Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 19./20. Januar 2021 – Madame Vice President

Der Dienstag begann hervorragend: Mein inzwischen dritter Versuch mit Roggensauerteig klappte so, wie ich es haben wollte und nicht nur so halb oder geht so oder „kann man essen, wenn’s sein muss“. Das Brot ging in seiner Kastenform zwar im Ofen nur an einer Seite wirklich auf – das ist die etwas aufgerissene, krustige –, aber es schmeckte durch und durch. Fieser Nebeneffekt, der mir schon überrascht bei den ersten Versuchen mit Roggensauerteig aufgefallen ist: Es schmeckt wie das Lieblingsbrot von Papa. Das Gersterbrot esse ich auch immer in der alten Heimat im Norden und wusste nie, dass es aus Roggenmehl zubereitet wird.


(Foto aus der Hüfte für F., muss ich fürs Rezeptverbloggen noch mal anständig machen. Und ohne Bissspuren.)

Ab kurz vor zehn Uhr hatte sich der jährlich vorbeischauende Heizungsableser angekündigt. In den letzten Jahren brachte er oft seinen Kollegen mit, der die Rauchmelder prüft, dieses Jahr kam er wieder alleine und übernahm beide Jobs. In meiner Wohnung standen alle Fenster auf Kipp, ich trug FFP2, er eine OP-Maske, wir hielten Abstand und es war keine Unterschrift auf dem Ableseprotokoll nötig. Danach lüftete ich zehn, fünfzehn Minuten lang durch, bis es wirklich kalt war. So fühlen sich also Schüler:innen gerade.

Bis gestern um 14 Uhr saß ich an beiden Tagen an der Diss, überarbeitete erneut den biografischen Teil sowie den Ãœberblick über das Gesamtwerk. Gestern beendete ich vorerst (also bis zu den üblichen 17 Korrekturgängen) den Teil mit Protzens ganzen Vereinsmitgliedschaften. Dazu begründete ich auch, warum dieser Teil wichtig ist: weil Künstlervereinigungen im Kleinen abbildeten, was reichsweit ab 1933 passierte. Es wurde durchaus über die angeblich neue deutsche Kunst diskutiert; ich hatte in Archiven einige Sitzungsprotokolle gefunden, an denen sich Kontroversen gut nachvollziehen ließen. Außerdem lässt sich dort auch die neue Personalpolitik nachzeichnen, also das Ersetzen von bisherigen Amtsinhabern durch Parteigenossen. So verlor auch Protzen, der kein Mitglied der NSDAP war, im April 1933 einen Vorstandsposten beim (ehemals Feldgrauen) Künstlerbund München, was ihm aber auf lange Sicht nicht wirklich geschadet hat. Aber er konnte das hübsch im Spruchkammerbogen ausschlachten. („ICH BIN EIN NAZIOPFER EINS11! … Autobahnen? Was für Autobahnen?“)

Ab 14 Uhr war meine Konzentration aber weg. Ich musste mir anschauen, wie Trump am Weißen Haus das letzte Mal den Hubschrauber Marine One bestieg, der ihn zur Air Force One brachte, die ihn nach Florida und damit hoffentlich in die Bedeutungslosigkeit flog, die für ihn vermutlich die Höchststrafe sein wird. Geh weg, komm nie wieder.

Danach genoss ich die Amtseinführung Bidens und Harris’ und konnte befriedigt feststellen, dass nicht mal Trump meine irrationale Zuneigung zu amerikanischem Pathos ruinieren konnte. Beim Amtseid von Harris, der ersten Schwarzen, der ersten asiatischen und der ersten Frau auf dem Posten des Vizepräsidenten, verdrückte ich dann doch überrascht ein kleines Tränchen. Der Eid wurde von Sonia Sotomayor abgenommen, der ersten Latina und, wenn ich das richtig sehe, dritten Frau am Obersten Gerichtshof der USA.

Das Gedicht von Amanda Gorman mochte ich ebenfalls sehr.

Twitter war gestern wieder in alter, netter Form.

Dass Augsburg gegen Bayern verlor, war dann auch total egal. Tief und fest geschlafen.