Tagebuch Mittwoch, 8. April 2020 – Rumschiebetextblock
Entspannt aufgewacht, geduscht. Dann nicht Flat White gemacht und rumgebloggt, sondern die Waschmaschine angeworfen und danach in den Supermarkt gegangen, um den Scheiß hinter mich zu bringen. Angenehm leer, ich habe nicht alles bekommen, aber egal, ich jage gerade keine Sonderangebote oder Spezialitäten, ich will einfach nur so schnell wie möglich wieder nach Hause.
Den üblichen Händewaschreigen hinter mich gebracht (waschen, Einkäufe verräumen, nochmal waschen), wobei gestern erstmalig der Panikpunkt „Handy desinfizieren“ dazukam. Ich erinnere mich nämlich derzeit draußen nicht nur dauernd daran, mir gefälligst nicht im Gesicht rumzuwuscheln, sondern auch, das Handy in der Hosentasche zu lassen, bis ich wieder zuhause bin. Denn daran patsche ich ja auch mit meinen ungewaschenen Händen rum und hole mir ZEUG in die Wohnung. Soweit ich weiß, ist bis heute keine Schmierinfektion nachgewiesen, das sage ich mir jedenfalls dauernd, aber trotzdem wurde gestern eins meiner sehr sparsam genutzten Desinfektionstücher eingesetzt, nachdem ich während der Kassenwarteschlange aus Gewohnheit Twitter checken wollte.
Danach begann der Rest des größtenteils guten Tags. Erstmal Flat White zubereitet (Espresso geht zur Neige) und ihn dann auf den Balkon getragen, wo ich den ersten Balkonkaffee des Jahres genoss. Das hat sich für eine Millisekunde normal angefühlt – ich genoss die Ruhe, den Blick ins Grüne (aka begrünter, weiter Innenhof) und stellte fest, dass meine Nachbarn gegenüber, deren Balkon an eine Garage grenzt, deren Dach sie im letzten Jahr mit Blumenkübeln vollgestellt haben, in diesem Jahr auch noch einen Liegestuhl auf dem Dach platziert haben. Nice. Dann erinnerte ich mich aber daran, wieso das gerade an einem Mittwochmorgen, wo normalerweise die Schule nebenan brummt und summt, so ruhig ist und war wieder traurig.
—
Traurigkeit vertrieben durch Diss-Korrekturen. Das war mir am Dienstag abend noch eingefallen: a) Speers total ausgedachte Ruinenwerttheorie noch an Stelle x einfügen, und b) diesen blöden Textblock mit den anderen Autobahnmalern, die ich im Text dauernd erwähne, dort aber nie Zeit habe, sie ausführlich zu beschreiben, mal wieder an einer anderen Stelle der Diss unterzubringen. Den Block schiebe ich durch die Kapitel, seit ich ihn grob skizziert habe, und immer wenn ich ihn verschoben habe, dachte ich, so, das passt jetzt, da bleibst du jetzt, und dann dauerte es vier Wochen, bis ich dachte, nee, du musst doch woanders hin. Mal sehen, wie lange er da bleibt, wo er jetzt ist. Ich ahne, dass ich ihn irgendwann lösche. Yay, 15 Seiten weniger. Aber die 15 Seiten habe ich gestern erstmals vernünftig verfasst und korrigiert, soweit das ohne Bücher halt gerade geht. (Nicht so gut.) Den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, Tee getrunken, gutes Tagwerk.
Außerdem: Supermarkt-Ranunkeln sind besser als gar keine Ranunkeln.
—
Um halb drei konnte ich mein Magenknurren nicht mehr ignorieren und machte Mittag. Seit der letzten Kitchen-Impossible-Folge hatte ich Schmacht auf Schnitzel, also suchte ich im verdienstvollen Lecker-Blog, das die dort gekochten Rezepte verbloggt, nach den Tipps fürs Salatdressing. Den Rest kriege ich auch so hin, aber das Dressing wollte ich mir doch mal anschauen. Lustigerweise mache ich meinen normalen Kartoffelsalat nach einem Rezept von Mälzer.
Ich habe mich nicht ganz ans Rezept gehalten, ich wollte keine saure Sahne einkaufen, mein blöder Edeka hatte keine Radieschen und die Rinderbrühe kam aus dem Glas, aber ansonsten habe ich das ganz gut nachbauen können. Der Salat war super, die irre ballonartige Panierung hat bei mir trotz bravem kreisförmigen Schwenken der Pfanne null funktioniert, war aber egal, hat großartig geschmeckt. Was soll beim Schnitzel auch nicht großartig schmecken.
—
Abends noch mit F. per Facetime gesprochen und wieder traurig geworden. Ich persönlich kann die Quarantäne besser ertragen, wenn ich alleine vor mich hinpuschele, denn das mache ich ja eh gern, und meistens fühlt sich das halbwegs normal an. Sobald ich F. sehe, erinnere ich mich aber wieder daran, dass ich ihn gerade nicht umarmen kann und dann fallen mir auch die Bibliotheken und Archive ein, in denen ich mich sonst gut von Traurigkeit ablenken kann, und dann fällt mir ein, dass ich gerade auch nicht gerne spazierengehe, was manchmal hilft, weil ich gerade Angst vor Menschen habe. Das war dann eher ein doofer Tagesabschluss.
Wir sprachen auch über die Länge der Ausgangsbeschränkungen, wie lange wir das noch aushielten und wie sehr wir uns nach dem Impfstoff sehnten, der ja angeblich so im Frühjahr 2021 eventuell da sein könnte. Dabei fiel uns auf, dass wir das nie anzweifelten – also dass es in nicht so irre ferner Zukunft einen Impfstoff gibt und die Krankheit damit bekämpft werden kann. Ein ziemlich großer Ritterschlag für die Forschung, wie mir im Nachhinein auffiel. *pieps* Please forsch faster. *pieps* Will keine Angst mehr vor Menschen haben.
—
Ach, und wenn ihr schon dabei seid: Was Wirksames gegen Heuschnuppn wär auch super. Verdammte Pollen. Als ob unsere Lungen nicht gerade genug zu tun hätten. *schneuz*
—
Fazit aus dem Text: Wenn die Museen wieder geöffnet sind, werden alle Kunstwerke für uns anders aussehen, weil wir uns verändert haben. Das unterschreibe ich sofort. Simple Erkenntnis aus Studium und Fehlfarben-Podcast: Wie wir ein Kunstwerk erleben, liegt nicht an Bildung oder Spezialkenntnissen, sondern daran, wer wir sind und was wir über die Welt wissen, die plötzlich mit diesem Werk konfrontiert wird.
Ich stimme dem Artikel allerdings nicht in seinem Urteil über zeitgenössische Kunst zu, und ob die vielen Toten der Spanischen Grippe wirklich keinerlei kulturelle Nachwirkungen hatten, müsste ich etwas genauer recherchieren.
„Why does the art of what we term the Old Masters have so much more soulful heft than that of most moderns and nearly all of our contemporaries? (I place the cutoff between the murderous scourges of war that were witnessed by Francisco Goya and those that Édouard Manet, say, read about in newspapers.) I think the reason is a routine consciousness of mortality. Pandemic diseases and innumerable other causes of early death haunted day-to-day life, even for those creators who were committed to entertainment. Consider the heaps of bodies that accumulate in Shakespeare’s tragedies: catharses of universal fear. The persistence of religion in art that was increasingly given to secular motives—Bible stories alternate with spiritually charged themes of Greek and Roman mythology—bespeaks this preoccupation. Deaths of children were a perpetual bane. Paintings of the Madonna and Child, most grippingly those by Giovanni Bellini, secrete Mary’s foreknowledge of her son’s terrible fate. The idea that God assumed flesh, suffered, and died was a stubborn consolation—Mary’s to know and ours to take on faith or, if we’re atheists, at least to marvel at as mythic poetry. […]
Here’s a prediction of our experience when we are again free to wander museums: Everything in them will be other than what we remember. The objects won’t have altered, but we will have, in some ratio of good and ill. The casualties of the coronavirus will accompany us spectrally. Until, inevitably, we begin to forget, for a while we will have been reminded of our oneness throughout the world and across time with all the living and the dead. The works await us as expressions of individuals and of entire cultures that have been—and vividly remain—light-years ahead of what passes for our understanding. Things that are better than other things, they may even induce us to consider, however briefly, becoming a bit better, too.“