Tagebuch Freitag, 27. März 2020 – 1887 bis 1929

Eindeutig ein besserer Tag als die letzten. Ich glaube, es wurde besser, nachdem ich Mittwoch nacht im Bett diesen Cartoon von Liz Climo gesehen hatte, der ich auf Instagram und Twitter folge.

Ich war Freitag vergangener Woche einkaufen und hatte mir vorgenommen, eine Woche in der Wohnung zu bleiben. Bis auf den kleinen Lagerkollerspaziergang habe ich das auch brav durchgehalten. Nun stand also Einkaufen auf dem Plan. Ich hätte es vermutlich noch ein paar Tage ausgehalten, aber meine Himbeermarmelade ging sehr zur Neige, und ich bin nicht entspannt, wenn ich keine Himbeermarmelade im Haus habe.

Ich setzte mir meine Maske auf und ging in den Edeka nebenan, in dem so gut wie niemand unterwegs war und von denen trug niemand eine Maske. Pfandflaschen abgegeben, als ob es ein normaler Einkauf wäre, Dinge brav auf dem Einkaufszettel abgearbeitet. Keine Hefe, kein Mehl (brauchte ich nicht, fand ich aber interessant, dass es immer noch nicht wieder da war – oder schon wieder weg), keine Flüssigseife bis auf eine arme kleine Sprotzflasche mit schlimmem Duft ganz hinten unten im Regal, wo keiner rankommt. Brauchte ich auch nicht. Ansonsten alles gekriegt, schnell bezahlt – aus Gewohnheit einen Schein gezückt anstatt die Karte, der auch angenommen wurde von der Kassiererin mit Handschuhen – und schnell wieder nach Hause. Ich behaupte, ich atme neuerdings flacher, wenn ich draußen vor der Tür bin, weil ich allmählich und vermutlich sehr übertrieben Angst vor Luft habe, die nicht in meiner eigenen Wohnung ist.

Den Rest des Tages habe ich am Schreibtisch verbracht und das auch endlich mal wieder konzentriert und motiviert. Die Einleitung das dritte Mal Korrektur gelesen und jetzt erstmal für so okay befunden, dass ich sie ein paar Tage in Ruhe lasse. Dann das erste Kapitel korrigiert, das die Jahre 1887 bis 1925 umfasst, also Schul- und Ausbildungszeit meines Malers, Zivilinternierung auf Korsika während des Ersten Weltkriegs, Rückkehr nach Deutschland, Studium an der Akademie in München, Heirat, erste Ausstellungen, erste Verkäufe. Das hatte ich schon einmal Korrektur gelesen, weil es als eines der ersten fertig gewesen war, ich kürzte ein bisschen, war aber sonst zufrieden.

Anschließend begann ich das dritte Kapitel, das die Jahre 1926 bis Ende 1933 umfasst, da bin ich bis Ende 1929 gekommen. Jetzt geht die Karriere des Herrn nämlich allmählich los, es gibt mehr Ausstellungen, über die ich schreiben konnte und das auch getan habe, die Werke werden spannender, das heißt, ich muss die stilistische und motivische Entwicklung nachzeichnen. Auch das Engagement in verschiedenen Münchner Künstlervereinigungen habe ich ganz hübsch aufbereitet, wobei ich mich da auf die zwei größten, die Münchner Künstlergenossenschaft sowie den (Feldgrauen) Künstlerbund konzentrierte. Als ich 1929 abschloss, war es 19.30 Uhr und ich machte Feierabend.

Ich konnte nicht so sehr viel kürzen, weil das alles neu war, was ich in Archiven und Nachlässen ausgebuddelt hatte und ich es daher für sinnvoll halte, es zu veröffentlichen. Meine Zweitprüferin wird mich hassen; sie hatte mir die Richtlinie für ihre Doktorand*innen „220 Seiten plusminus zehn Prozent“ mit auf den Weg gegeben. Wie erwähnt starte ich bei 337, und da sind noch nicht mal alle Archive drin, in ein paar muss ich ja noch, irgendwann.

Ich möchte aber erwähnen, dass mein sogenanntes Reste-Dokument, also das, wo ich schon geschriebene Absätze aufhebe, die ich doch nicht in der Diss haben möchte, bereits 37 Seiten hat. Es ist nicht so, dass ich besinnungslos alles aufschreibe! Es wird aber anscheinend doch schwieriger zu kürzen als ich dachte, denn jetzt kommt ja erst die für meine Forschungsfrage wichtige Zeit.

Aus kleiner Rausschmeißer für diesen Absatz: Ich nutze die Wikipedia gern, um Geburts- und Sterbedaten für die ganzen Maler und sehr wenigen Malerinnen zu notieren, die in meiner Diss auftauchen. Dabei überfliege ich natürlich die Einträge und muss immer wieder feststellen, dass dort sehr gerne die Jahre zwischen 1933 und 1945 fehlen oder irgendwie in einem Halbsatz erwähnt werden, weil schlicht der Forschungsstand fehlt. Damit habe ich eine Aufgabe, wenn die Diss abgegeben ist. Ha!

PS: Wenn die obskuren Herrschaften nicht in der Wiki sind, sind sie meist in der Deutschen Biographie. Manchmal versuche ich noch die Nachlassdatenbank, um sie zu finden, aber die ist eher unerfolgreich. AKL, klar, und natürlich die Suchmaske vom Deutschen Kunstarchiv. Manche finde ich aber schlicht nirgends, was mir immerhin ihren Stellenwert seit 1945 anzeigt.

Mitten in meiner Schreibtischarbeit bekam ich eine WhatsApp meiner Nachbarin, der ein paar Gramm Mehl für eine Bechamel fehlten, ob ich ihr was geben könnte? Einfach vor die Tür stellen. Ich wog das Mehl ab, gab es in ein Glasschälchen und stellte es einen Meter vor meine Wohnung, in die ich mich mit geöffneter Tür zurückzog, während meine Nachbarin todesmutig und mit gebührendem Abstand von mir das Schälchen mit bloßen Händen anfasste. Sie platzierte ein Glas Marmelade als Dankeschön vor meiner Tür, dem ich mich erst näherte, als sie schon die halbe Treppe wieder nach oben gegangen war und das ich nur mit einem Küchentuch aufhob und transportiere und das Tuch kam dann gleich in die Wäsche. Danach wurden die Hände gewaschen. Vermutlich ist das ebenso bescheuert wie Angst vor Luft zu haben, aber ich bin jetzt gerade übervorsichtig. Ich hoffe, wir lachen in einem halben Jahr darüber, wie umständlich wir uns angestellt haben, jetzt wo alle wieder Jobs und Geld haben und geimpft sind und Kranken- und Altenpflegende vernünftig bezahlt werden. (I have a dream.)

Spargel zum Abendessen, die Hollandaise ist mir geronnen, aber Butter tut’s als Sauce ja auch, danach noch zwei Serienfolgen, und dann war ich platt und ging mit Buch ins Bett.

Apropos Buch: Bevor ich mich um 10 Uhr morgens in den Supermarkt getraut hatte, las ich endlich Late in the Day von Tessa Hadley aus, das mir sehr gut gefallen hatte. Es geht grob um zwei Ehepaare in vermutlich meinem Alter und das fand ich sehr schön zu lesen. Recht schlichte Sprache, kein Schnickschnack, genau meins. Von der Dame möchte ich noch mehr lesen. Aber erstmal arbeite ich den Stapel auf Nachttisch und Bibliotheksregal ab, dann erst gibt’s was Neues für das iPad.