Tagebuch Montag, 25. Mai 2020 – Gröner, mit K

Viel zu früh wach gewesen, die Aufregung! Endlich wieder ins große Hauptstaatsarchiv, für das ich letzte Woche einen Platz im Lesesaal beantragt hatte und nun auf fünf Akten wartete. In dreien wollte ich schlicht etwas nachschlagen, was mir in meinen eigenen Fußnoten als irgendwie halbgarer Beleg (aka „mies formuliert“) aufgefallen war, zwei waren neu. In denen fand ich auch ein paar Informationen, die ich an die Diss anlegen konnte, aber die anderen Akten, die ich haben wollte, lagen nicht für mich am Platz. Das ist neu seit der Öffnung: Man holt sich den Berg Papier nicht mehr an der Ausgabe, sondern bekommt per Mail einen Platz im Lesesaal zugewiesen für einen bestimmten Zeitraum (bei mir 8.30 bis 12 Uhr), und an diesem Platz liegt dann schon alles. Ich wunderte mich kurz, dass eben nicht alles da war, arbeite durch, was da war und fragte dann, brav hinter der am Boden aufgeklebten gelben Schwelle, den Archivar, der im Schwellenbereich keine Plastikscheibe vor sich hatte, ob ich noch auf die Akten vom Haus der Deutschen Kunst hoffen könnte, die noch fehlten. Er guckte nochmal im Regal nach, erinnerte mich daran, dass die Akten aus der Abteilung V gerne mal etwas länger bräuchten, die kämen vermutlich noch, ich hätte ja auch noch Zeit.

So setzte ich mich, weiterhin mit Mundschutz, den man hier die ganze Zeit tragen muss, auch wenn man bewegungslos am eigenen Platz sitzt, an einen Anhang für die Diss, an dem sich seit Tagen bastelte und fuhr außerdem fort, das komplette Dokument großflächig umzubauen. Damit kam ich gut voran, aber so gegen 11.30 Uhr dachte ich, fragste vielleicht doch nochmal nach. (Normalerweise kommen die Nachzügler so gegen 10, 10.30 Uhr.) Der Archivar hatte keine Neuigkeiten, meinte aber, er riefe da mal an. Das tat er, und jetzt weiß ich auch, warum man hinter der gelben Schwelle stehen muss und da keine Scheibe vor einem ist: Hinter der Scheibe versteht man die Leute kaum noch, vor allem mit Mundschutz.

Ich ging wieder an den Platz und tippte bis kurz vor 12, denn das war ja eigentlich mein Endzeitpunkt, als der Archivar neben mir stand und mir die zwei fehlenden Akten gab: Jemand hatte meinen Nachnamen mit K geschrieben, die Akten wurden dort einsortiert und deswegen hatte sie bis eben niemand gefunden. Netterweise durfte ich sitzenbleiben – jedenfalls theoretisch. Ich wurde an einen anderen Tisch gelotst, der anscheinend ab 13 Uhr nicht vergeben war; meiner war es, der wurde nun desinfiziert, um mich herum wurde auch geputzt, aber ein paar Menschlein blieben mit mir sitzen. Erst zuhause sah ich auf der Website, dass diese Einschränkungen (nur bis 12, dann wieder ab 13 Uhr) anscheinend seit gestern aufgehoben waren. Ich freute mich trotzdem, dass ich nicht vertrieben wurde, schlug nach, was ich nachschlagen wollte und war um 12.30 Uhr fertig. Und durch die Zwangspause war ich auch mit Anhang und Umbau sehr gut vorangekommen. Corona und mein irre komplizierter Nachname sorgen dafür, dass ich verdammt nochmal meinen Text bearbeite und nicht noch mehr Zeug anlege, was ich ja gerne mache, wenn ich in Archiven sitze.

Den seit zwei Tagen in meiner Küche hängenden Geruch von thailändischer Krabbenpaste mit Bratkartoffeln in Butter vertrieben.

Heute beim Newsletter der Washington Post den Begriff „Jakarta Method“ gelernt. Hier der Newsletter, vermutlich hinter der Paywall, hier der Verfasser eines Buchs zum Thema, vermutlich nicht hinter der Paywall. Es geht um die von den USA gebilligten Massaker in Indonesien 1965/66, von denen ich bisher nichts wusste.

Erbfeindschaft – ein Klischee

Hedwig Richter rezensiert in der SZ das Buch Verfeindung und Verflechtung. Deutschland und Frankreich 1870–1918 von Mareike König und Élise Julien. Gleich mal auf die Leihliste setzen.

„Dabei bietet das Buch drei grundsätzliche Einsichten. Zunächst zeigt es einmal mehr, dass das Kaiserreich nicht als Vorgeschichte des Nationalsozialismus taugt. Eine Historiografie, die überall schon den Faschismus dräuen sieht, wird weder der Vielfalt der Gesellschaft in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg gerecht noch der Komplexität der NS-Geschichte. Die Autorinnen zeigen etwa, wie schwierig es ist, ein Phänomen wie den Antisemitismus zu vergleichen. Bei der genauen Durchsicht der Forschung kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich der Antisemitismus in beide Gesellschaften tief hineingefressen hatte.

Zweitens zeigt der Text die Unzulänglichkeit und auch die Eitelkeiten rein national orientierter Historiografie. Ein beachtlich großer Teil der Entwicklungen hatte weit weniger mit dem nationalen Befinden zu tun, als man – gefangen in nationalen Denkmustern – gemeinhin vermutet. […]

Und doch offenbart die transnationale Geschichte zugleich, wie wichtig Nation als analytische Bezugsgröße ist – trotz aller parallelen Entwicklungen. […] Die vergleichende nationale Geschichte kann offenlegen, woher die Denkmuster kommen – dass sie konstruiert und prinzipiell überwindbar sind. So sind viele Französinnen und Franzosen, Gelbwesten und streikende Bauern von der fixen Idee beherrscht, zur Revolution geboren zu sein und ihren Regierungen mit Verachtung begegnen zu müssen […]. In Deutschland wiederum beklagen momentan während der Corona-Pandemie viele der Einschränkungsgegner den deutschen Untertanengeist, der gar nicht anders könne, als zu gehorchen und sich nach Merkels Willen die Hände zu waschen.“