Tagebuch Donnerstag, 26. März 2020 – Eichhörnchenmodus
Vom Wecker geweckt worden, aufgestanden, Flat White gemacht yadayadayada, the usual. Aber das ist okay, the usual ist gerade sehr okay, weil kaum noch was usual ist. An den Schreibtisch gesetzt und an der Diss rumkorrigiert. Dabei relativ schnell gemerkt, dass mein Kopf im Eichhörnchenmodus ist: Es liest einen Satz, denkt sich was Schlaues, dann will es auf Twitter rumlungern, dann auf der digitalen Farm, dann muss ich mir dringend Tee kochen, dann lese ich wieder einen Satz, dann höre ich die 5. von Beethoven because why not und plötzlich ist es Mittag und ich habe nichts geschafft. Egal. Mit meinem Eichhörnchen aufs Sofa gegangen und den Tag verdaddelt, weil egal halt. Ich ahne, dass die Bibliotheken am 20. April nicht wieder öffnen und selbst wenn, würde ich mich gerade nicht so recht in sie reintrauen, weil mein Gehirn und ich mitten in der Pandemie wohnen, wenn ich mir die bekannten – bekannten! – Infiziertenfälle in München so anschaue. (Kann man die Tabelle direkt verlinken? Und: Ich hätte doch nach Augsburg ziehen sollen.)
Das war dann auch die einzige Erkenntnis, die ich gestern wirklich hatte: Ich kann gerade Leute verstehen, denen ihr Fitnessstudio fehlt, ihr Buchclub, ihre Skatrunde, der Fußballstammtisch. Wenn ich irgendwas gelernt habe in den letzten Jahren, dann, dass ich den miesen Mittwoch hätte verhindern können, indem ich ins ZI oder in eine Bibliothek fahre. Denn: Wenn ich nicht weiß, wohin mit mir, ist ein Lesesaal immer der Happy Place. Oder das Bällebad, wie ich gerne sage. Und genau da komme ich gerade nicht hin. Wo anderen Leuten vielleicht die Menschen fehlen, die Partymeile oder das Schwimmbad, fehlt mir gerade ein großer Raum mit vielen Büchern, in dem alle die Klappe halten und in dem ich nichts machen kann außer auch die Klappe zu halten und konzentriert zu lesen. Ein Paradies. Und genau das ist mir gerade versperrt, weswegen ich mit Eichhörnchenschädel zuhause sitze und irre werde.
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Ein paar Links, damit ich nicht ständig selbst danach googeln muss: Wie bastelt man sich eine Atemschutzmaske, mit der man mal kurz einkaufen gehen kann, aus einem Stück Stoff, zwei Gummis und einem Tacker (Thread). Und ja, ein Stück altes T-Shirt ist besser als nichts.
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Am Geschwister-Scholl-Institut der LMU fand gestern die erste Online-Disputatio erfolgreich statt, Glückwunsch. Die Historikerin Karoline Döring schreibt einen Thread über digitale Lehre an Universitäten und ihre Schwierigkeiten. Aus Studierendensicht kann ich gerade den Teil über Eigenmotivation sehr abnicken.
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Über 15 Mio. Abrufe: Der gewaltige Erfolg des “Coronavirus Update” mit Professor Christian Drosten. Wie ist der Podcast entstanden, wie wird er heute gemacht? Ich las gestern auf Twitter die Anmerkung, dass es ziemlich blöd ist, dass der Journalismus gerade seinen Job als Informationsvermittler nicht gebacken kriegt bzw. dass man jetzt immer ne halbe Vorlesung anhören muss, um informiert zu sein. Ganz ehrlich: Wenn ich mir das Niveau der durchschnittlichen Tageszeitung oder den hektischen Online-Redaktionen anschaue, wenn es um derart lebenswichtige und sich täglich ändernde Informationen wie in der derzeitigen Pandemie geht, höre ich lieber dem oder der Experten*in selbst zu, wenn er oder sie sich schon die Zeit dafür nimmt.
Mit Niveau meine ich dabei nicht, dass in Redaktionen nur faule Trottel sitzen, aber sehr wahrscheinlich hat kaum jemand von den dort Arbeitenden die Ahnung, die Herr Drosten hat. Ich bin seit Jahren, seit ich mal angefangen habe, über das Feld nachzudenken, von jedem Gesundheitsartikel angepisst, der eine winzige These aus einer winzigen Studie als bahnbrechende Headline verkauft: ROTWEIN HEILT KREBS. KAFFEE GEGEN ÜBERGEWICHT. Ist klar. So funktionieren Überschriften, weiß ich, so funktioniert Journalismus im Kapitalismus, weiß ich, aber gerade jetzt würde ich auf diese Ebene der angeblichen Information verzichten wollen. Case in point: Sein „Stern“-Interview, vom dem sich Drosten per Tweet in Teilen distanzierte.
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Aus Spaß mal den Zufallsartikel in der Wikipedia angeklickt (Eichhörnchengehirn halt). Ich habe jetzt einen Namen für meinen Sauerteig im Kühlschrank. Willkommen in der Maxvorstadt, Humberta.