Donnerstag, 22. April 2021 – Zeugnis abgeholt
Meine Bohnen für den neuerdings so gerne aufgesetzten Filterkaffee neigen sich dem Ende entgegen. Beim morgendlichen Mahlen freute ich mich wie immer über Opas Zerhäcksler und dachte daran, doch endlich mal eine Versuchsreihe aufzusetzen mit zerhackten versus händisch liebevoll per Hightechkeramikmahlwerk zerriebenen Bohnen, um herauszufinden, ob man da wirklich einen Unterschied schmeckt. Ich sehe diesen Eintrag als Gedächtnisstütze an.
Keine Kaffeebohnen, kein Problem. Eigentlich wollte ich nur flugs zum Café nebenan gehen, von wo ich immer meine Bohnen hole, wenn ich sie nicht im Internet ordere, aber dann dachte ich, ach, nimmste den Einkaufszettel auch noch mit, der eigentlich erst heute zum Einsatz kommen sollte. Während ich im Café bezahlte, klingelte mein Handy, ich sah eine Münchner Nummer und drückte sie weg, ich hasse es, in der Öffentlichkeit zu telefonieren, vor allem, wenn ich gerade mit anderen Menschen beschäftigt bin (Kaffeesorte nennen, bezahlen).
Danach ging ich einkaufen, entdeckte die ersten Erdbeeren und schlug sofort zu, weil Erdbeeren! Zuhause erledigte ich das übliche Maskenballett – Jacke aus, Schuhe aus, noch mit FFP2-Maske ins Bad, Händewaschen und „Africa“ von Toto summen, dann erst Maske abnehmen. Ich habe keine sieben Haken für sieben Masken, die dort eine Woche auslüften könnten, bei mir hängen die an den Hälsen der Weinflaschen im Weinregal im Flur. An ihnen befestige ich kleine Zettel, auf denen ich notiere, wann und wo ich die jeweilige Maske getragen haben. Dreimal in drei Wochen für jeweils zehn Minuten im Edeka scheint mir einen weiteren Gebrauch zu rechtfertigen, während ich die Maske, in der ich geimpft wurde und die ich drei Stunden lang ununterbrochen und mit sehr vielen Menschen in der Nähe getragen habe, doch lieber zwei Wochen auslüften ließ. Es ist vermutlich alles egal, aber da ich nicht mehr weiß als das, was ich mir durch Medien, Twitter und seltene Lektüre von wissenschaftlichen Studien anlese, mache ich das halt so weiter, bis DIE SITUATION endlich vorbei ist. Oder sich wenigstens gebessert hat.
Nachdem alles verräumt und ich wieder maskenlos war, googelte ich die Nummer – bzw. ich kam gar nicht mehr dazu, mir das Suchergebnis anzuschauen, denn mein Mailprogramm zeigte eine Zuschrift des Prüfungsamts der LMU an (das war die Nummer). Ich hatte ja am Montag eine Mail bekommen, dass meine, Zitat, Abschlussdokumente fertig seien, ob ich die zugeschickt haben wolle? Ich fragte per Mail nach: Kann ich mir die Urkunde auch abholen? Und jetzt hieß es: Ja, klar, hier Terminvorschläge. Oder Sie rufen kurz bei den Leuten durch, die gerade nicht im Homeoffice, sondern vor Ort sind, und machen da einen neuen. Mein langjähriger Ansprechpartner an der Uni: „Ich bin von 09-12 Uhr präsent dort und wir können die Überreichung persönlich vornehmen (ist schließlich keine unwichtige Handlung nach der vielen Arbeit!).“ Das fand ich nett, dass das jemand anerkannte, dass so ein Handschlag, und sei er auch nur angedeutet, in personam sich besser anfühlen würde als einen Umschlag aus dem eigenen Briefkasten zu nehmen.
Ich rief umgehend im Prüfungsamt an, mir wurde gesagt, dass ich theoretisch jetzt gleich vorbeikommen könnte, ich setzte die eben an einen Riesling gehängte Maske wieder auf und radelte zur Uni. Im Kopf formulierte ich schon den Krachersatz fürs Blog vor (wie bei allem, was ich tue): „Und so wurde die Maske, in der ich geimpft wurde, auch die, in der ich den Abschluss meines Promotionsverfahrens begang.“
Den Satz muss ich leider streichen, denn, haha, lustiges Missverständnis: In der Mail von Montag wurde von „Abschlussdokumenten“ gesprochen, was ich als „Urkunde“ interpretierte und das so in den Mailbetreff für den zuständigen Bearbeiteter setzte. Das war der Herr, der sich mitfreute und mir schrieb, wie ich sie abholen konnte. Als ich nun im Prüfungsamt danach fragte, wurde sofort zurückgefragt, ob ich schon publiziert hätte. Ich verneinte, woraufhin es hieß, dann würde hier „nur“ mein Zeugnis für mich liegen. Also hatte ich doch alles richtig in der Prüfungsordnung gelesen, was ich im Blogeintrag zum Montag ja noch angezweifelt hatte: erst die Diss veröffentlichen, dann die Urkunde, bis dahin Dr. des und nicht Dr. Aber immerhin das. Ich freute mich auch über das Zeugnis, trauere aber immer noch dem blöden Satz mit der Maske hinterher. Stupid Blog.
Ansonsten buk ich hervorragendes Flatbrad mit viel Za’atar, das mir F. vor Monaten mal aus Abu Dhabi mitgebracht hatte, erinnern Sie sich, so mit Fliegen und Reisepass und so? War bestimmt toll.
Ich löste erneute das NYT-Crossword, fast ohne nachzugucken (zwei oder drei Worte fehlen immer), lud mir auch endlich die App aufs iPhone, die eindeutig komfortabler ist als das Rätsel auf der Website zu lösen, darauf hätte ich auch mal früher kommen können.
Der Blauregen vor dem Küchenfenster hat seine ersten violetten Blütendolden aufgelegt, was mich mehr freute als ich dachte. Dazu passte dieser Artikel aus dem Atlantic, der mir stilistisch sehr gefiel, bis auf die unnötig reißerische Überschrift.
The Dark Side of the Houseplant Boom
Die Autorin beschreibt, wie sie irgendwann eher zufällig angefangen habe, sich Zimmerpflanzen anzuschaffen, was im letzten Jahr eine gewisse Dringlichkeit bekam.
„Where is the line between “Oh, they have some plants” and “Whoa, they are plant people”? I’m not quite sure, but I am sure that we long ago crossed it. I would read the periodic news articles about Millennials and their houseplants and feel the soft shame of being seen. But I cherished our little garden. Potted plants have a quiet poetry to them, a whirl of wildness and constraint; they make the planet personal. I loved caring for ours. I loved noticing, over time, the way they stretched and flattened and curled and changed. I still do.
This year, though, as I’ve spent time a bit like a plant myself—rooted in one place, tilting toward windows—I began to wonder whether the plants had been changing me, too. Maybe tending to them, in a time of helpless loss, has been a way of making sense of grief. And maybe, too, as daily life sends ever more reminders that Earth will betray humans as readily as we have betrayed it, nurturing the seedlings has helped to assuage some of the guilt. Outside, fires raged and seas rose and viruses attacked. Inside, not knowing what else to do, I kept watering all the plants.“
Der Artikel beschreibt, wie der Mensch sich die Natur untertan gemacht hat und welche Folgen das inzwischen hat. Über die Benutzung einiger Worte, die unsere Entfremdung mit dem Planeten andeuten, hatte ich noch nicht nachgedacht: „… a rhetorical regime that treats nature not as who we are, but as what we use. The distinction is there in our language, in the fact that people eat pork and beef rather than pigs and cows, and live in homes made of timber rather than trees.
Die Autorin erwähnte einige Bücher und Denkansätze, die sich mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur befassen: „Mournfulness permeates these narratives. They are stories not just of loss, but also of malign neglect. They are tales of wild things subdued. “What we still, in a flourish of misplaced nostalgia, call ‘the natural world’ is gone, if ever it existed,” Rich writes. “Almost no rock, leaf, or cubic foot of air on Earth has escaped our clumsy signature.”
Das ist ein Fazit des Artikels, der sich auch mit „ego-guilt“ und dem kompletten Ausblenden der Klimakatastrophe im alltäglichen Leben vieler befasst: „Addressing the ravages of human exceptionalism will require us to use one of the gifts we have credited with making us exceptional: our great imagination. Salvation will depend on urgent new assessments of humanity’s relationship to the natural world. It will require intentional acts of culture — new vocabularies and paradigms and empathies. Until we create them, the world will keep burning. And we will stay frozen inside the fire.“
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