Tagebuch KW 16 – Keine Reservierung, keine Klicks, keine Küche

Yay, endlich sind die Ostertage rum und ich kann wieder in Bibliotheken!

Am Dienstag saß ich im ZI, am Mittwoch wollte ich in die Stabi, wo bergeweise Zeitschriften für mich lagen, die im ZI leider nicht vollständig vorhanden waren. Ich setzte meine Maske auf, wusste, dass ich keinen Impfausweis mehr vorzeigen musste und wollte durchs Drehkreuz in den Allgemeinen Lesesaal, als der Kartenleser mir sagte: Is nich. Mir fiel ein: Ach ja, man muss ja einen Platz reservieren, damit nicht so viele Leute auf einmal reinkommen. Aber ich dachte, die Pandemie sei vorbei? Nun gut.

Ich lud die Reservierungs-App aufs Handy, schnappte mir einen Platz, ging erneut zum Kartenleser und dann erfolgreich in den Lesesaal. Die Abklebungen auf einzelnen Tischen waren weg, es standen wieder überall Stühle, man durfte sich anscheinend wieder ballen. Ich behielt die Maske lieber auf, aber damit war ich klar in der Minderheit.

Nach getaner Arbeit wollte ich in den Lesesaal Alte Handschriften, denn einige Materialien kommen eben nicht in den Allgemeinen Lesesaal, sondern in die kleineren Speziallesesäle, ich habe auch nach zehn Jahren nicht verstanden, wann wo was hinkommt; wenn mir das OPAC einen Lesesaal vorgibt, klicke ich den an und fertig. Das System wollte also, dass ich zu den Handschriften ging, wo ich natürlich auch keinen Platz reserviert hatte. Das ging mit der App auch nicht, mit der kann man nur den Allgemeinen Lesesaal reservieren. Ich war zu faul, meinen Laptop aufzuklappen und mir mit dem Handy einen Hotspot zu basteln, denn die Stabi hat seit ein paar Wochen aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen kein eigenes WLAN mehr, sondern nur noch das Bayern-WLAN, was, warum auch immer, gefühlt irre langsam ist und einige meiner Websites nicht öffnen mag wegen irgendwelcher Protokolle, mir egal, gib mir Netz, wieso ist das so kompliziert? Ich stand also an der Pforte des Lesesaals, gab zu, keine Reservierung zu haben, die freundliche Pforte fragte hinten nach, ich durfte rein – wo ich aber sofort von einer Bibliothekarin angehalten wurde: „Das ist jetzt aber eine absolute Ausnahme!“ Ist klar, vielen Dank, sorry für die Umstände, bin in 20 Minuten wieder weg. „Was haben Sie denn genau bestellt?“ Äh. Keine Ahnung. Wenn ich Zeitschriftenberge ordere, weiß ich nie, wo was liegt, sondern räume einfach mein Regalfach leer und freue mich über alles. Ich so: „Das Bild vielleicht?“ „Ich gucke mal nach, ob’s schon da ist.“ Ich mache es kurz: Sie brauchte mein Passwort, um das zu überprüfen, ob hier überhaupt was für mich läge, obwohl das System mir ja gesagt hatte, dass dem so ist, egal, sie reichte mir ihr Keyboard an der sinnlosen Plastikscheibe vor ihrem Schreibtisch vorbei, ich tippte, sie nickte, das ganze dauerte zehn Minuten, dann durfte ich endlich in den Lesesaal – wo mir der freundliche Mitarbeiter sagte, dass hier nichts für mich läge, aber im Lesesaal Karten.

Ich zog also wieder von dannen, war dieses Mal aber geschlagen, bastelte mir im Zwischenfoyer einen Hotspot mit vernünftiger Geschwindigkeit, bat um einen Platz im Lesesaal Karten, wartete und daddelte am Handy, und zog sofort los, als die Bestätigungs-Mail wenige Minuten später da war. Im Lesesaal grinste die Bibliothekarin: „Sie sind bestimmt Frau Gröner? Reservierungsbestätigung von vor zwölf Sekunden?“ (Frau Doktor Gröner, bitte schön.)

Immerhin lohnte sich der ganze Kram; ich fand zwar nicht das, was ich für den kleinen Katalogbeitrag fürs Lenbachhaus gesucht hatte, aber stattdessen schönes Zeug zur Autobahn, das in mein langes Dokument „RAB alles“ kommt, von dem ich noch nicht weiß, was ich damit anfangen werde, aber irgendwas wird dabei schon rauskommen. Ich bin mit dem Thema auch nach der Diss gefühlt noch nicht durch, sondern habe gerade erst damit angefangen.


Jemand hat einer der schönen Grabskulpturen auf dem Alten Nordfriedhof Blumen in den Schoß gelegt und F. war netterweise vor Ort, um es zu fotografieren. Ich finde es wunderschön.

Why the past 10 years of American life have been uniquely stupid

Langer, lesenswerter Artikel im Atlantic – mit Quellenangaben. Autor Jonathan Haidt veröffentlichte zum Artikel ein Google Doc, in dem er alle Studien aufzählt, die er genutzt hat. Ebenso lesenswert.

„The high point of techno-democratic optimism was arguably 2011, a year that began with the Arab Spring and ended with the global Occupy movement. That is also when Google Translate became available on virtually all smartphones, so you could say that 2011 was the year that humanity rebuilt the Tower of Babel. We were closer than we had ever been to being “one people,” and we had effectively overcome the curse of division by language. For techno-democratic optimists, it seemed to be only the beginning of what humanity could do.

In February 2012, as he prepared to take Facebook public, Mark Zuckerberg reflected on those extraordinary times and set forth his plans. “Today, our society has reached another tipping point,” he wrote in a letter to investors. Facebook hoped “to rewire the way people spread and consume information.” By giving them “the power to share,” it would help them to “once again transform many of our core institutions and industries.”

In the 10 years since then, Zuckerberg did exactly what he said he would do. He did rewire the way we spread and consume information; he did transform our institutions, and he pushed us past the tipping point. It has not worked out as he expected. […]

Historically, civilizations have relied on shared blood, gods, and enemies to counteract the tendency to split apart as they grow. But what is it that holds together large and diverse secular democracies such as the United States and India, or, for that matter, modern Britain and France? Social scientists have identified at least three major forces that collectively bind together successful democracies: social capital (extensive social networks with high levels of trust), strong institutions, and shared stories. Social media has weakened all three.“

Ich bin mir nicht sicher, ob der Artikel zu schwarz sieht, aber er spricht einige bemerkenswerte Punkte an, die ich so gar nicht auf dem Schirm hatte. Die Multiplikationsfähigkeit durch den Retweet- oder Share-Button zum Beispiel, mit dem die Algorithmen nun gefüttert wurden.

„Before 2009, Facebook had given users a simple timeline––a never-ending stream of content generated by their friends and connections, with the newest posts at the top and the oldest ones at the bottom. This was often overwhelming in its volume, but it was an accurate reflection of what others were posting. That began to change in 2009, when Facebook offered users a way to publicly “like” posts with the click of a button. That same year, Twitter introduced something even more powerful: the “Retweet” button, which allowed users to publicly endorse a post while also sharing it with all of their followers. Facebook soon copied that innovation with its own “Share” button, which became available to smartphone users in 2012. “Like” and “Share” buttons quickly became standard features of most other platforms. […]

One of the engineers at Twitter who had worked on the “Retweet” button later revealed that he regretted his contribution because it had made Twitter a nastier place. As he watched Twitter mobs forming through the use of the new tool, he thought to himself, “We might have just handed a 4-year-old a loaded weapon.”“

Netterweise hat der Autor Tipps, wie man den Geist teilweise wieder in die Flasche bekommen könnte. Den hier fand ich sehr sinnvoll:

„The Facebook whistleblower Frances Haugen advocates for simple changes to the architecture of the platforms, rather than for massive and ultimately futile efforts to police all content. For example, she has suggested modifying the “Share” function on Facebook so that after any content has been shared twice, the third person in the chain must take the time to copy and paste the content into a new post. Reforms like this are not censorship; they are viewpoint-neutral and content-neutral, and they work equally well in all languages. They don’t stop anyone from saying anything; they just slow the spread of content that is, on average, less likely to be true.“

In Venedig hat die Biennale begonnen, wo Maria Eichhorn den deutschen Pavillon bespielt. Der Pavillon wurde im „Dritten Reich“ umgebaut und dem Stil des Neoklassizismus angepasst; Eichhorn hat nun Wandverkleidungen abschlagen lassen, um die Backsteinmauern dahinter freizulegen; Löcher im Fußboden zeigen die alten neben den neuen, also den in der NS-Zeit gegossenen, Fundamenten. Hier ein paar bewegte Bilder.

Ich kannte Eichhorn unter anderem von der letzten documenta, wo ich interessiert ihre Studien zu Rose Valland bzw. generell der Provenienzforschung betrachtet habe. Das NS-Thema ist also nichts neues für die Künstlerin. Eichhorn geht es nicht nur um das Freilegen der NS-Strukturen (ich lasse diese Doppeldeutigkeit mal stehen), sondern generell um die Idee, was mit Gebäuden bzw. den Platz, auf dem sie stehen, passiert, wenn man sie sich wegdenkt. Eine ihrer Ideen war es, den kompletten Pavillon zu relokalisieren, aber davon scheint sie Abstand genommen zu haben; der Plan ist noch im Katalog zur Arbeit beschrieben.

Auf Twitter kritisierte Kia Vahland den Pavillon in einem lesenswerten Thread. Sie kann die besondere Ästhetik der Arbeit Eichhorns schätzen, meint aber auch: „Ein totalitärer Staat bombt gerade eine europäische Demokratie in Ruinen, und die sind nicht formschön. Löcher im Boden sind in der Ukraine Massengräber. Tiefere Kellerebenen Luftschutzräume. Der 24. Februar war auch eine Zeitenwende der Bilder.“

Und weiter: „Der Eindruck nun ist fatal: Deutschland kreist mal wieder um sich selbst. Mag die Welt zusammenbrechen, wir dekorieren unsere alten, selbst verschuldeten Wunden.“

Dem kann ihre SZ-Kollegin Catrin Lorch etwas entgegensetzen:

„Vor allem internationale Besucher kritisierten während der ersten Tage, dass die deutsche Kunst den Blick nicht hebt, dass man an der NS-Geschichte klebe wie an einem Unique Selling Point. Diese Kritik übersieht, dass “Relocating a Structure” modellhaft gedacht ist, eine universal gültige Anleitung zum Umgang mit allen auf Ewigkeit angelegten Architekturen. Und die wird gerade dringend gebraucht in Zeiten, in denen aus Regierungen wieder Regime werden und im Krieg in der Ukraine der Bombast der Stalinzeit genauso zerbombt wird wie Wohnhäuser, Fabriken, sowjetische Moderne und brandneue Shoppingcenter. Was anfangen mit den Schichtungen, die von der Geschichte verlassen worden sind? Erst einmal wegdenken. “Relocating a Structure” zeigt, wie es geht. Und überlässt die Vollendung dem Publikum und der Politik. Maria Eichhorn legt nur das Werkzeug bereit.“

Ich fand es spannend, dass beide den Bezug zur Ukraine herstellen, aber zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Und genauso spannend fand ich den persönlichen Eindruck Vahlands, die bei freigelegten Backsteinmauern und Kellern sofort die oben genannten Assoziationen hat, während andere Besucher*innen vielleicht eher an schicke Lofts und genügend Raum für die Modelleisenbahn denken. Erneut wieder: Kunst ist persönlich. Man kann als Künstler*in eine gewisse Rezeption anstreben – und ich ahne, dass Eichhorn genau Vahlands Rezeption nicht geplant hatte –, aber man hat keinen Einfluss mehr darauf, wie ein Kunstwerk rezipiert wird, wenn es erst einmal in der Welt ist.

Ich halte den Vorwurf, ein über Monate geplantes Kunstwerk nun innerhalb von vier Wochen nicht irgendwie auf den aktuellen Kriegszustand umgemodelt zu haben, für etwas unfair. Man darf natürlich fragen, ob dieses Kunstwerk eben genau nur das ist, was Vahland anspricht – unzeitgemäße Nabelschau –, aber meiner Meinung nach ist diese Nabelschau auch in diesen Tagen wichtig und notwendig. Sie mag gerade an aktuellen Geschehnissen vorbeikonzipiert worden sein, aber sie ist nicht sinnlos oder unzeitgemäß. Gerade wenn man sich Quatschbauten wie das Berliner Stadtschloss anschaut, plädiere ich dringend für ein weiteres Nachdenken über den Umgang mit sogenannter belasteter Architektur. Ich persönlich hätte liebend gern dem Palast der Republik einen neuen Inhalt gegeben, so wie hier in München die Verwaltungsgebäude der NSDAP bewusst Kulturorgansationen zur Verfügung gestellt wurden (wie dem ZI). Ich finde die Frage, ob auch der vom NS-Regime umgebaute Pavillon eher eine Leerstelle werden oder ganz neu gebaut werden sollte, viel spannender als von Eichhorns Arbeit zu verlangen, doch bitte irgendwie jede Assoziation zum Ukrainekrieg zu vermeiden. Oder sie zu betonen.


Bibliotheks-Bibimbap. Völlig ausgehungert einfach ALLES auf den Teller werfen.


Avocado auf geröstetem Brot und eine Zimtschnecke.


Das beste Curry, was ich bisher produziert habe: Gaeng garee, gelbes Curry, natürlich nach Hot Thai Kitchen. In ihrem Rezept gibt es noch Huhn und Zeug, bei mir war es nur Gemüse. Der Glanz! Ich habe Muttergefühle für eine Mahlzeit.


Risotto mit Champignons und Steinpilzen.

Seit Montag läuft wieder die beste Kochshow der Welt, „Masterchef Australia“, ich schwelgte schon mehrfach und ausführlich darüber. Dies ist die dritte Staffel mit neuen Juror*innen (endlich immerhin eine Frau dabei), und seitdem ändert sich das Format dauernd. Alles, was ich im eben verlinkten Eintrag geschrieben habe, ist in Grundzügen noch da, aber das Gesamtkonzept verschiebt sich dauernd. So treten in diesem Jahr zwölf Laienköch*innen gegen zwölf Teilnehmende an, die schon mal bei Masterchef Kandidat*in waren und die Sendung teilweise sogar gewonnen haben; gleich drei Sieger*innen sind dabei. Eine davon ist, soweit ich das beurteilen kann, inzwischen fast eine Legende in Australien: Julie Goodwin war 2009 die erste Siegerin der Sendung und ist seitdem ein „household name“.

Seit Montag sind vier Folgen gelaufen, und ich möchte kurz über die letzte sprechen. Die Sendung zeigt nicht nur die Kandidatinnen beim Kochen, sondern unterbricht diese Szenen immer mit dem Talking-Head-Format, also Interviews nach der Sendung, wo die Befragten quasi von außen schildern, was man sieht. Von der ersten Folge an kamen Schnipsel zu Goodwin, die sich fragte, ob sie als, ich paraphrasiere, alte Schachtel mit ihren altmodischen Rezepten überhaupt noch mit diesen ganzen jungen Talenten mithalten könne. In der Donnerstag ausgestrahlten Sendung stand sie mit drei anderen in einem Wettkampf. Sie anderen überboten sich quasi mit Ideen, frittierten Pastateige, mixten Öle, dekorierten Teller. Und Goodwin? Machte eine klassische Paella. Sie gewann die Runde – und zeigte eher gerührte Verzweiflung als Freude, als das verkündet wurde.

Der Guardian hat netterweise ihre Story und ihre Sätze aufgeschrieben, die mich zugegebermaßen zu Tränen gerührt haben, wie übrigens auch einen Großteil der Kandidatinnen im Studio. Goodwin litt schon länger an Depressionen und ließ sich 2020 kurzzeitig einweisen: “I had to do some serious assessment of my mental health and wellbeing … I’d reached a point in my life where I lost my joy. I had to give up my job on the radio – I couldn’t do that anymore – and I actually couldn’t set foot in my kitchen.”

Als der Anruf von Masterchef kam, ob sie teilnehmen wolle, sei ihr erster Impuls gewesen, nein zu sagen. “It’s been a tough couple of years, and I didn’t know if I was able to come back into this environment. My experience last time was that I fell over again and again, and I think I got to the end because every time I fell down I got back up. The phone call to come here was … it was the universe saying ‘It’s time to get back up.’”

Die Sendung ging dann nicht mit der üblichen Vorschau auf die nächste Folge weiter, sondern es wurden Kontaktmöglichkeiten für Betroffene eingeblendet. Das Schlusswort gehörte wieder Goodwin als Talking Head in Richtung der Zuschauenden: “Everybody walks their own way through depression or anxiety. But if I had a message to give it would just be, just don’t give up.”

Wie Kochshows mich immer wieder überraschen können.