Tagebuch Freitag, 20. März 2020 – Mehllieferung
Keinen Handschlag an der Diss getan, nichts gelesen, nichts Kulturelles gehört oder gesehen. Levits Konzert verpasst, weil ich erneut bei „Project Runway“ versackt bin. Das lenkt gerade ganz hervorragend ab. Vor allem, weil ich gerade gnadenlos die ganzen alten Staffeln gucke, bei denen selbst ich Fashion-Noob sagen kann: „Das sieht aber schon arg altbacken aus.“
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Ein bisschen war ich vor der Tür, bevor Herr Söder eine Ausgangsbeschränkung für die nächsten zwei Wochen für ganz Bayern verkündete. Für mich hat sich nach der Ankündigung nichts geändert: Ich kann weiterhin einkaufen und woanders muss ich grad eh nicht hin, weil nichts von dem geöffnet ist, was ich brauche. Obwohl: Die Schließung der Baumärkte und Gartencenter hat mich jetzt doch etwas getroffen, weil ich mich darauf gefreut habe, demnächst wieder Blümchen auf dem Balkon anzupflanzen. Aber vermutlich ist es dafür eh noch zwei Wochen zu früh, und dann passt das wieder. Habe mir nach einem Telefonat vorgestern aber mal aus dem Supermarkt Samen für Salat und Tomaten mitgebracht.
Ich ging zum nächstgelegenen Briefkasten, um meinen Wahlzettel für die Stichwahl zum Münchner Oberbürgermeister einzuwerfen (ich gendere bewusst nicht, ich gehe von einem Bürgermeister aus). Wo ich schon mal vor der Tür war, dachte ich, guckste doch mal beim Lidl rein, da soll es ja angeblich noch Hefe geben, wie mir auf Twitter verraten worden war. Die Leute dort hielten fast alle brav Abstand bis auf ein Damendoppel, das sehr dicht beieinander und sehr langsam vor mir herschlich, bis ich einfach stehenblieb und es ziehen ließ, weil es mir zu doof war, dauernd meine Geschwindigkeit anzupassen. Hefe war bergeweise vorhanden, Mehl überhaupt nicht und leider auch keine Eier, die ich vorgestern beim Einkaufen vergessen hatte. Egal, ich hatte Hefe, was super ist, weil mein Sauerteigansatz ja anscheinend was wird und mir außerdem F. per DM berichtet hatte, dass er aus seinem Edeka drei Packungen 550er Mehl für mich mitgenommen hatte, yay!
Beim Lidl stand übrigens ein Wachmensch an den beiden geöffneten Kassen. Ich fand es etwas dusselig, von den drei Kassen, die theoretisch da wären, genau die zwei zu öffnen, die nebeneinander sind anstatt die beiden äußeren, aber okay. Alle hielten Abstand, und zwischen den Einkaufenden und der Kassiererin war eine hohe Plastikscheibe. Ein Zettel bat um Kartenzahlung, was ich brav erledigte, obwohl ich gefühlt 40 Euro in Münzen mit mir rumschleppte.
Wieder zuhause piepste mein Handy und zeigte mir ein Päckchen in der Packstation an. Vielen Dank an Gudrun, die mich mit Anna Seghers Transit überraschte. Das hat mich natürlich sehr gefreut, es hat mich aber auch daran erinnert, dass ich den Wunschzettel ändern musste. Der war so eingestellt, dass alles darauf in die Packstation kommt, weil ich ja tagsüber normalerweise zu Postaustragzeiten eher nicht zuhause bin bzw. einfach nicht gerne Päckchen fürs ganze Haus entgegennehme, wenn ich denn mal zuhause bin. Die Packstation ist (oder eher: war) für mich auch eine Gelegenheit, aus dem Haus raus zu müssen; in Zeiten, wo ich nur am Schreibtisch hocke, eine willkommene Abwechslung und eine Möglichkeit für einen Spaziergang. Das ändere ich jetzt, wobei ich den Wunschzettel einfach mal ganz auf privat statt auf öffentlich stelle (jetzt gerade kann ich ernsthaft Geld etwas besser brauchen, zugegebenermaßen). Aber nochmal: Vielen Dank, auch für die Widmung.
Auf dem Weg zur Packstation ist bei mir ein Netto, auch dort ging ich noch schnell hinein, um Eier zu kaufen. Ich habe nicht darauf geachtet, was hier gerade nicht oder besonders häufig vorrätig war. Ich gehe davon aus, dass sich das in den nächsten Tagen und Wochen alles wieder einspielen wird und dass wir dann alle erneut besinnungslos Mehl und Klopapier kaufen können. (Und Hefe!)
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Pizza zum Abendessen. Fenchelsalami, Zwiebeln, Gouda, weil ich natürlich nicht an Mozzarella gedacht hatte. Meine Methode, sehr spontan und nach momentaner Lust zu kochen, beißt sich noch etwas mit der jetzt angesagten Vorratshaltung.
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Gegen 20 Uhr kam F. vorbei. Ich habe in meinem Leben schon ein paar seltsame Dinge gemacht, aber in meiner eigenen Wohnung von meinem eigenen Lebensgefährten zwei Meter Abstand zu halten, ist schon ziemlich weit oben auf der Liste. Wir hatten uns seit Montag vor einer Woche nicht mehr persönlich gesehen und seitdem ein paar Möglichkeiten für Infektionen gehabt (einkaufen, Öffis fahren), und wenn ich gewusst hätte, was kommt, hätte ich ihn viel länger im Arm behalten. Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie wir uns verabschiedet haben. Ich glaube, er ist wie immer eine Station vor mir aus der U-Bahn gestiegen, und weil wir beide nicht so große Fans von üppigen Zuneigungsbezeugungen in der Öffentlichkeit sind, haben wir uns vermutlich bloß keusch zugewunken. Das werde ich in Zukunft ändern. Ich werde demnächst wild rumknutschen, sobald ich es wieder darf. So.
Gestern gab ich aber per Handy die Anweisung durch: „Bitte selbst reinlassen und gleich Hände waschen“, wo ich ihm normalerweise die Tür öffne und ihm erstmal um den Hals falle. Das tat er auch brav, während ich meterweise von ihm weg im Flur rumlungerte und aus der Entfernung darum bat, dass er sein mitgebrachtes Mehl auf dem Herd abstellt. Dann ging ich in die Bibliothek, er hielt Abstand und kam hinterher, er nahm auf dem Sessel Platz, ich zwei Meter weiter auf der Couch. Alles sehr viktorianisch.
Wir sprachen auch über die Ausgangsbeschränkungen und die Grundrechte, die wir gerade so locker abgeben. Dabei waren wir uns einig, dass Grundrechte auch Grundpflichten beinhalten; eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn sich alle an gewisse Spielregeln halten, gerade bei Dingen, bei denen es um Leben und Tod geht, und das geht es hier nun einmal. Ich frage mich eh, wie man noch zusammen im (geschlossenen) Biergarten sitzen kann, aber gut. Wir sind alle irgendwo Idioten. Nur jetzt gerade ist Idiotie nicht nur nervig, sondern tödlich. Also bleibt gefälligst zuhause – oder geht nur alleine vor die Tür, was wir ja glücklicherweise noch dürfen. Ich gebe es weiterhin sehr ungern zu, aber ich glaube, Herr Söder bzw. die bayerische Regierung hat die richtigen Maßnahmen getroffen. Ich habe mir vorgenommen, bis nächsten Freitag nicht wieder vor die Tür zu gehen, denn ich kann jetzt jeden Tag Brot und Pfannkuchen machen. Und Franzbrötchen! Alles wird gut.