Filmschule mit Casey Neistat

In den letzten zwei Wochen habe ich mich nicht nur mit Kunstgeschichte und Werbung beschäftigt, sondern auch noch mit der Videofunktion meines iPhones. Und das kam so.

Im Dezember lungerte ich mal wieder auf YouTube herum und sah, dass Casey Neistat ein neues Video gepostet hatte. Ich hatte sein Vlogging ewig verfolgt, aber ihn irgendwann nicht mehr so richtig auf dem Schirm, als er sein tägliches Videotagebuch beendete. In seinem neuen Beitrag erzählte er, dass er eine Art Filmschule anbiete, einen Kurs bei Monthly, der einen Monat dauern, ungefähr acht Stunden Zeit pro Woche verschlingen und 250 Dollar kosten würde. Als User bekommt man Zugriff auf vorgefertigte Videos, in denen Neistat seinen Arbeitsprozess erklärt: wie er Ideen im Alltag findet, wie er daraus einen klassischen Dreiakter macht, wie er schneidet, wie er aus Material einen Film schafft eben. Ich schlief ein paar Nächte darüber und klickte dann auf „Kauf ich, gib her“. Oder ähnlich.

Am 10. Januar ging es dann los. Der sogenannte Classroom ist eine Art Forum, das man mit 20 Mitstudis befüllt. Am ersten Tag ging es um Ideenfindung; seine Idee sollte man mit einem Foto illustrieren und beschreiben. Danach begann das Filmen, auch hier sollte man seine Peer Group schön auf dem Laufenden halten, indem man den ersten Akt postete. Auf den mussten dann drei Peers Feedback geben, daraufhin hatte man noch einen Tag Zeit für Reshoots – deswegen war ich gestern nochmal im Schnee –, und morgen muss der fertige Film online sein. Ich habe ihn bereits heute hochgeladen wie einige andere auch, damit ich nicht noch länger an ihm rumdengele. Manche luden das Ding auch nicht aktweise, sondern gleich komplett hoch, jeder wie er mag. Hier gendere ich bewusst nicht, denn, totale Überraschung, es sind quasi nur Kerle an Bord.

Nachdem ich meinen Film hochgeladen hatte, gelangte ich in eine Übersicht, die anscheinend allen offen steht, nicht nur den Menschen, die für den Kurs bezahlt haben (man kann seinen Film auf „unsichtbar“ stellen). Ihr könnt euch also mal durchklicken. Dort sind etwas mehr Frauen erkennbar, aber die große Masse sind die Jungs, vor denen ich ein bisschen Angst hatte: die Casey-Klone. Was schon in der Kursbeschreibung deutlich wird: Neistat bringt einem hier nicht bei, wie generell Filmemachen funktioniert, sondern wie seine Art zu filmen funktioniert. Daher wusste ich, was auf mich wartet, aber dass dann doch so viele Menschen dabei sind, die ihn teilweise bis zur Schrifttype in der Titelfolie kopieren, fand ich etwas anstrengend.

Ich hatte gehofft, mich geistig etwas aus allem rauszuziehen und so zu lernen, wie ich die letzten Jahre am besten gelernt habe: Jemand erzählt mir was, ich mache Notizen und setze es dann für mich passend um. Das ging nicht so ganz, weil ich es dann doch nett fand, wie freundlich meine Peer Group untereinander war. Das Feedback war grundsätzlich lobend und erst in Nachsätzen kamen manche Kritikpunkte. Daher fühlte ich mich bemüßigt, auch positives Feedback zu hinterlassen. Die ganze Interaktion hat mich geistig mehr beschäftigt als erwartet; genau wie das Gefühl, mit etwas absolut Unperfektem an die Öffentlichkeit zu gehen. Man sollte meinen, dass ich das nach 100 missratenen Kuchen lockerer wegstecke, aber ich war und bin total nervös mit diesem Videoding. Einfach, weil ich es noch nie gemacht habe. Deswegen der Kurs. Schlau, oder?

Aber vielleicht fange ich mal von vorne an.

Die Diss ist quasi durch, das Buch ist im Druck. Ich sitze schon an weiteren Kunstgeschichtsprojekten, aber nichts, was mich (derzeit) 40 Stunden die Woche fordert, und da die doofe Pandemie immer noch nicht vorbei ist, kann ich auch gerade nicht für eine Woche nach Nürnberg und im Kunstarchiv wohnen. Die Werbung läuft gut und fordert mich und erfreut, aber auch da ist noch Luft. Und daher dachte ich im Dezember, ach, lässte dir doch mal von Casey erzählen, wie er so arbeitet, um den Kopf in einem neuen Bereich etwas anzustrengen. Was ich ja gerne mache, wenn mir langweilig wird. Aus dem letzten dieser Anflüge ist ein Doktortitel geworden.

Daher hatte ich in der Weihnachtszeit bei meinen Eltern auch des Öfteren das Handy quer vor der Nase und testete die Videofunktion. Mit den vielen Schnipseln aus Tannenbäumen, beladenen Tellern, einer Zugfahrt durch Deutschland und Papa im Pflegeheim, der dem Handy die Zunge herausstreckt, bastelte ich mit iMovie, das auf dem Mac vorinstalliert ist, einen Dreiminüter; davor hatte ich ein paar Tutorials für dieses Programm auf YouTube gesehen. Ich ergoogelte mir eine kosten- und lizenzfreie Musikdatenbank, legte ein bisschen Weihnachtsmusik drunter und hatte meinen ersten Film gemacht. (Den ich nicht online veröffentlichen werde wegen Papa.)

Halbwegs gut vorbereitet startete ich also das erste Video, in dem Neistat uns eine halbe Stunde lang an seiner Ideenfindung teilhaben ließ. Ein Kamerateam ging mit ihm durch New York, und er spuckte im Minutentakt Ideen aus, die sich daran entzündeten, was er sah, hörte, wer ihm über den Weg lief. Er erklärte, aus welcher Idee sich welche Art Film machen ließ, verwarf, dachte neu, und hatte schließlich eine Idee. Unser Job war es am ersten Tag nun, selbst eine Idee zu finden. Als Ratschlag hieß es: Nimm einen Ort, an dem du dich wohlfühlst oder auskennst – deine Wohnung, dein Weg zur Arbeit, setz dich ins Auto und fahr rum, räum deinen Keller auf und guck, was du findest. Irgendwas.

Das kenne ich ja aus der Werbung, aus Luft eine Idee machen zu müssen, daher hatte ich relativ schnell sieben runtergeschrieben und fuhr zu der Location, die mir als erstes eingefallen war. Der Job beim ersten Film war nicht, mit einem Script loszulegen, sondern spontan zu filmen. Genau daran scheiterte meine erste Idee schon, denn vom morgendlichen Gedankenblitz bis zum abendlichen Feedbackgespräch mit der besten Freundin hatte ich im Kopf schon ein Script und mir auch überlegt, wo ich was shooten müsste, um meine Story zu erzählen. Die Dame aus Hamburg wies mich freundlich-bestimmt darauf hin, dass das nicht der Job sei, für den ich 250 Dollar bezahlt hätte und ob ich mal aus meinem Kopf und meiner Komfortzone (IMMER ALLES ZU OFT DURCHDENKEN!) rauskommen könnte.

So entschied ich mich für meine zweitliebste Idee, die in meinen Augen nicht mal eine war, sondern nur eine Location, nämlich der Alte Nordfriedhof, über den ich dauernd rübergehe, um auf dem Weg zum Bäcker meinem Lieblingsgrab Hallo zu sagen. Und da war der Anfang einer Idee: Ich zeig den Jungs eine schöne Skulptur. Jetzt muss ich nur noch ein bisschen sinnvolles Fleisch drumrumbasteln.

Wir sahen Neistat in einem weiteren Film beim Drehen zu: Wie komme ich an gute Orte, wie mache ich das Bild interessant, wieviel B-Roll sollte ich aufnehmen? Dabei erwähnte er, dass er zum Schluss, als er sein eigenes Vlog-Format verinnerlicht hatte, meist nur 20 Minuten Film für sein zehnminütiges Video brauchte. Ich konnte das noch nicht, ich habe viel zu viel zu viel zu viel gefilmt. Learning: Du brauchst wirklich nicht jeden Grabstein.

Was ich auch nach dem ersten Shooting (von ingesamt vieren) lernte: warum so viele Menschen plötzlich zu totalen Gearheads werden. Die einzige erforderliche Ausrüstung für den ersten Film war ein Handy und eine Videoschnittsoftware. Ich sehe an vielen Filmen, dass da garantiert schon Systemkameras und Richtmikros im Spiel waren, aber egal, wenn ich die hätte und mit ihnen umgehen könnte, würde ich die auch nutzen. Denn das war das zweite Learning: Die Bilder, die ich im Kopf hatte, habe ich mit einem Handy und einer wackeligen Hand nicht hinbekommen. Ich wollte schon nach einer Stunde mindestens ein Stativ und nach der zweiten Stunde eine anständige Kamera mit einem anständigen Zoom. Den habe ich nur einmal genutzt und dann nach weiteren Versuchen davon Abstand genommen; ich kann mein Handy nicht ruhig halten und gleichzeitig zoomen.

Drittes Learning: Die Kamera ist mobil. Wer hätte es gedacht. Nach der Sichtung meines ersten Materials stellte ich fest, dass ich eher fotografiert als gefilmt hatte. Das mag an meinen Motiven gelegen haben – Grabsteine, meist unbeweglich –, aber auch daran, dass ich mehr auf Bewegung im Hintergrund geachtet hatte, um das Bild interessanter zu machen anstatt darauf, eine Kamerafahrt zu nutzen.

Ich wusste am Anfang noch nicht genau, was ich eigentlich sagen wollte, weswegen ich viel zu viel Zeug aufnahm. Die Grundidee war schlicht, dass ich es spannend finde, dass ein Platz für die Toten heute einer für die Lebenden ist; der Friedhof ist ein Quasi-Park, auf dem Leute joggen gehen oder ihre Kinder auslüften. Daher nahm ich viele Menschen beim Joggen auf und merkte auch da erst nach der ersten Durchsicht, dass ein Platz auf dem Weg total langweilig ist und die Bilder viel spannender sind, wenn ich aus dem Gräberfeld rausfilme. Generell war das der größte Lerneffekt und der, der mich wirklich wachhielt in einigen Nächten: wie anders es ist, eine Geschichte mit Bildern zu erzählen anstatt mit Worten. Klar hatte ich schon Werbefilme geschrieben, aber noch nie selbst einen gedreht. Die Leistung, erst einmal Worte zu finden, die einen Inhalt transportieren, und diesen dann in ein Bild zu übersetzen, fand ich durchaus herausfordernd.

Die größte Herausforderung war allerdings eine andere. Mir war im Vorfeld, wie erwähnt, klar, dass ich nicht wie Casey filmen wollte. Daher war mir auch klar, dass ich nicht vor die Kamera wollte. Im Laufe der Filmentwicklung verstand ich aber, dass ein Film, in dem ich anderen etwas zeigen möchte, überzeugender oder attraktiver wird, wenn ich, die Zeigende, auch mal zu sehen bin und nicht nur zu hören. Das ist jetzt ein sehr verkürzter Gedankengang; die Idee, selbst im Bild zu sein, musste über mehrere Tage reifen. Das hat ein bisschen Überwindung gekostet, aber dann doch nicht so viel, wie ich dachte. Ich will hier nicht schon wieder das große Fass der Körperlichkeit aufmachen und der konventionellen Attraktivität und des Hasses auf dicke Menschen, der im Internet immer sehr schnell da ist. Die Peer Group erschien mir okay genug, um das zu wagen, also wagte ich es. So weit war ich selten aus der Komfortzone, möchte ich kurz nach Hamburg vermelden.

In weiteren Videos erläuterte Neistat dann seinen Schnittprozess, den ich mit am spannendsten fand – allerdings auch für mich nur bedingt anwendbar. Ich kann seinen Gedankengang nachvollziehen, wenn er sagt: Du hast auf YouTube nur zehn Sekunden, um Leute dazu zu kriegen, dein Video anzuschauen, also: grab them. Hol sie mit irgendwas rein. Diese Art Clickbait ist mir zutiefst zuwider, ich hasse, wirklich hasse auch seine peinlichen Videotitel, die nie das sagen, was im Video zu sehen ist, aber genau nach dieser Schiene funktionieren: grab them. Mein Video beginnt mit einer zehnsekündigen Fahrt über einen Grabstein und basta. Ich gebe aber zu, dass sie mal 16 Sekunden lang war.

Ich meine, ich kann das Interesse an der Story wachhalten, kann es aber wirklich nicht mehr beurteilen, weil ich den Film – natürlich – ungefähr 50mal gesehen und geändert habe. Irgendwann gestern, nach dem vierten Shooting, beschloss ich für mich, dass ich an diesem Film genug gelernt hätte, machte den finalen Edit und legte ihn damit geistig zu den Akten. Es gibt vieles, was ich gern anders hätte, aber dafür hätte ich nochmal losziehen oder mir eine Steadycam kaufen müssen, und irgendwann ist es auch mal gut.

Ich hoffe, ich kann das Gelernte weiter im zweiten Film umsetzen, den wir, wenn ich unseren Stundenplan richtig im Kopf habe, am Mittwoch beginnen, dieses Mal mit Script und mehr Vorbereitung. Die genauen Kursinhalte, also die Lehrvideos, sind für diesen Film noch nicht freigeschaltet, daher kann ich dazu noch nichts sagen. Ich weiß aber jetzt schon, dass ich vermutlich nicht in ein Richtmikro investieren werde; ein Handystativ habe ich mir gegönnt und auch gerne benutzt, und wie meine Systemkamera Videos dreht, habe ich auch schon ausprobiert. Das Medium Video verlangt von mir irrwitzig viel Zeit; Schreiben geht eindeutig schneller, auch wenn dieser Blogeintrag schon wieder ähnlich viel Zeit kostet wie eine Runde Shooting auf dem Friedhof. Daher ahne ich, dass es bei diesem Kurs bleiben wird und ich nicht zu einer YouTuberin mutieren werde. Aber das war ja eh nie der Plan. Ich habe auf jeden Fall sehr viel Spaß und lerne im Zeitraffer Dinge, die sich wirklich erst noch setzen müssen. Wenn ich auch nicht auf YouTube ende, möchte ich auf jeden Fall für den Privatgebrauch weiter mit Videos rumspielen.

Und jetzt komme ich noch weiter aus der Komfortzone raus und verlinke das Video, das bei YouTube nicht gelistet ist, aber es hat eine URL. Die Kommentare sind selbstverständlich deaktiviert, wie sich das gehört. Enjoy. (Hoffentlich.)