Tagebuch KW 15 – Über Kunst lesen, Kunst gucken und ein Bohnensalat

Ich setzte den herrlichen Wien-Urlaub in dieser Woche quasi fort, denn Montag ging ich ins ZI, das ja bekanntlich mein Bällebad ist und mich selbst zu Diss-Zeiten grundsätzlich entspannt hat. Hier fand ich Interessantes für einen zu schreibenden Katalogbeitrag und guckte mir beim Rausgehen die kleine Ausstellung im ersten Stock zu den Olympiaplakaten von 1972 an. Empfehle ich weiter, kostet auch nix.


Die Waldi-CI.

Am Donnerstag gingen F. und ich ins Kunstfoyer und schauten dort eine weitere Ausstellung: Ragnar Axelsson. Where the world is melting. Viele eindrucksvolle Fotos von Gletschern, die bald nicht mehr da sein werden, schneebestäubten Schlittenhunden und karger Fauna im ewigen Eis. Toll. Und ebenfalls kostenlos.

Im Kunstfoyer muss man keinen Impfausweis mehr vorzeigen, es wird aber auf dem Tragen einer FFP2-Maske bestanden. Das ZI bittet immerhin darum, und soweit ich das sehen konnte, machen das auch alle.

Ich musste leider am Samstag nochmal zu Lebensmitteleinkäufen aufbrechen, aber das war okay. Ich verband den Gang zum Biosupermarkt mit einem Spaziergang zum Asiashop, wo ich nur Koriander kaufen wollte, aber dann doch noch thailändischen roten Reis mitnahm und einen philippinischen Kalamansi-Drink. Auf dem Rückweg kam ich an der Agnesstraße vorbei, wo gerade ganz herrlich die Kirschbäume blühen. Ich blieb ein paar Minuten stehen und guckte einfach. Fotografierte nicht, twitterte nicht, guckte nur. Das war schön.

Gestern wachte ich viel zu zeitig auf, als das man es „Ausschlafen“ hätte nennen können, aber nun war ich halt wach – und hatte Lust auf einen Spaziergang. Ich guckte, wie ich mit den Öffis am besten nach Nymphenburg käme und erwartete feiertägliche 20-Minuten-Takte, aber nein.

So ließ ich mich von U-Bahn und Tram zum Schlosspark schaukeln, gab den anderen mit mir ausgestiegenen Fahrgästen ein bisschen Vorsprung, um meine Ruhe zu haben und klickte mein Hörbuch an, mit dem ich eigentlich durch den Park gehen wollte. Dort war ich allerdings unerwartet schon fast am Ende angekommen; zwei Minuten, nachdem ich durch das Eingangstor gegangen war, war das Buch zuende. Ich öffnete ein weiteres, ging los – und stellte nach dem Abbiegen von der großen Zentralachse in die waldigen Seitengebiete fest, dass ich viel lieber den Vögeln, den ganzen Bächen und Kanalzuflüssen und meinen eigenen Füßen lauschen wollte. Da hatte das halbwegs frühe Ankommen doch etwas Gutes; ich war nicht unbedingt alleine unterwegs, aber doch so, dass ich sehr selten vor oder hinter mir Leute hatte.

Ich bestaunte die Gänse und Enten, genoss den Blick auf den kleinen Monopteros, setzte mich auf eine Bank und guckte stumm aufs Wasser und ging schließlich nach über einer Stunde wieder zum Schloss zurück. Das war auch schön.

Als spätes Frühstück gab es Kathas lauwarmen Bohnensalat, an den mich der Blogeintrag der Kaltmamsell gestern erinnerte und für den ich immer (fast) alles im Haus habe. Okay, keine Apfelsüße; ich habe Apfelessigbalsam, das ich mit Wasser verdünne und zu dem ich einen Teelöffel braunen Zucker gebe. Ansonsten gab es gestern weiße Bohnen, Thunfisch, Bataviasalat, Radicchio, Paprika, Mohrrüben, eine winzige rote Zwiebel, Walnüsse und Weintrauben. Gerade sind noch Schnittlauch und Petersilie im Haus und hätte ich eine Orange gehabt, wäre alles perfekt gewesen. So war es fast perfekt.


Die Real-Life-Ansicht, nicht das Insta-Foto. Ikea-Schüsselchen auf dem Sofa, so gehört sich das bei mir. Von diesen Schüsseln habe ich vier und ich hätte zehn kaufen sollen, die benutze ich für alles und nenne sie bei Koch-Großprojekten „prep bowls“, yeah.

Ein neuer Mythos Westen

Interessiert gelesen: dass der sogenannte Westen für viele im sogenannten Osten ein eigentlich unbekannter Sehnsuchtsort war. Der Autor Stefan Kolev twitterte den Link dankenswerterweise, ist sonst hinter der Paywall.

„Diese Sehnsucht nach „dem Westen“ erinnert an den Geist in den Transformationsländern der frühen 1990er-Jahre. In den mittel- und osteuropäischen Ländern gab es eine ähnlich kategorische Ablehnung der alten sowjetischen Ordnung, gepaart mit dem Wunsch, sich als Land auf die Reise nach Westen zu begeben. Was die heutigen Ukrainer mit den Bürgern der damaligen Transformationsländer vereint, ist, dass dieses Streben oft nicht auf eigener Kenntnis des „real existierenden“ Westens basiert, sondern auf Erzählungen und Bildern vom Westen, aus dem Fernsehen oder aus nacherzählten Erfahrungen. Am Anfang des langen Weges nach Westen steht damit der Mythos von einer besseren Welt, die man selbst kaum kennt. […]

Es gab kaum belastbare Erkenntnisse über die Empirie im Westen: Man wusste nicht genau, wie wohlhabend die alte Bundesrepublik war oder wie schnell man aufholen würde. Ebenso wenig hatte man Erkenntnisse über die konstitutiven Institutionen des Westens: Wie genau Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat funktionieren, war unklar, darüber hatte man nur Erzählungen aus der Vorkriegsgeneration sowie die Verkörperung dieser Ordnungen in Persönlichkeiten wie Reagan, Thatcher und Kohl. Die Erzählungen über die Empirie, die vagen begrifflichen Bausteine und die personifiziert wahrgenommenen Ordnungen verwob man kollektiv zum Mythos Westen.

Die Einsicht, dass Mythen in der sozialen Realität ebenso wichtig sein können wie wissenschaftliche Erkenntnis, ist gerade für Ökonomen konterintuitiv, da ja die Ökonomie wie keine andere Sozialwissenschaft die Rationalisierung der Welt untersucht. Aber die Wertschätzung für ein Denken in verschiedenen symbolischen Formen kann den Ökonomendiskurs bereichern. Der Schlüssel liegt beim Begriff „Symbolpolitik“. Symbolpolitik wird aktuell im Diskurs als Gegensatz zu einer evidenzbasierten, in Zweck-Mittel-Relationen denkenden Wirtschaftspolitik verstanden und damit disqualifiziert. Und doch könnte eine wohlverstandene Symbolpolitik so­wohl bei der Bewältigung des Krieges als auch in der Gestaltung der Nachkriegsordnung eine Schlüsselrolle als Ordnungsprinzip spielen.“

Ist das Kunst oder kann ich das haben? – Über Wolfgang Ullrichs „Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie“

Christina Dongowski rezensiert Ullrichs neues Buch sehr wohlwollend und beschreibt gleichzeitig, was mein cooles Fach eigentlich so macht. Gerne gelesen.

„Ungefähr seit der Mitte des 19. Jahrhunderts löst dann in immer kürzeren Abständen eine Kunstrevolution die nächste ab: Die Impressionisten gegen die Salonmaler und Realisten, die Post-Impressionisten und Symbolisten gegen die Impressionisten, die Fauves gegen die Symbolisten und Impressionisten, die Kubisten gegen alle anderen, Dadaist*innen und Surrealist*innen gegen Abstraktion. Neue Sachlichkeit gegen Abstraktion, Abstract Expressionism gegen Sachlichkeit und American Realism, Pop Art gegen Abstract Expressionism etc. Immer andere, immer neue künstlerische Techniken und Mittel so zu benutzen, dass selbst aufgeschlossenes bürgerliches Publikum und wohlwollende Kritiker ratlos bis empört davor stehen und sich fragen, ob das tatsächlich noch Kunst sei, wurde zum künstlerischen Imperativ. Zumindest, wenn man sich programmatisch als moderner Künstler verstand.

Die Postmoderne hat daran im Grunde wenig geändert: Als eine letzte große Geste des Sich-neu-erfindens und des Abgrenzens von dem, was Kunst vorher war, verwirft man nun die Ernsthaftigkeit und das quasi geschichtliche Sendungsbewusstsein der Moderne. Schließlich ist alles irgendwie schon mal da gewesen. Was als künstlerische Geste übrig bleibt, sind spielerisch oder zynisch ironische Remakes bereits kanonisierter künstlerischer Positionen: Dann malt man eben die großen Meisterwerke der Moderne kaum modifiziert noch einmal oder exerziert leicht erkennbare Stile der Moderne durch, baut mit Baumarkt- und Bastelmaterial Suprematismus, Konstruktivismus und Minimalismus nach oder lässt Nippes-Figuren als monumentale Statuen aus Stahl oder Industriekeramik fertigen.

Aus der Autonomie des Kunstwerks und der Befreiung der Künstler*innen von ästhetischen, inhaltlichen, sozialen und erzieherischen Ansprüchen von Außen wird eine Pose. Aus Schellings Kunstwerk als höchste Form intellektualer Anschauung, in der man der Unendlichkeit des Geistes gewahr wird, ist ein Spektakel der Beliebig- und Belanglosigkeit geworden. Alle intrinsischen oder normativen Kriterien, um Kunst von Nicht-Kunst zu unterscheiden, haben sich aufgelöst: Alles ist Kunst, nichts ist Kunst. Was als Kunstwerk zählt und was doch „nur“ ein teures Design-Objekt ist oder ineinander gestapelter Müll, liegt nun in der Entscheidungsbefugnis von Gatekeeper-Institutionen wie Museen, Kunsthallen, Galerien, Biennalen, Auktionshäusern oder finanzstarken Privatsammler*innen. Der Status, ein Kunstwerk zu sein, ist etwas geworden, das Objekten von Außen zugeschrieben wird – eine Heteronomie.“


Ich hatte mir in der Biokiste eine Kräutermischung für Grüne Sauce bestellt, die aber anscheinend nicht über die heiligen sieben Kräuter verfügte. Hat trotzdem geschmeckt. (Rechts im Bild die Ikea-Schüssel.)


Linsen und Spätzle und Wienerle nach Tohru Nakamura. Der Mann kann auch Linsen, war ja klar. Die Spätzle kamen bei mir schnöderweise aus der Tüte, wir wollen es ja nicht übertreiben.


Mal wieder Cong You Bing, dieses Mal mit Bärlauch, der auch in der Biokiste lag.


Bananenbällchen aus Immer wieder vegan, bei mir mit Mandel- statt mit Reismehl, weil das halt da war. Großartiges Zeug. Ratet, in welcher Schüssel ich den Teig angerührt habe.