Was schön war, KW 27 – Rez, FAZ, Bar, Bier

Vor einigen Wochen wurde ich für eine Buchrezension angefragt, die ich gerne zusagte. Ich las ein Buch über die Rezeption von Hans Thoma (1839–1924) im Kaiserreich und der NS-Zeit; Grund für das neue Interesse am alten Thoma war ein Forschungsprojekt zur Geschichte der Landesministerien von Baden und Württemberg zur Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Rahmen stieß man auf Akten, die sich mit der Hans-Thoma-Plakette befassten, die 1939 zum 100. Geburtstag des Künstlers verliehen werden sollte; wegen des Kriegs kam es erst 1942 zur ersten Verleihung. Das Land Baden-Württemberg vergibt seit 1950 seinen Landeskunstpreis, der sich ebenfalls auf Thoma beruft. Frage des Forschungsprojekt, die in dem von mir besprochenen Buch beantwortet werden soll: Hat der heutige Staatspreis eine nationalsozialistische Vorgeschichte?

Ich habe das Buch mit Interesse gelesen und positiv besprochen.

Am Donnerstag warf ich launig einen Zoom-Link in meine Twitter-Timeline. Die kritischen berichte, eine in meinen Augen wichtige Zeitschrift meines Faches, feierte sein Fünfzigjähriges und besprach die kritische Kunstgeschichte aus verschiedenen Blickwinkeln. Gerade als ich einen Kuchen in den Ofen geschoben und es mir auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, fragte die FAZ freundlich an, ob ich nicht die Veranstaltung für sie besprechen wolle. Wollte ich, weswegen ich schnell ins Arbeitsoutfit und an den Schreibtisch wechselte. Wenn ich keinen kompletten Quatsch verzapft habe und es Platz gibt, müsste der Artikel nächste Woche in der Rubrik „Geisteswissenschaften“ erscheinen.

Ich plaudere schon mal aus, dass es die Zeitschrift ab dem nächsten Jahr endlich ohne „Moving Wall“ frei zugänglich im Diamond Open Access zu lesen gibt. Bis dahin bleibt uns allen das schöne Archiv.

Stop – Lektüre-Update-Time! Den Gag habe ich aus Hannah Gadsbys „The Road to Nanette“ geklaut, wo sie ihn sehr ausführlich bringt. Das höre ich gerade, wenn ich unterwegs bin. Davor hörte ich gut gelaunt Kurt Krömers „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst.“

Auf Papier las ich
– Michael Wildt „Zerborstene Zeit“: ja, kann man machen, wenn man von dem Thema noch so gar keine Ahnung hat, sonst ist es einen Hauch redundant. Aber gut lesbar!
– Sibylle Berg „Der Mann schläft“: furchtbar. Also toll geschrieben, aber ich fand es sehr unangenehm. Nach dem Lesen ins Altpapier getan, das wollte ich nicht mal in den Hausflohmarkt legen

– Andreas Kossert „Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945“: äußerst informativ, in einem Rutsch durchgelesen, sehr viel gelernt, große Empfehlung
– Marion Gräfin Dönhoff „Namen die keiner mehr nennt. Ostpreußen – Menschen und Geschichte“: musste sein nach Kossert. Seltsames Leseerlebnis, kann aber auch daran gelegen haben, dass ich es im Norden las und im Zug, wo gerade alles schwierig ist, ich aber immerhin eine Zeitzeugin (das Mütterchen) nach Details aus Ostpreußen fragen konnte. Sie hat mir gleich „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz mitgegeben und „Jokehnen“ von Arno Surminski, wo lauter Zettel in ihrer Schrift drinliegen, auf denen sie Details aus Bartenstein notiert hat. Ich fragte sie, was sie als ihre Heimat empfände und erwartete Niedersachsen, aber sie sagte Ostpreußen, das sie mit sechs Jahren verlassen musste. Ihre Mutter brauchte auch sehr lange, um sich eine Rückkehr aus dem Kopf zu schlagen. Seltsames Detail: Weder die Eltern von Papa noch Mamas Mutter wollten, dass die beiden heiraten; für Papas Eltern war Mama keine gute Partie, weil sie als Flüchtling ja nichts hätte, und mit Nichts meine ich Nichts, für Omi war Papa eine Art Gefahr, denn mit einer Heirat würde ihre Tochter ja hier in Niedersachsen Wurzeln schlagen und nicht mehr in den Osten wollen. Ich denke über diese Sätze ständig nach, seitdem sie mir erzählt wurden.

– Peter Walther „Hans Fallada. Die Biografie“: ebenfalls große Empfehlung, gute Einbettung einer Einzelperson in das große Ganze. Konnte an mehreren Stellen in der Wikipedia anlegen. Das mache ich derzeit mit fast allen Sachbüchern – immer gleich gucken, ob dieser eine tolle Fakt schon in der Wikipedia steht
– Hanna Engelmeier „Trost. Vier Übungen“: ein Re-Read. Ich hatte es gefühlt beim ersten Mal nur durchgehuscht. Oder ich brauchte jetzt einfach mehr Trost. Hat funktioniert. Danke dafür
– Jörg Osterloh „‚Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes.‘ Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920–1945“: noch eine große Empfehlung. Der Überbau war mir quasi klar, die vielen Details nicht. Hatte ich bisher nur kursorisch gelesen, jetzt komplett.

Mein derzeitiges Nachttischbuch ist der „Mann ohne Eigenschaften“ von Musil, den ich jetzt zum dritten Mal beginne. Möglicherweise könnte es jetzt fürs Durchlesen reichen, weil ich inzwischen deutlich mehr über die 1920er Jahre und Wien weiß als noch vor sieben Jahren, als ich den zweiten Leseversuch nach 50 Seiten abbrach.


Unfreiwilliges Selbstporträt beim Morgenkaffee.

Auch wegen meiner derzeitigen, meist ungeplanten Reisen in den Norden (aus Gründen, über die ich hier nichts schreiben werde) hatte ich bisher weder Blumen noch Kräuter auf dem Balkon, denn um die muss sich ja jemand kümmern, wenn ich nicht da bin und das kann ich nicht immer garantieren. Vor zwei Wochen war mir dieser Fakt aber egal, ich brauchte Bunt und Grün, und deswegen wachsen gerade aus drei Kästen bunte Blümchen und vier Sorten Kräuter. Jedenfalls so lange, bis sie in meinem Mittagessen landen, looking at you, Koriander!

Was ich außerdem seit diesem Jahr und erstmals in meinem Leben besitze: einen Sonnenschirm. Den befestigte ich mit einer tollen Klammer am Balkongeländer, nachdem mir F. seine Schieblehre geliehen hatte, damit ich Zollstock-Huhn den Durchmesser meines runden Geländers profimäßig und vor allem korrekt ausmessen konnte. Seitdem wird morgens auf dem Balkon Kaffee getrunken, ohne dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Und meist ein NS-Fachbuch gelesen, was den Aufenthalt nicht ganz so entspannt sein lässt, aber hey, ich lese echt viel draußen. Es ist da halt so nett.

Viertgeimpft. Eigentlich wollte ich auf den tollen Impfstoff warten, der auch mit Omikron, der blöden Ratte, klarkommt. Der sollte ja im März erhältlich sein, dann im Juni, jetzt angeblich irgendwann im Herbst, aber jetzt wollte ich nicht mehr. Meine dritte Impfung war im November 2021, also vor locker sechs Monaten. Ich bin zwar noch keine 60, aber es fragte niemand nach meinen Gründen, es wurde nur mein natürlich brav vorher ausgedruckter Impfbogen angeschaut, ich durfte mir den Impfstoff aussuchen – Comirnaty Ultra all the way –, und das war’s. Keine Nebenwirkungen bis auf ein bisschen Ziepen abends im Oberarm. Guter Körper.

Am 1. Juli besuchten F. und ich das neue Tantris. Das alte Tantris, also Deutschlands erstes Sternerestaurant, das seit 50 Jahren besteht und dessen rot-orangene Einrichtung unter Denkmalschutz steht, wurde im letzten Jahr für eine gründliche Restaurierung geschlossen. Seit November (?) 2021 ist es wieder geöffnet und besteht nun aus gleich drei Läden: dem Restaurant, dessen neuer Küchenchef 2022 gleich mal zwei Sterne erkochte, dem sogenannten Tantris DNA, wo Klassiker aus den letzten 50 Jahren zeitgemäß serviert werden, und der Bar, für die man keinen Platz im teuren Tempel gebucht haben muss, da kann man jeden Abend einfach so reinmarschieren und Cocktails trinken.

Das hatten wir gar nicht auf dem Plan, aber als wir beim Jackenablegen gefragt wurden, ob wir einen Aperitiv möchten und wenn ja, vielleicht an der Bar …? sagten wir gerne Ja. Ich fragte erstmal die Historie ab, weil that’s me, bewunderte die punkige Decke und genoss eine Hausvariante des Negroni, der, natürlich, ganz großartig war. Genau wie die acht Gänge danach im Restaurant, von denen ich keinen fotografiert habe, weil ich einfach nicht mehr dokumentieren, sondern nur noch genießen möchte. Glaube ich jedenfalls; jetzt wo ich darüber schreibe, hätte ich natürlich trotzdem gerne ein Bild. Vielleicht beim nächsten Mal, denn ein nächstes Mal wird es geben. Mein erster Tantris-Besuch 2017 ist bis heute die Messlatte für alle Sterneläden und sie ist immer noch sehr hoch. Ich muss zugeben, dass ich bei den ersten zwei, drei Gängen auch noch etwas fremdelte, aber dann hatte mich der neue Laden auch wieder ganz tief in der Tasche. Es ist einfach einzigartig.

Wir durften zum Abschluss des Abends sogar kurz in die Küche und dem Herrn Chefkoch die Hand schütteln. Er nahm sich zehn Minuten Zeit für uns, erklärte, fragte, was uns gefallen hätte, wir fragten zurück, ich wich die ganze Zeit Menschen mit Tabletts aus, die sich mehrfach bedankten, woraufhin ich innerlich immer „Hey, ich hab auch mal Tabletts getragen und alle gehasst, die im Weg rumstehen“ dachte. Das fand ich ganz schön zu merken, dass manche Sensoren auch nach 20 Jahren noch anspringen, sobald es nötig ist.

Ich verlinkte den kurzen Film mit Benjamin Chmura schon auf Twitter; so entspannt hat er auch mit uns geplaudert. Wer mehr über den Laden lesen möchte, kann zum Beispiel bei Herrn Paul vorbeischauen oder bei den Bildern von Culinary Pixel sabbern, die im DNA und in der Bar fotografierte.

Apropos Bar. Nachdem uns einer der Barkeeper vom Tatar vorgeschwärmt hatte, das als Bar Food serviert wird, überlegte F. ungefähr drei Tage, bevor er für uns einfach direkt eine Woche nach dem Restaurantbesuch zwei Plätze an der Bar reservierte. Die Servicekraft, die uns sieben Tage zuvor bedient hatte, freute sich, uns schon wiederzusehen, auch der Barkeeper erkannte uns nach kurzem Nachdenken, und dann bestellten wir Tatar und den ersten von insgesamt fünf Cocktails pro Nase. Geplant gewesen waren zwei und auch nur das Tatar, aber das Croque Monsieur ließ sich so wunderbar teilen, und wenn es schon Patisserie des Hauses gibt, dann wäre das ja die totale Verschwendung, sie nicht zu bestellen, also bitte.

Auch das vertwitterte und verinstagrammte ich schon, aber jetzt muss es auch noch ins Blog; eigentlich ist der Barbesuch schuld daran, dass ich dringend bloggen wollte. Es war (schlecht für den Laden, gut für uns) irgendwann nicht mehr so irre viel los an der Bar, vermutlich als alle Restaurantgäste ihre Aperitivs hatten. Daher hatte der Barkeeper etwas mehr Zeit für uns, und so blieb er allen Ernstes gefühlt eine Stunde an unserem Tisch, schleppte verschiedene Flaschen an, die wir entweder kosten oder an denen wir immerhin riechen durften. Das wenigste davon fand sich am Ende auf der Rechnung wieder, aber auch das wäre egal gewesen. Wir lernten viel über die Historie von einem der Cocktails, die ich mir hatte empfehlen lassen, wir sprachen über die Herstellung von Tequila und Mezcal und Clairin, der mir vorher überhaupt kein Begriff war (er hat noch keinen deutschsprachigen Wiki-Eintrag, meins, MEINS!)

Ich mochte an dem Abend auch, dass man sich nicht so aufdotzen musste wie fürs Tantris. Okay, ich ahne, dass die Damen und Herren im Service auch dort nicht mit der Wimper zucken, wenn ich im Jogginganzug auflaufe, aber ich gebe zu, dafür zücke ich sogar wieder die Mascara, von der ich nach zwei Pandemiejahren kaum noch geglaubt hätte, sie je wieder zu benutzen. Aber im Laufe des Abends kam zum Beispiel ein Pärchen an die Bar, das gerade das Konzert von Guns’n’Roses im Olympiastadion besucht hatte und dementsprechend aussah. Falls das im Laufe der letzten Zeilen noch nicht klar geworden ist: Geben Sie der Bar doch mal eine Chance. Ist eindeutig niedrigschwelliger als der Luxustempel und auch nicht teurer als andere gute Münchner Locations. Hier die Getränkekarte.

Der Barbesuch war kaum vorbei, da saßen wir schon im Biergarten, das erste Mal seit Ewigkeiten ohne Maske. Ich trug sie weiterhin auf der Toilette, war aber die einzige, und in der Bestellschlange ließ ich es gleich. Die Bänke stehen wieder enger als noch im letzten Jahr, aber es hat sich gut und richtig angefühlt. Ob wir allerdings die Oktoberfestreservierungen wahrnehmen, ist uns immer noch nicht klar. Falls es stattfindet, was ja auch noch nicht klar ist.


Ich bin die Radlermaßmemme mit dem Anti-Wespen-Bierdeckel. Wahlweise liegt da ein Taschenbuch, aber der Musil ist ungefähr so dick wie das Glas.

Gut gegessen habe ich auch außerhalb von Sternetempeln. (Will wieder in einen Sternetempel.)


Gefüllte Zucchini. Weiß schon gar nicht mehr, womit sie gefüllt war.


Kartoffelsalat mit Tahini-Dressing aus der NYT.


Tiefkühl-Gemüsedumplings aus dem Asialaden. Immerhin das Nuoc Cham selbst angerührt und eine Gurke aufgeschnitten.


Scharfes Rindfleisch mit Brokkoli und grünem Spargel.


Ich habe dem Mütterchen den Avocadotoast von Katha aus ihrem zweiten veganen Kochbuch kredenzt, der ihr sehr gut geschmeckt hat. Sie kannte noch keine Avocado.




Bin auf dem totalen Hummus-Trip. Entweder mit Fladenbrot oder sogar mit Brezn (mein Leibgericht) oder auch mit roter Bete und weißen Bohnen statt Kichererbsen. Aber immer mit Salat und Zatar.