Tagebuch Montag, 28. Dezember 2020 – „Werk ohne Autor“
Tagsüber gelesen und weiterhin Weihnachtsurlaub gemacht. Mich seelisch darauf vorbereitet, abends eher schlechte Laune zu kriegen, weil ich es mir nicht verkneifen konnte, Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ anzuschauen. Ich hatte die Entstehungsgeschichte und den Inhalt des Films 2018 am Rande mitbekommen und kurz erwägt, den Film im Kino zu sehen, konnte mich dann aber doch nicht aufraffen. Das war im Nachhinein die richtige Entscheidung, denn so konnte ich gestern auf dem Sofa nebenbei Twitter lesen und Candy Crush spielen, denn die vielen, vielen, vielen Dialoge erzählten mir alles, was ich theoretisch sehen würde, also musste ich nicht dauernd hingucken.
Immerhin hatte ich gleich in der ersten Szene des Films eine Frage. Man sieht den kleinen Kurt, der eigentlich der kleine Gerhard Richter ist, mit seiner Tante in der Dresdener Ausgabe der Femeschau „Entartete Kunst“ 1937. Da musste ich schon überlegen, ob diese überhaupt schon 1937 dort gezeigt wurde – sie wurde im Juli in München eröffnet, wo sie bis November lief – oder erst später, wobei mir erst heute einfiel, dass es sich auch um die seit 1933 tourende Schau handeln könnte. Wirklich erkennen konnte ich im Film nur Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“ – von dem ich nicht weiß, ob es in Dresden zu sehen gewesen war –, bei einigen Werken von Grosz weiß ich schlicht nicht, welche hinter dem Bilderklärer zu sehen waren. Auch dieser ließ mich rätseln: Gab es Führungen durch die Ausstellung? Ich meine ja, war mir aber nicht sicher, ich konnte mich an kein bestimmtes Foto oder eine Quelle erinnern. (Frau Diener fand eine, danke!) Ich überlegte generell, wann die Museumspädagogik begonnen hatte, wobei ich diese Schau nicht in eine Reihe stellen möchte mit anderen Ausstellungen und die NS-Kunstpolitik nicht mit den Bildungsideen der Bundesrepublik, über die ich nachdachte; ich musste an dieses Buch denken, das sich mit der Situation von Museen in den verschiedenen Besatzungszonen direkt nach dem Krieg beschäftigte. Generell fiel mir erneut unangenehm auf, dass ich mich bei meinen Forschungen sehr um die systemkonforme Kunst des NS kümmere und die sogenannte „entartete“ sehr außen vorlasse. Positiv daran: Die Ausführungen des Bilderklärers kamen mir bekannt vor, darin waren einige Punkte enthalten, die ich aus Hitlers Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst kannte.
Während ich vor mich hingrübelte und mich daran störte, dass Kurts Tante ein arg ausgeschnittenes Kleid trug und offene Haare hatte, erzählte mir der Film wieder Dinge, die ich auch sehen konnte. Mich ärgerten die banalen Bilder der hysterischen BDM-Mädchen, als der Herr Führer seinen Blumenstrauß kriegte, sowie der versammelten SS-Männer mit ihren gleichförmig aufgeschlagenen Unterlagen und den Bleikristallgläsern in artiger Reihung vor sich auf dem Tisch, alles ein ordentlich inszeniertes Klischee. Gut fand ich hingegen die Erwähnung von Elfriede Lohse-Wächtler, allerdings nur in Form ihres aufgebrachten Vaters, der nach ihr in der Klinik sucht, in der auch Kurts Tante Elisabeth wegen angeblicher Schizophrenie verwahrt wird. Es wundert mich, dass der Film dort das Wissen der Zuschauerin voraussetzt, die hoffentlich mit dem Namen Lohse-Wächtler irgendetwas anfangen kann, aber dann trotzdem jeden beknackten Handschlag auf der Leinwand erklärt.
Ich erspare es mir, mein Entsetzen über die Gaskammerszene zu notieren, das hat Johanna Adorján schon übernommen, die bei diesen Bildern das Kino verließ. Irritierenderweise gefiel mir Sebastian Koch in seiner Rolle des Holzschnittsnazis Seeband, weil er mich an die vielen anderen Holzschnittsnazis der Nachkriegsfilme erinnerte, die ich im Hinterkopf hatte. Kurts späterer Schwiegervater ist von der ersten bis zur fast letzten Filmminute einzig banal-böse und unreflektiert; erst in seiner letzten Szene wird er kurz erschüttert und das ausgerechnet durch die mies nachgemalten Werke Kurt Barnerts (Richter). Was mich an dieser Figur allerdings sehr störte, war seine Protektion durch einen Offizier der Sowjetarmee, dessen Frau Seeband bei einer komplizierten Geburt hilft. Seeband kann es sich dadurch trotz seiner Verbrechen während der NS-Zeit in der DDR gemütlich machen. Generell interessiert sich der Film weniger für die Entnazifizierungen in West und Ost, aber alleine durch diesen Erzählstrang blieb bei mir der Eindruck hängen, dass die DDR es weniger ernst genommen habe als der Westen, den Faschismus aufzuarbeiten. Soweit ich weiß, entnazifierte die DDR hingegen – zumindest auf dem Papier – etwas gründlicher als die Bundesrepublik. Ein weiterer Erzählstrang berichtet von Kurts Vater, der angeblich nicht in die NSDAP eintreten wollte, es aus Bequemlichkeit dann doch tat, weswegen er nach 1945 nicht mehr lehren durfte, sondern als Hausmeister arbeiten musste, was ihn anscheinend so erschütterte, dass er sich das Leben nahm. Möglicherweise sollte das eine Anspielung auf die Legende „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ sein, es passt für mich aber eher in die andere Legende, dass die Deutschen nach 1945 unmäßig leiden mussten unter dieser dummen Sache, diesen zwölf Jahren, die da irgendwie passiert sind.
Endgültig geistig abschalten musste ich bei den wiederholten Nacktszenen, die nur die weiblichen Schauspieler betrafen. Ja, Paula Beer hat echt schöne Brüste, danke, Florian, das wusste ich schon nach einer Einstellung, ich brauchte keine 15. Und die Kamerafahrt von den Füßen hoch über den ganzen Körper kannst du auch in den 80ern lassen. Ich konnte allerdings einem sehr speziellen Interesse von mir nachgehen: Achselbehaarung bei Frauen in historischen Filmen. Die Damen hier trugen alle ordentliches Schamhaar, das war auch oft genug im Bild, nerv, aber hatten dazu unpassend rasierte Achseln. Ich weise gerne auf eine Szene in „Sissi“ hin, in der Romy Schneider ihrem neuen österreichen Volk zuwinkt und man deutlich ihre nicht rasierten Achseln sieht.
Als Fake-Günther Uecker an der Düsseldorfer Akademie dem armen unwissenden Zoni Fake-Richter die Kunstwelt erklärt, kam ich endgültig aus dem Augenrollen nicht mehr aus; auch das hat netterweise schon jemand ausführlich aufgeschrieben, danke, Daniel Kothenschulte. Die Faszination für die weibliche Oberweite kommt in „Ueckers“ Monolog auch gleich mehrfach vor: erst wird das Blau von Yves Klein erläutert, das man auf Brüste schmieren könnte, dann über eine Kommilitonin der Krachersatz gesagt: „Lucio Fontana schlitzt Leinwände seit sechs Jahren auf, aber Katrin hat schöne feste Brüste, also lassen wir sie.“ Ein Kommentar zum Sexismus in der Kunstbranche sieht auch irgendwie anders aus, aber ich ahne, dass es Henckel von Donnersmarck nicht darum ging.
Ab da war ich raus, mehr kann ich zu dem Ding nicht mehr sagen. Ich amüsierte mich über die miesen nachgemalten Versuche von Tante Marianne und Herr Heyde, fand es aber schön, dass ich die Bilder gestern auf Twitter nicht von Richters Website verlinken konnte, die war nämlich in die Knie gegangen. Hat es der Film immerhin geschafft, dass sich mehr Leute für das Frühwerk interessieren (hoffe ich). Dass die beiden Werke nicht zusammen mit Onkel Rudi, das auch nachgemalt zu sehen war, in einer Ausstellung 1966 hingen – geschenkt, es ist egal, der ganze Film ist egal.
Ich weiß immer noch nicht, was mir der Film eigentlich sagen wollte, ja ich weiß nicht mal, was er überhaupt für ein Film sein wollte. Für ein Biopic geht er zu nachlässig mit Fakten um, auch wenn mir die filmisch-erzählerische Freiheit natürlich ein Begriff ist. Für eine Story, die von drei politischen Systemen in Deutschland erzählen will, kommen mir die drei Systeme zu kurz bzw. ihre Auswirkungen werden mir zu sehr simplifiziert. Für eine schlichte Liebesgeschichte war mir das Ding einfach zu lang und langweilig, wobei ich es mir kaum vorstellen kann, nur eine Love Story erzählen zu wollen und sich dann so erkennbar eng an einer echten Figur zu orientieren. Bei mir bleibt nur Ärger übrig. Und ein Blogeintrag, immerhin.