachte ich den Großteil des Tages im Hauptstaatsarchiv, wo ich mich recht lange durch Akten von 1947 bis 1952 kämpfte. In dieser Zeit gab es zwei Ausgaben der Münchner Künstlergenossenschaft, ich erwähnte es bereits mal; eine davon wurde von Protzen mitbegründet, aber im Endeffekt bekam sein Gegenspieler Constantin Gerhardinger in einem Zivilprozess das Recht zugesprochen, sich als legitimer Nachfolger der 1868 gegründeten Organisation zu fühlen, die 1938 zwangsweise in der Kameradschaft der Künstler Münchens aufgegangen war. Dann aber doch nicht so richtig, denn das war die Begründung des Gerichts, wenn ich das Urteil richtig verstanden habe: Die Auflösung 1938 war nicht rechtens, deswegen war auch eine Neugründung nach 1945 hinfällig. Und weil Gerhardinger den Laden als Verein mit dem alten Namen hatte eintragen lassen, durfte er seinen Sandkasten behalten.
Was mich an der ganzen Chose so irre gemacht hat, war der ewigseitige Schriftverkehr zwischen Anwälten, Beteiligten, dem bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus sowie launige Pressemitteilungen von beiden Seiten, die jeweils die andere Gruppierung als den aber echt jetzt mal noch schlimmeren Nazihaufen bezeichneten. Beide der Herren haben auf den GDK ausgestellt, Gerhardinger hat lustigerweise weitaus mehr daran verdient als Protzen (99.000 RM im Vergleich zu ca. 30.000), aber er konnte in einem Flugblatt das Killerargument bringen, dass Protzen „im nationalsozialistischen Brockhaus-Lexikon als ‚Maler der Autostrassen‘ namentlich aufgeführt ist, während der Name unseres Präsidenten Gerhardinger in einem Lexikon des Dritten Reiches nicht erscheint.“ (BayHStA MK 51591: Flugblatt der MKG (Gerhardinger), 24.10.1952.) Das muss ich, ehrlich gesagt, nachprüfen. War für das Urteil auch egal, das fiel bereits im Januar 1952, aber die Herren mussten sich noch weiter kabbeln. Und während ich so im Archiv saß und zwei Meter neben mir eine Dame sich nicht mal die Mühe gab, in Armbeuge oder von mir aus auch Hand zu husten und mir so dauernd meine eigene Sterblichkeit vor Augen führte, las ich diesen Kindergarten nach und dachte, Jungs, damit habt ihr Jahre eures Lebens vergeudet und heute kennt euch kein Mensch mehr. (Total deep, ich weiß.)
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Beim Feierabendmachen an den Schließfächern den Doktorvater getroffen und ihn nach dem Kolloquium nächste Woche gefragt. Stand jetzt findet es statt, E-Mail kommt noch. Sollte allmählich mal mit meiner Powerpoint anfangen, um meinen Peers was Hübsches erzählen zu können.
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Zu genervt von Zeug gewesen, um anständig zu kochen, wurden Fertigpommes und ne Schüssel Salat. Die neue Folge „Better Call Saul“ genossen wie jede Folge dieser Serie. Vor allem das Auftauchen einer Figur in der letzten Woche hat mich sehr glücklich gemacht, von der konnte man in „Breaking Bad“ gar nicht so recht Abschied nehmen. (Ich hoffe, das ist jetzt echt nicht gespoilert.)
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Von Twitter gleichzeitig gut informiert und in noch mehr Panik versetzt worden. Ich mache im Prinzip das, was ich jede Grippesaison mache, nämlich mit Handschuhen im Bus stehen oder gleich Fahrrad zu fahren, aber das fühlt sich gerade als nicht ausreichend an. Und ausgerechnet im letzten Herbst habe ich natürlich die jährliche Grippe-Impfung verschnarcht, weil Papa, Job und Diss mich anderweitig im Kopf beschäftigt hatten. Fuck.