Tagebuch Sonntag, 20. Dezember 2020 – Kopf gewaschen bekommen im Internet, völlig zu Recht
Ausgeschlafen, rumgelungert, Filterkaffee, Ostfriesentee, Kühlschrankreste. Bisschen Sport, bisschen lesen, aber größtenteils das eigene Blog nachgelesen.
Mittendrin pingte eine Mail auf, in der ein Erstsemester in Kunstgeschichte mich um meine Hausarbeit zu einem uralten Thema bat. Den Blogeintrag hatte der Verfasser gefunden, jetzt bat er um die ausformulierte Fassung – und das erwischte mich auf dem total falschen Fuss. Dämlichste Übersprungshandlung, die mir einfiel: auf Twitter rumpöbeln.
Anfrage eines Erstis, der um eine meiner Hausarbeiten bittet, die ausnahmsweise nicht online ist (weil aus dem 1. Semester und daher mies), die er natürlich brav zitieren würde in seiner. Unflätig antworten („LIES SELBER, DAS IST DER SINN DES STUDIUMS“) oder ignorieren?
— Anke Gröner (@ankegroener) December 20, 2020
Die beste Antwort auf diesen egozentrischen Scheiß hatte Sue:
Freundlich antworten und weiterhelfen. Menschen im Erstsemester haben m.E. nur Digitale Fernlehre und hatten noch nie Zugang zu einem Seminarraum oder einer Dozentin. Es nimmt dir nichts weg, wenn du hier was gibst; außer die Zeit für die Mail; es schmälert deinen Erfolg nicht.
— Sue Reindke (@sue_reindke) December 20, 2020
Ich fühlte mich, als ob mir jemand einen Eimer Wasser über dem Kopf ausgeschüttet hätte, was vermutlich auch angebracht gewesen wäre. Gut, dass gerade niemand einen zur Hand hatte. Trocken und reumütig befolgte ich die guten Tipps des Interwebs, ich zitiere den Rest des Threads: „Literaturliste statt Hausarbeit verschickt und viel Spaß beim Studium gewünscht.“ Die Reaktion per Mail kam prompt und auch sie wurde vertwittert: „Antwort: „Super, danke vielmals für Ihre Unterstützung, als Anfänger bin ich für jede Hilfe sehr sehr dankbar !!“ (Nochmal danke für eure Antworten auf meinen bescheuerten Meckertweet.)“
Ich hatte kurz vergessen, dass Erstsemester derzeit vermutlich noch keine Uni von innen gesehen haben. Ich hatte vergessen, wie wenig ich als Anfängerin wusste und wie selten ich mich getraut habe, nach Hilfe zu fragen, weil ich dachte, das müsste ich auch irgendwie alles alleine hinkriegen, ich bin ja schon groß. Ich hatte vergessen, dass wir alle acht Monate Pandemie in den Knochen haben und einfach nur irgendwie durch unsere Tage kommen wollen. Und ich hatte meine eigenen Vorsätze vergessen, nett sein zu wollen, hilfsbereit und freundlich und um Gottes willen nicht mehr auf Twitter rumzumeckern.
Danke fürs Kopfwaschen, Internet, war anscheinend nötig. Wie toll, dass ich über Anfänger*innenprobleme an der Uni sogar mal gebloggt hatte. Anscheinend kann sich mein Kopf gerade nur noch drei Dinge merken und eins davon ist immer die nächste Mahlzeit.