Tagebuch Dienstag, 10. November 2020 – Bauch und Brokkoli
Schreibtischtag, das wird hier die nächsten Tage nicht interessanter. Also für mich schon, weil ich einerseits feststelle, dass ich eine schöne Diss geschrieben habe, die ich gerade sehr … sehr … langsam noch einmal durchlese. Andererseits auch nicht, weil mir Flüchtigkeits-, Bezugs- und Rechtschreibfehler auffallen. Memo to me: bei der nächsten Diss Geld für ein Lektorat in die Hand nehmen.
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Mittags stand ich vor dem Kühlschrank und wusste nicht so recht, was ich machen soll, bis mir einfiel, dass ich beim letzten Asiamarkt-Besuch eine Tüte Kichererbsenmehl mitgebracht hatte. Daraus wurde Pakorateig mit Kurkuma und Chili, durch den ich Brokkoliröschen zog. Dazu gab’s kein Raita, wie sich’s gehört, sondern gnadenlos Tsatsiki, weil ich Lust auf Knoblauch hatte. Hauptsache Jogurt und Gurke.
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Das abendliche Sportprogramm war gestern mal wieder die Bauch- und Rückenmuskeleinheit, auf die ich immer am wenigsten Lust habe, aber gestern konnte ich zum ersten Mal die komplette geforderte Zeit meine olle Plank halten, was mich motivierte, mich beim Restprogramm ähnlich fies anzustrengen, weswegen ich danach sehr erschöpft auf dem Sofa rumlag. Um die hart angegriffenen Energiereserven wieder aufzufüllen, kochte ich eine kleine Portion Milchreis. Nun sind die Kirschen, die ich neulich für den Plunderversuch brauchte, auch fast alle.
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F. schickte mir gestern einen Artikel, nach dessen Lektüre ich gleichzeitig Fernweg und Hunger hatte. Also klickt den am besten gar nicht an, vielleicht so im Juli 2021, wenn wir wieder reisen können, ganz eventuell?
Auch F.: „Friedhofshonig … mehr Wien geht echt nicht.“
Schnitzel, Schnecken, Schanigarten: Die Wiener und ihr Essen
„Das Schnitzel ist so etwas wie das Logo der Wiener Küche. Jeder Wiener weiß, wo es das ultimativ beste gibt, ob Kalb oder Schwein, ob mit Erdäpfelsalat oder Pedasü-Erdäpfeln, ob mit oder ohne Preiselbeer. Das Wiener Saftgulasch ist das zweite Standbein der klassischen Wiener Fleischgerichte, dann kommt noch der Tafelspitz, dann kommt lange nix. Um halb eins in der Früh vielleicht noch eine Käsekrainer am Würstelstand oder ein Paarl Frankfurter. Die überall sonst auf der Welt “Wiener” heißen, wohlgemerkt.
Fleisch ist im kulinarischen Bewusstsein der Wiener immer noch “die Hauptspeis”: Wohl weil gerade die klassischen Fleischgerichte lange ein Privileg der Reichen waren, erst in den letzten Jahrzehnten ist Fleisch leistbar, sogar billig geworden.
Auf wessen Kosten, steht auf einem anderen Kaszettl: Billiges Fleisch bedeutet Tierleid und Ausbeutung – und ist der guten Wiener Küche nicht würdig. Die wenigen verbliebenen Wiener Fleischhauer sind sich der Verantwortung bewusst – allen voran die Fleischerei Leopold Hödl in Liesing, der letzte Wiener Fleischer, der noch selbst schlachtet. […]
Wien ist, man sagt es gerne, weltweit eine der Großstädte mit dem höchsten Grünlandanteil. Für Milchwirtschaft oder Getreideproduktion reicht das zwar immer noch nicht, aber es ist faszinierend, wie viele landwirtschaftliche Produkte innerhalb der Wiener Stadtgrenzen hergestellt werden. […]
“Kaum eine Millionenstadt hat so viele Umbrüche und Neustarts erlebt wie Wien, und doch gilt sie heute als lebenswerteste Stadt der Welt”, meint die Wiener Foodbloggerin Alexandra Palla. Das lässt sich auch schmecken: “Es gibt hier moderne Landwirtschaft, kreative Lebensmittelproduzenten und innovative Konzepte.”
Je mehr das Wiener Schnitzel zum ultraflachen Touristikkonzept verbraten wird, desto mehr regionale Produzenten sorgen für einen Relaunch der Wiener kulinarischen Identität von innen. […]
Apropos Kaffee: Das Grundnahrungsmittel der Wiener Identität gibt’s natürlich auch aus lokaler Produktion. Der Meinl und der Naber sind wohl die bekanntesten, Aficionados pilgern lieber zur Kaffeerösterei Alt Wien in die Schleifmühlgasse, zur Kaffeefabrik oder zu den Hipstern von Jonas Reindl. Der Nostalgiker mag das als “Bobo-Schas” bezeichnen – aber genau so wird Kaffeekultur am Leben gehalten. Denn so schön das Kaffeehaussitzen, das es nirgendwo sonst in dieser Ausführlichkeit gibt, auch ist: Ohne an gscheidn Kaffee geht das halt net.
Der Wiener ist prinzipiell Experte für eh alles: Fußball, Kindererziehung, Hundehaltung oder kulinarisches Fachwissen. Deshalb gibts in Wien u. a. das beste Brot (Gragger vs. Joseph Brot, das ist Brutalität!), den besten Schinken (vom Thum), den besten Essig (vom Gegenbauer), die beste Marmalad (vom Staud), den besten Senf (vom Ramsa), den lustigsten Honig (der Friedhofshonig von der Bestattung Wien) … und, natürlich, das beste Sauerkraut.
“Noch vor 50 Jahren gab’s in Wien über 70 Sauerkrautproduzenten!”, erzählt Naschmarkt-Grandseigneur Leo Strmiska, besser bekannt als “Gurkerl-Leo”. Heute gibts nur noch zwei. Leo selbst ist schon in Pension, sein Stand am Naschmarkt wird aber weitergeführt, das legendäre Champagnerkraut und die Salzgurken (Katerwundermittel!) gibt’s nach wie vor in bewährter Qualität, da ist Leo selbst dahinter.“