Was schön war, Sonntag bis Mittwoch, 3. bis 6. Januar 2021 – Bis 19 Uhr am Mittwoch war’s okay
Beim Sauerteigauffrischen am Samstag war ich dusselig gegen meine Schüssel mit Wasser gekommen, in der ich das nächste Glas und den Löffel, mit dem ich das Mehl aus der Tüte schöpfe, abkoche, es ergoss sich über meine flache Digitalwaage, ich dachte mir nichts dabei, trocknete das Ding oberflächlich ab und stellte es wie immer hochkant in die Fensterlaibung, wo es hingehört.
Am Sonntagmorgen wollte ich mein erstes Roggensauerteigbrot ansetzen – ich hatte noch nie mit Roggen gearbeitet, mit Weizensauerteig im vergangenen April, Mai, keine Ahnung, das letzte Jahr verschwimmt total, ich weiß nur, wann ich die Diss abgegeben und verteidigt habe und wann ich im Norden war, alles dazwischen ist egal. Ich wusste also nicht, wie das Brot aussehen musste, aber zunächst wollte ich alle Zutaten abwiegen, wobei meine Waage mir nicht meine übliche „0“ anzeigte, sondern irgendwelche kryptischen Zeichen. Ich erinnerte mich ungut an das Wasser, drückte auf alle Knöpfe, die da waren, aber es blieben kryptische Zeichen. Ich versuchte einen Batteriewechsel, der nichts brachte, aber bei dem ich merkte, dass die alte Batterie feucht zu sein schien. Ich schraubte die Waage auf, was nur an drei Ecken möglich war, trocknete das Innere so gut es ging mit Papiertüchern ab, schraubte sie wieder zusammen – und bekam nun „Error“ angezeigt. Fluchend holte ich Mütterchens uralte Analogwaage aus dem Schrank, die ich genau für solche Fälle aufgehoben habe – oder solche, wo ich vergessen haben könnte, Batterien nachzukaufen, was mir nur einmal passiert ist und dann, genau deshalb, nie wieder, jede, die Sonntags spontan Kuchen ohne Waage backen wollte, weiß was ich meine. Mit dieser Waage schätzte ich mehr als dass ich vernünftig abwog, die Zutaten für das Roggenbrot, vergewisserte mich auf Twitter, dass der Teig sich wirklich wie Fensterkitt anfühlen müsse und nicht wie mein gelieber Weizenteig, und ließ das Brot stehen.
Montag morgen wurde es gebacken – und es war schon ziemlich nah dran an dem, was ich erhofft hatte. Es war vermutlich etwas zu kurz im Ofen, von außen sah es top aus, innen am Boden war es etwas zu klietschig und generell etwas zu fest, aber geschmacklich war es herrlich.
Ach, und die Waage ging nach ein paar Stunden auch wieder, yay!
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Montag abend kam F. vorbei. Wir merken seit einigen Wochen, dass uns die Gesprächsthemen ausgehen, weil uns Impulse von außen fehlen, die Arbeit so vor sich hinbummelt, die Diss-Umarbeitung noch etwas stockt, und irgendwann kann man sich auch nicht mehr über die Pandemie oder Trump unterhalten. Also schlug ich vor, eine Taktik von Monty Python anzuwenden. Ich weiß nicht mehr, in welchem Film oder in welcher Flying-Circus-Episode es vorkam, aber irgendwann werden Gästen in einem Restaurant Gesprächskarten angeboten für die Konversation. Also holte ich meine alten, leeren Vokabelkarten aus dem Bürocontainer, wir schrieben wild Zeug darauf und zogen unsere Themen.
In meinem Insta-Stream und auf Twitter sehe ich dauern Leute Brettspiele spielen, was ich jahrelang gern gemacht habe (Inkognito! Risiko! Monopoly!) und nun überhaupt nicht mehr tue, weil die Gelegenheit fehlt. Vom letzten Besuch im Norden brachte ich Jenga mit, Abalone und eine dieser unvermeidlichen „400 SPIELE IN EINEM“-Sammlungen, die ich mal für den Ex-Kerl und mich angeschafft hatte; da waren sogar noch Spielfiguren und Würfel eingeschweißt. So viel zum Thema Spielen mit dem Kerl. Wir sprachen über Kindheitserinnerungen und welche Spiele wir sonst noch mochten und verabredeten uns für Trivial Pursuit.
Auf Proust kamen wir durch einen kurzen Artikel im Tagesspiegel, den ich retweetet hatte, in Rom waren bei beide schon mal, aber noch nicht gemeinsam (noch einmal in die Vatikanischen Museen ohne Gruppenzwang!), und beim Thema Cocktails erinnerte ich mich daran, dass ich schon lange keinen French 75 mehr getrunken hatte, einen meiner Lieblinge, während F. eher Sours zuspricht. Das Thema Ausstellungen war eher bittersüß, wir vermissen Museen sehr. Ein Lerneffekt dieses Abends: Sobald es geht, rennen wir ins Haus der Kunst und schießen uns danach gepflegt in der Goldenen Bar ab. (Vielleicht bringe ich Jenga mit.)
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Dienstag morgen saß ich früh am Schreibtisch, um mich endlich dazu zu überwinden, die Diss komplett auseinanderzupflücken und neu zusammenzusetzen. F. schlief aus, er hat noch Urlaub, und weil sein Warmwasser am Montag nur lauwarm war, blieb er länger hier und duschte gleich noch. Das passiert sehr selten, dass einer von uns beim anderen duscht oder sogar frühstückt, meistens trennen wir uns gleich nach dem Aufstehen und jeder beginnt seinen Tag für sich. Das fiel mir irgendwann im Norden auf, als das Mütterchen vor einem Besuch von F. fragte, was er denn frühstücke, was ich gar nicht so genau wusste, weil wir eigentlich nur im Urlaub in Hotels gemeinsam morgens am Tisch sitzen. Das war schön, ihn etwas länger hier zu haben, es hat sich fast wie Zusammenwohnen angefühlt. Hier den üblichen Eintrag zu Wohnungen für Paare in München einfügen und dass wir schon gar nicht mehr suchen, auch weil wir nicht an den Stadtrand ziehen wollen, und deswegen wohnen wir halt weiter getrennt. An manchen Tagen finde ich das mehr schade als an anderen, und deswegen freue ich mich immer, wenn sich die räumliche Trennung kurz nicht mehr so anfühlt.
Der Diss-Umbau dauerte den ganzen Tag und fiel mir ungewohnt schwer. Eigentlich kann ich ganz gut Darlings killen, und ich habe inzwischen auch genug Abstand von der Diss, um zu sehen, welche Teile wirklich verzichtbar sind, aber es zog und zog und zog sich. Zwischendurch schrieb ich eine Hilfemail an das Lektorgirl, ob sie Tipps habe, was ein bisschen half. Ich weiß immer noch nicht, ob das der richtige Weg ist, aber ich wollte es einmal konsequent durchspielen. Verwerfen kann ich es immer noch. Gestern war ich der Meinung, es ist top, heute denke ich, ach, ich lass alles so, wie es ist.
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Abends las ich 1979 von Kracht in zwei Stunden durch, den ich vorher aus der Packstation geholt hatte, und fing gleich mit Faserland noch einmal an. Das beendete ich gestern. Das Ding ist überraschend gut gealtert, mir gefällt es sogar jetzt, als eine Art Zeitkapsel, deutlich besser als direkt nach Erscheinen.
Gestern morgen wachte ich bereits um 4.30 Uhr auf und war nervigerweise hellwach. Zwei Stunden las ich das Internet leer, bis ich aufstand. Mein Gehirn war allerdings eher Matsch, aber da gestern in Bayern Feiertag war, nahm ich mir den einfach, aß Roggenbrot und zwei aufgetaute Croissants und ein paar Stücke dieser tollen Schokolade von François Pralus (immer noch nicht alle, an der knabbere ich seit zwei Wochen, das gab’s noch nie). Ich freute mich über den ersten Schnee im Jahr und das Licht, das in dieser Wohnung liegt, wenn draußen alles weiß ist.
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Um 19 Uhr schaltete ich C-SPAN ein, um mir anzuschauen, wie die Electoral Votes vom Senat ratifiziert wurden, aber dann kam erst einmal alles anders. Hamburg rief an, als ich gerade panisch CNN online suchte, was ich während der Wahl problemlos schauen konnte, aber jetzt nicht mehr (auf dieser Seite geht’s), und wir sahen dem Idiotenaufstand 30 Minuten lang gemeinsam fassungslos zu.
Dieses Bild blieb bei mir länger hängen, es stammt von Mike Theiler/Reuters.
Um Mitternacht war ich für diesen Hinweis sehr dankbar und ging, sehr ernüchtert und aufgewühlt, schlafen.