Tagebuch Montag, 14. September 2020 – Lesesaal und Entenhack (Überschriften, die sonst nirgends durchgehen)

Kurz vor Schluss lernte ich noch einen neuen Ort kennen, wo Bücher für mich liegen: den Lesesaal Altes Buch in der Unibibliothek. Die Dissertation der Dame, deren Name auf dem Foto meiner Oma von 1935 stand, durfte ich natürlich nicht nach Hause entleihen, sondern musste sie vor Ort einsehen. War okay, denn der winzige Lesesaal mit nur noch vier Plätzen (von sonst 16, schätze ich) war deutlich angenehmer zum Arbeiten als der große Uni-Bib-Lesesaal, den ich als einzigen nicht wirklich vermissen werde. Am Platz lagen schon die Schaumstoffkeile und die Bleischnur für mich bereit, damit ich das dicke Buch nicht ganz aufschlagen musste und etwas zum Seitenfesthalten hatte.

Der Titel der Dissertation von 1940 sagt schon alles: „Das Lichtbild in Aufklärung und Propaganda der Deutschen Arbeitsfront. Ein Beispiel für die Verwendung des Lichtbildes in der nationalsozialistischen Werbung“. Die Autorin setzte sich nicht ernsthaft kritisch mit dem Foto als Medium auseinander, was ich aber auch nicht erwartet hatte; stattdessen verfasste sie einen 300 Seiten langen Ratgeber, wie man Fotografie als Werbemittel einsetzen kann, um der NS-Ideologie Verbreitung bis in jeden kleinen Betrieb zu verschaffen. Im Anhang waren Ausschnitte aus einschlägigen Zeitungen eingeklebt (Arbeitertum, Der Angriff, Der Aufbau etc.) – und einige Originalfotos, weswegen ich inzwischen davon ausgehe, dass die Dame die Fotografin war. Sie kam, laut Diss-Titelblatt, auch aus demselben Ort wie meine Großmutter. Ich werde spaßeshalber mal ein paar Jahrgänge der Zeitschriften durchblättern – vielleicht taucht sie da als Fotografin auf, denn leider nannte sie in der Diss nie die Namen der Fotograf:innen der Bilder.

Ich fand neben einigen Zitaten, die ich für meinen Abstract brauche, auch noch ein paar Dinge zu den Autobahnen, das schadet ja nie. Der letzte Satz der Diss nach dem Lebenslauf machte dann wieder mal schlechte Laune, aber was an diesem Thema macht keine schlechte Laune: „Zur Vorbereitung der schriftlichen Arbeit und der mündlichen Prüfung, die am 14. März 1940 stattfand, nahm ich keinerlei Dienste eines jüdischen Repetitors in Anspruch.“

Bei einem Zitat zum Thema Abbildung von Frauen bei der Arbeit musste ich an die heutige Insta-Ästhetik denken bzw. die Tatsache, dass soziale Medien traditionelle Geschlechterbilder eher verstärken – Frauen posten eher Inneneinrichtung, Beautykram und Nähzeug, Jungs eher … keine Ahnung, ich folge kaum Kerlen, die nicht auch Essen posten und kriege das nur am Rande bei Infoluencer mit. Jedenfalls: „Die Motive werden so gewählt, dass sie weniger die technische Seite der hausfraulichen Betätigung herausstellen als vielmehr die gefühlsmässige, weil sie wirksamer ist. Die Freude am ästhetisch schönen Darstellungsgegenstand, am „Lebendigen“, an den Gesichtern der dargestellten Personen, am fröhlich-gemütlichen Beisammensein im Nähkurs oder am Kochtopf muss durch das Bild in der Frau geweckt werden.“ (S. 118) Generell wurde oft betont, dass Fotos, die sich an Frauen richten, bitteschön das Gefühl anzusprechen hätten – also noch eine Schippe mehr als eh schon: „Bestimmend für die Propaganda ist ihre Allgemeinverständlichkeit; denn ihre Aufgabe ist es, auch den letzten Volksgenossen zu erfassen. Sie darf deshalb nicht in gelehrte Abhandlungen ausarten. Sie soll sich an das breite Volk nach grossen, allgemeinverständlichen Richtlinien wenden. Der Propagandist muss immer bedenken, dass das Volk am stärksten und wirksamsten gefühlsmässig ergriffen wird. Die Propagandamitttel müssen also in erster Linie auf Gefühlswirkung abgestimmt sein. Hinter diesem volksverbindenden Element hat das Wissenmässige in ihnen zurückzutreten.“ (S. 10) Bitte schlagen Sie selbst einen geistigen Bogen zu den ganzen AfD-Posts auf Facebook.

Ich hatte im Lesesaal nur drei Stunden Zeit, die haben aber gereicht, um das Werk einmal durch- bzw. teilweise arg querzulesen. Nach Hause geradelt, Sport gemacht und erneut erstaunt festgestellt, wieviel Wasser ich nach einer lustigen Cardio-Einheit so wegtrinken kann.

Dann trieb es mich an den Herd, denn allmählich war ich hungrig. Es gab erneut ein Rezept aus meinem neuen Thai-Kochbuch, nämlich den anscheinend klassischen, ich habe ja keine Ahnung, Salat mit Entenhack (Larb Pet, Laab Pped, tausend Schreibweisen beim Googeln gefunden). Ich trennte die Haut vom Fleisch, um daraus knusprige Nuggets zu braten; im übriggebliebenen Entenfett werde ich heute vermutlich ein paar Kartoffeln schwenken. Dann bereitete ich die üblichen Zutaten vor: Korianderblättchen zupfen, Minze schneiden, Zitronengras und Schalotten in feine Ringe verwandeln, Frühlingszwiebeln in gröbere, ein bisschen Galangal reiben, drei Chilis zerkleinern, siebzehnmal Hände waschen. Außerdem toastete ich ein paar Esslöffel Jasminreis, um ihn danach mit zwei getrockneten Thai-Limettenblättern zu Pulver zu verarbeiteten. Mein nächster Kaffee schmeckt jetzt wahrscheinlich etwas nach Nuss und Zitrone, aber für derartige Noten gebe ich ja sonst sogar Geld aus.

Und schließlich musste ich die Entenbrust noch irgendwie zu Hackfleisch verwandeln. Ich begann mit dem Messer, bis mir einfiel, dass ich mir neulich aus der alten Heimat doch ein Werkzeug meiner Omi mitgebracht hatte. Und das wurde dann sehr zufrieden benutzt. Wenn das mit der Wissenschaft nicht klappt, gehe ich vielleicht doch in eine Metzgerei.

Das Endprodukt habe ich dann äußerst unemotional abgelichtet, als hätte ich vormittags nichts gelernt, schlimm! Aber dafür war es ganz hervorragend.