Freitag, 30. April 2021 – Mein erstes Livekonzert seit März 2020

Gestern lag ein Zettel im Briefkasten des Mehrfamilienhauses, in dem ich wohne: im Erdgeschoss werde heute geheiratet. Ich erwartete in den nächsten Zeilen eine Entschuldigung, dass es möglicherweise etwas lauter werden könnte, die üblichen Partyflyer halt, obwohl ich die auch schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte, wie mir auffiel, weil es keine Partys mehr gibt. Aber stattdessen stand da: „Um 7.30 morgens wird es für ca. 15 Minuten zünftig. Gerne können alle vom Balkon aus zuschauen und klatschen.“

Blasmusik ist mir Norddeutscher außerhalb von Biergärten und dem Oktoberfest herzlich egal, aber das wollte ich natürlich trotzdem sehen. Und so zog ich mir ein Jäckchen über den Schlafanzug (mein Weg zum Schreibtisch ist recht kurz, daher stehe ich derzeit gegen 7.30 Uhr auf) und schlüpfte in Turnschuhe, um auf meinen regennassen Balkon zu treten. Interessiert bemerkte ich, dass auch die restliche Hausgemeinschaft aus zehn Wohnungen, die ebenfalls zur Hofseite gehen, ähnlich wie ich gekleidet auf den Balkonen stand. Und unten, zwischen unseren farbenfrohen Müllcontainern, passierte dann das.

Nach dem ersten Stück wurde geklatscht, die Bläser begrüßten nun alle, allen voran natürlich das Brautpaar, das, in Tracht gewandet, anscheinend sehr überrascht war. Der Bräutigam meinte recht hörbar, dass er nun keinen Kaffee mehr brauche. Das Paar wurde nach einem weiteren Stück zum Tanz herausgebeten und drehte sich ein, zwei Minütchen lang zum dritten Stück, dann gab’s einen Schuhplattler mit dem Bräutigam und einem der Bläser, und zum Abschluss zückte eben dieser Herr noch große Kochlöffel und begleitete seinen Kollegen beim letzten Liedchen.

Auch auf wenigen Balkonen der Nachbarhäuser standen inzwischen ein paar Menschen, hörten zu und klatschten. Beim Schuhplattler klatschten alle mit, und vor dem letzten Stück öffnete sich eine Balkontür im Nachbarhaus, die bisher geschlossen gewesen war: Eine Dame trat mit ihrem Laptop heraus und meinte: „Meine Kollegen wollen auch was davon haben, ich bin gerade in einer Konferenz.“ Gelächter, letztes Stück, Abschlussapplaus und das war’s. Die Herren ließen noch ein paar Werbezettel da, die vermutlich irgendwann in meinem Briefkasten sein werden, dann reiche ich die Namen gerne nach. Falls bei Ihnen demnächst mal jemand heiratet oder einfach ein paar Alphörner im Innenhof haben möchte.

Ich bin selbst überrascht davon, wie schön das war. Wie gesagt, Blasmusik ist mir eher egal, außer ich habe mindestens eine Maß intus, aber es war die erste Livemusik, die ich gehört habe seit März 2020. Also kein Stream oder eine Videoaufzeichnung; die sind alle toll und haben mir in den letzten Monaten viel bedeutet, aber das war ganz großartig, Menschen mit Instrumenten vor der Nase zu haben.

Ebenso toll: das gemeinsame Klatschen. Ein Graus in allen Fernsehshows, jetzt aber war das die erste größere Gemeinschaft, die ich seit Monaten erleben durfte. Die habe ich sonst im Fußballstadion oder ab und zu in der Kirche, aber auch hier: Seit März 2020 sehe ich einzelne Menschen und manchmal Paare oder meine Familie, aber niemals mehr. Man begrüßte sich von Balkon zu Balkon, klatschte dem Brautpaar und den Musikern zu, und ich gebe zu, ich habe eine winzige Träne verdrückt, weil ich Musik hören und klatschen konnte. Das kann nur ein guter Tag werden heute.

Danke an die Freunde und Freundinnen des Brautpaars, ihr habt, glaube ich, nicht nur den beiden eine große Freude gemacht.